Verfahrensgang

SG Stuttgart (Entscheidung vom 29.10.2020; Aktenzeichen S 6 AL 3508/19)

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 09.11.2021; Aktenzeichen L 12 AL 137/21)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. November 2021 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Kläger die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

1. Grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

a) Der Kläger, der sich gegen die Ablehnung von Alg wegen fehlender Anwartschaftszeit wendet, formuliert zunächst folgende Fragen, denen er grundsätzliche Bedeutung zumisst:

"Ist der Bezug von Krankengeld aus einer privaten Krankentagegeldversicherung versicherungspflichtig gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB III, wenn zwischen der letzten pflichtversicherten Tätigkeit und dem Bezug von privatem Krankengeld eine kurzzeitige versicherungsfreie Tätigkeit als Vorstand einer Aktiengesellschaft ausgeübt wird und wenn der Zeitraum zwischen der letzten pflichtversicherten Beschäftigung und dem erstmaligen Bezug von Krankentagegeld 6 Monate beträgt."

"Ist von einem unmittelbaren Anschluss i.S.d. § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB III immer noch auszugehen, wenn zwischen der letzten pflichtversicherten Beschäftigung und dem Bezug von Krankentagegeld ein Zeitraum von 6 Monaten liegt?"

Soweit diese Fragen überhaupt als abstrakt-generelle Rechtsfragen zur Auslegung von § 26 Abs 2 Nr 2 SGB III zu verstehen sind, was wegen der Anknüpfung an konkrete Umstände des Einzelfalls durchaus zweifelhaft ist, wird jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen nicht in der gebotenen Weise aufgezeigt. Insbesondere wird nicht deutlich, warum sich diese Auslegungsfragen nicht durch das - von dem Kläger seitenweise wörtlich zitierte - Urteil des BSG vom 23.2.2017 (B 11 AL 4/16 R) oder aus der Parallelentscheidung des BSG vom 23.2.2017 (B 11 AL 3/16 R - BSGE 122, 279 = SozR 4-4300 § 26 Nr 8) beantworten lassen. Mehrfach und durchaus zustimmend verweist der Kläger selbst auf die Auslegung der Vorschrift durch das BSG, zeigt aber an keiner Stelle auf, wo darüber hinausgehender oder neuer abstrakter Klärungsbedarf bestehen soll. Vielmehr meint er, das LSG habe diese Urteile nicht ausreichend und zutreffend gewürdigt. Doch begründet dies für sich genommen keine Klärungsbedürftigkeit schon beantworteter Rechtsfragen, sondern betrifft allein die Rechtsanwendung im Einzelfall. Die Rechtsanwendung im Einzelfall vermag allerdings nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu rechtfertigen (stRspr; vgl BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7).

b) Weiterhin hält der Kläger die Fragen für grundsätzlich bedeutsam, ob ein Beratungsgespräch bei der Agentur für Arbeit im Nachhinein als persönliche Arbeitslosmeldung ausgelegt werden kann, auch wenn nicht ausdrücklich die Gewährung von Alg beantragt wurde und keine eindeutige Erklärung des Antragstellers hierzu vorliegt, und ob die Arbeitsagentur regelmäßig dazu verpflichtet ist, ein Mindestmaß an Ermittlungen zur Prüfung der Nahtlosigkeit nach § 145 SGB III einzuleiten. Bei diesen Fragen wird schon nicht deutlich, mit welchen verallgemeinerungsfähigen Aussagen zur Auslegung und Anwendung welchen revisiblen Bundesrechts die Fragen in einem Revisionsverfahren beantwortet werden könnten (vgl zu diesen Anforderungen Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160 RdNr 94 ff mwN). Vielmehr betreffen auch sie - weitgehend verfahrensrechtliche - Aspekte der Rechtsanwendung im Einzelfall (vom Kläger als "Sondersituation" bezeichnet) und können deshalb ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führen.

2. Eine Abweichung (Divergenz) iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht. Auch dem wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht, denn es werden schon keine Rechtssätze nachvollziehbar bezeichnet und gegenübergestellt. Im Übrigen kann nicht die - hier behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern allein die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen eine Zulassung wegen Abweichung begründen (stRspr; vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 160 RdNr 119).

3. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision schließlich dann zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Wer eine Nichtzulassungsbeschwerde auf diesen Zulassungsgrund stützt, muss zu seiner Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die diesen Verfahrensmangel des LSG (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dartun, also die Umstände schlüssig darlegen, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (stRspr; siehe bereits BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16 mwN). Der Kläger rügt - soweit dies den verstreuten Ausführungen in der Begründung der Beschwerde zu entnehmen ist - zum einen sinngemäß als Verfahrensfehler eine Verletzung der Amtsaufklärungspflicht durch das LSG. Er benennt allerdings schon keinen von ihm gestellten Beweisantrag, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Soweit der Kläger zum anderen geltend macht, das LSG habe ihn zu fehlenden Ermittlungen nicht ausreichend angehört, wird auch dies mangels konkreterer Ausführungen den Darlegungserfordernissen nicht gerecht.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Meßling                                 Burkiczak                                   Söhngen

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15129271

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