Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 25.05.2022; Aktenzeichen L 1 SF 57/21 EK)

 

Tenor

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 25. Mai 2022 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

 

Gründe

I

Das LSG Hamburg hat als Entschädigungsgericht mit Urteil vom 25.5.2022 einen Anspruch der Klägerin auf eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines vor dem SG Hamburg geführten Rechtsstreits über die Versagung von Leistungen nach dem SGB II (Ausgangsverfahren: Az des SG Hamburg S 29 AS 1662/15; Az des LSG Hamburg L 4 AS 269/19) verneint. Zur Begründung hat das Entschädigungsgericht ausgeführt, nach Maßgabe des § 198 SGG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG (ua BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 = SozR 4-1720 § 198 Nr 3; BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 4; BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 6) ergebe sich für das sozialgerichtliche Verfahren nach Abzug der Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten eine grundsätzlich zu entschädigende Zeit von zehn Monaten. Diese werde jedoch durch die im Berufungsverfahren nicht "verbrauchte" Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zehn Monaten vollständig kompensiert. Daher habe die Entschädigungsklage keinen Erfolg, zumal die Beklagte außergerichtlich bereits eine Entschädigung von 1300 Euro an die Klägerin gezahlt habe, wodurch sie sogar "überentschädigt" worden sei. Die Revision hat das Entschädigungsgericht nicht zugelassen.

Schon vor einer Entscheidung über ihre Berufung im Ausgangsverfahren hat die Klägerin einen isolierten Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für eine beabsichtigte Klage auf Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Ausgangsverfahrens vor dem SG gestellt (L 1 SF 1/20 EK PKH). Die Entscheidung hierüber hat das Entschädigungsgericht bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens ausgesetzt (Beschluss vom 5.2.2020 - L 1 SF 1/20 EK PKH) und eine hiergegen erhobene Gehörsrüge/Gegenvorstellung zurückgewiesen. Nach Beendigung des Ausgangsverfahrens und der og außergerichtlichen Entschädigungszahlung der Beklagten hat das Entschädigungsgericht in dem ab 12.2.2021 unter neuem Aktenzeichen fortgeführten Verfahren die Gewährung von PKH wegen mangelnder Erfolgsaussicht abgelehnt (Beschluss vom 17.6.2021 - L 1 SF 6/21 EK PKH). Eine hiergegen gerichtete Anhörungsrüge ist ebenso ohne Erfolg geblieben, wie die im Entschädigungsverfahren von der Klägerin angebrachten Ablehnungsgesuche und erneuten PKH-Anträge.

II

Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Abs 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es hier. Das gegen die angefochtene Entscheidung des Entschädigungsgerichts statthafte und von der Klägerin angestrebte Rechtsmittel ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 160a SGG). Die Revision darf gemäß § 160 Abs 2 SGG nur zugelassen werden, wenn einer der dort abschließend genannten Revisionszulassungsgründe vorliegt. Nach Durchsicht der Akten - auch unter Würdigung des Vorbringens der Klägerin - ist das vorliegend nicht der Fall.

Es ist nicht ersichtlich, dass ein zur Vertretung vor dem BSG zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 2 und 4 SGG) erfolgreich geltend machen könnte, dass der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) zukommt. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist (stRspr; zB BSG Beschluss vom 8.3.2021 - B 9 BL 3/20 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - juris RdNr 6). Anhaltspunkte für eine derartige Rechtsfrage sind im Fall der Klägerin nicht vorhanden. Sie ergeben sich auch nicht aus deren Vorbringen.

Eine Zuständigkeit des Revisionssenats für Anhörungsrügen in Bezug auf das angegriffene Urteil besteht nicht. Dies ergibt sich schon aus § 178a Abs 2 Satz 4, Abs 4 Satz 2 und Abs 5 Satz 1 SGG, wonach die Rüge bei dem Gericht zu erheben ist, dessen Entscheidung angegriffen wird. Ist sie unbegründet, weist dieses Gericht sie zurück. Anderenfalls hilft das Gericht ihr ab, indem es das Verfahren fortführt. Ebenso wenig ist eine klärungsbedürftige Rechtsfrage im Zusammenhang mit der Gewährung von PKH für eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen vermeintlicher Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Gericht der angegriffenen Entscheidung zu erkennen. Nach den eingangs dargestellten Voraussetzungen kommt die Gewährung von PKH nur in Betracht, wenn hinreichende Anhaltspunkte für einen Verfahrensmangel bestehen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Diese Voraussetzungen sind durch die Rechtsprechung des BSG umfassend geklärt. Ebenfalls geklärt ist die Rechtsfrage der entschädigungsmindernden Übertragung der einer Instanz zur Verfügung stehenden, nicht ausgeschöpften Vorbereitungs- und Bedenkzeit auf eine vorhergehende Instanz (BSG Urteil vom 24.3.2022 - B 10 ÜG 4/21 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-1720 § 198 Nr 21 vorgesehen).

Soweit die von der Klägerin aufgeworfenen Fragestellungen auf eine Konkretisierung der Rechtsprechung des BSG zu einer möglichen Verkürzung der angemessenen Vorbereitungs- und Bedenkzeit von regelmäßig zwölf Monaten je Instanz und der Voraussetzungen für eine Erhöhung der Regelentschädigung von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung (§ 198 Abs 2 Satz 3 GVG) zielen, fehlt es jedenfalls an der für die Zulassung der Revision erforderlichen Klärungsfähigkeit. Denn angesichts der vom Entschädigungsgericht festgestellten Verzögerungszeiten von insgesamt 24 Monaten und der bereits erfolgten Entschädigungszahlung der Beklagten müsste die angemessene Vorbereitungs- und Bedenkzeit um mehr als die Hälfte verkürzt oder die Entschädigung mehr als verdoppelt werden, um ein für die Klägerin günstigeres Ergebnis zu erreichen. Vor dem Hintergrund der bereits zu Entschädigungsprozessen über Ausgangsverfahren mit SGB II-Bezug ergangenen Rechtsprechung des BSG (vgl zB BSG Urteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - BSGE 118, 102 = SozR 4-1720 § 198 Nr 9, RdNr 37 ff) bietet der vorliegende Rechtsstreit keine Anhaltspunkte für eine solch weitgehende Abweichung von der regelmäßigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit oder Entschädigung. Dies gilt auch mit Blick auf die zunächst ausgesetzte Entscheidung über die Gewährung von PKH für das Entschädigungsverfahren (vgl BSG Urteil vom 7.9.2017 - B 10 ÜG 3/16 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 14 RdNr 36).

Des Weiteren ist nicht erkennbar, dass der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) vorliegt. Denn die angefochtene Entscheidung des Entschädigungsgerichts ist nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung abgewichen. Dies gilt insbesondere für die Urteile des BSG vom 24.3.2022 (B 10 ÜG 4/21 R und B 10 ÜG 2/20 R - jeweils zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-1720 § 198 Nr 21 bzw 22 vorgesehen). Soweit die Klägerin meint, das Entschädigungsgericht habe die hierin aufgestellten Rechtssätze nicht zutreffend angewandt, ist ein solcher - vermeintlicher - Rechtsanwendungsfehler nicht geeignet, die Zulassung der Revision zu ermöglichen. Nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ausgeschlossen ist die Revisionszulassung wegen Divergenz zum Urteil des BGH vom 6.5.2021 (III ZR 72/20 - BGHZ 230, 14), selbst wenn eine solche tatsächlich vorläge.

Schließlich lässt sich auch kein Verfahrensmangel feststellen, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Insbesondere im Zusammenhang mit der zunächst ausgesetzten Entscheidung über die Gewährung von PKH für das Entschädigungsverfahren ist nicht erkennbar, dass ein zur Vertretung zugelassener Prozessbevollmächtigter - wie erforderlich (vgl zB BSG Beschluss vom 10.6.2021 - B 9 V 56/20 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16, jeweils mwN) - dartun könnte, dass und warum die Entscheidung des Entschädigungsgerichts ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass durch das Entschädigungsgericht der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) der in der mündlichen Verhandlung persönlich anwesenden und durch einen Rechtsanwalt vertretenen Klägerin verletzt worden sein könnte.

Dass das Entschädigungsgericht nicht der Rechtsansicht der Klägerin gefolgt ist und sie das Urteil inhaltlich für unzutreffend hält, eröffnet die Revisionsinstanz nicht.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von PKH entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

Kaltenstein

Othmer

Ch. Mecke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15615624

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge