Verfahrensgang
SG Dresden (Entscheidung vom 24.11.2015; Aktenzeichen S 47 KR 413/12) |
Sächsisches LSG (Urteil vom 15.12.2021; Aktenzeichen L 1 KR 322/15) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 15. Dezember 2021 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um die Beitragsfestsetzung zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) für die Zeiträume 15.1.2005 bis 30.11.2005 und 21.3.2006 bis 11.4.2006.
Der Kläger war in den streitgegenständlichen Zeiträumen freiwilliges Mitglied der Beklagten. Nachdem ihm nachträglich Verletztengeld gewährt worden war, wurden die Beiträge zur GKV und sPV neu festgesetzt. Hierbei wurde das ursprünglich auch zur Beitragsbemessung herangezogene Einkommen aus Gewerbebetrieb beitragsfrei gestellt; zur Verbeitragung herangezogen wurden ausschließlich im vorgelegten Einkommensteuerbescheid ausgewiesene Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie aus Vermietung und Verpachtung (Bescheid vom 15.9.2011; Widerspruchsbescheid vom 13.6.2012). Die Klage ist erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid vom 24.11.2015). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Bei freiwilligen Mitgliedern sei die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Die Höhe der Einkünfte sei dem Bescheid des Finanzamts für das Jahr 2002 zu entnehmen. Ein vertikaler Verlustausgleich zwischen den einzelnen Einkommensarten sei nicht vorzunehmen. Die Ungleichbehandlung von freiwillig versicherten und pflichtversicherten Mitgliedern sei verfassungsrechtlich zulässig (Urteil vom 15.12.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Die mit der in der Beschwerdebegründung geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) sind entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine abstrakt-generelle Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - allgemeine Bedeutung hat und aus Gründen der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedarf (Klärungsbedürftigkeit) und fähig (Klärungsfähigkeit) ist. Mit der Beschwerdebegründung ist daher aufzuzeigen, welche rechtliche Frage sich zu einer bestimmten Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG stellt. Hierzu ist anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auszuführen, weshalb eine Klärung erforderlich und im angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist. Schließlich ist darzulegen, dass der angestrebten Entscheidung eine über den Einzelfall hinausgehende Breitenwirkung zukommt (vgl BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger wirft folgende Frage auf:
"Sind Einkünfte eines freiwillig kranken- und pflegversicherten Selbständigen aus Kapitalvermögen ohne Abzug von Werbungskosten oder eines Sparerfreibetrages der Verbeitragung zu unterwerfen?"
Es kann dahinstehen, ob der Kläger damit eine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Anwendung, Auslegung oder Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) formuliert hat. Die Bezeichnung einer hinreichend bestimmten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist grundsätzlich unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).
Es fehlt jedenfalls an hinreichenden Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit der genannten Frage. Im Rahmen der Klärungsbedürftigkeit ist darzulegen, inwieweit sich weder aus den gesetzlichen Bestimmungen noch aus der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG hinreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ergeben. Auch wenn eine Rechtsfrage noch nicht ausdrücklich höchstrichterlich entschieden worden ist, so ist sie als geklärt anzusehen, wenn schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte auch zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17 sowie BSG Beschluss vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6).
Der Kläger weist selbst darauf hin, dass bereits einige höchstrichterliche Entscheidungen zu der Berücksichtigungsfähigkeit von Werbungskosten bei Überschusseinkünften - auch zur Rechtslage vor 2009 - ergangen sind. Danach ist gemäß § 240 Abs 1 Satz 2 SGB V die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen, wobei zu prüfen ist, welcher Anteil bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise für den Lebensunterhalt verfügbar ist. Bei Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht durch den Bruttobetrag der Miete, sondern durch den nach Abzug der Werbungskosten verbleibenden Betrag bestimmt (vgl BSG Urteil vom 23.9.1999 - B 12 KR 12/98 R - SozR 3-2500 § 240 Nr 31 - juris RdNr 15 ff; BSG Urteil vom 6.9.2001 - B 12 KR 5/01 R - SozR 3-2500 § 240 Nr 40 - juris RdNr 15). Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sind grundsätzlich in der Höhe zugrunde zu legen, die sich aus dem sie betreffenden Teil des Einkommensteuerbescheids unter Berücksichtigung steuerrechtlich anerkannter einkommensmindernder Aufwendungen ergeben. Die hierfür maßgebenden, vorwiegend teleologischen Gründe gelten im Wesentlichen ebenso für Einnahmen aus Kapitalvermögen (vgl BSG Urteil vom 28.5.2015 - B 12 KR 12/13 R - SozR 4-2500 § 240 Nr 26 RdNr 20 f). Dabei hat das BSG bei Einkünften aus Kapitalvermögen zwar den Abzug von Werbungskosten, nicht aber des Sparerfreibetrags anerkannt, weil durch diese rein steuerrechtliche Privilegierung die Höhe der zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Einnahmen iS des § 240 SGB V nicht berührt wird (vgl BSG Urteil vom 17.3.2010 - B 12 KR 4/09 R - SozR 4-2500 § 240 Nr 14 RdNr 23; BSG Urteil vom 9.8.2006 - B 12 KR 8/06 R - BSGE 97, 41 = SozR 4-2500 § 240 Nr 8, RdNr 19).
Der Kläger legt nicht hinreichend dar, weshalb sich aus dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht ausreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der von ihm aufgeworfenen Frage ergeben sollen. Soweit er darauf hinweist, dass das BSG für den Zugang zur Familienversicherung in der GKV entschieden habe, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen unter Abzug des Sparerfreibetrags zu berücksichtigen seien, beschäftigt er sich nicht mit dem unterschiedlichen Maßstab von § 10 SGB V iVm § 16 SGB IV (Gesamteinkommen) in der Familienversicherung und der Beitragsbemessung in der freiwilligen Krankenversicherung nach § 240 SGB V(vgl dazu zB BSG Urteil vom 22.5.2003 - B 12 KR 13/02 R - BSGE 91, 83 = SozR 4-2500 § 10 Nr 2 - juris RdNr 22 f; BSG Urteil vom 25.1.2006 - B 12 KR 2/05 R - SozR 4-2500 § 10 Nr 6 RdNr 18) .
Mit seiner Forderung, dass der Bewertung der Gerichte im Rahmen der vorzunehmenden Verbeitragung zu entsprechen sei und für Zeiträume vor dem 1.1.2009 Einkünfte aus Kapitalvermögen vermindert um ausdrücklich nachgewiesene Werbungskosten, aber mindestens vermindert um den Werbungskostenpauschbetrag zu verbeitragen seien, geht es dem Kläger im Kern um die richtige Rechtsanwendung. Dies reicht jedoch für die Zulassung der Revision nicht aus, denn Aufgabe der Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Klärung von grundsätzlichen Rechtsfragen zur Erhaltung der Rechtseinheit oder zur Fortbildung des Rechts (vgl BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7), nicht jedoch die weitere Entscheidung des Rechtsstreits im Einzelfall.
Unabhängig davon fehlen auch hinreichende Ausführungen des Klägers zur Breitenwirkung, soweit es ihm gerade um die Klärung der Rechtsfrage hinsichtlich ausgelaufenen (Satzungs-)Rechts geht. Denn eine außer Kraft getretene Vorschrift hat nach ständiger Rechtsprechung des BSG (zB Beschluss vom 26.3.2010 - B 11 AL 192/09 B - juris RdNr 10 mwN) in aller Regel keine grundsätzliche Bedeutung mehr. Der Kläger weist selbst darauf hin, dass inzwischen nach § 3 Abs 1b der Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler eine einheitliche Regelung zum Abzug von Werbungskosten existiert. Angesichts dieser ausdrücklichen Regelung entsprechend der bisherigen Rechtsprechung zeigt der Kläger eine fortwirkende allgemeine Bedeutung seiner Frage nicht substantiiert auf.
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur ordnungsgemäßen Bezeichnung (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Der Kläger rügt, das LSG habe unter Außerachtlassung seines Vortrags, die durch Werbungskosten erfolgte Reduzierung seiner Einkünfte aus Kapitalvermögen sei bei der Verbeitragung nicht berücksichtigt worden, die Berufung zurückgewiesen. Das LSG habe aber entweder seinen Vortrag bei der Entscheidung zugrunde legen oder aber im Rahmen der bestehenden Amtsermittlungspflicht den Sachverhalt weiter aufklären müssen. Damit hat der Kläger den Anforderungen an die Darlegungslast nicht genügt.
Soweit er mit seinen Ausführungen, das LSG habe wesentlichen Vortrag übergangen, einen Verstoß gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) geltend machen möchte, ist diese Rüge nicht hinreichend bezeichnet. Angesichts der Behauptung - auch unter A. 1. der Beschwerdebegründung -, das LSG habe die Verbeitragung der Einkünfte aus Kapitalvermögen ohne Berücksichtigung eines Werbungskostenabzugs für zutreffend gehalten, hätte es der Darlegung bedurft, dass der behauptete Vortrag des Klägers auch nach der Rechtsauffassung des LSG entscheidungserheblich gewesen sei. Das Prozessgericht ist nicht gehalten, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 8.4.2014 - 1 BvR 2933/13 - NZS 2014, 539, RdNr 13 mwN), ihn also zu "erhören". Vielmehr verpflichtet das Gebot des rechtlichen Gehörs nur, Darlegungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Hierbei ist das Gericht nicht verpflichtet, jedes Vorbringen ausdrücklich zu bescheiden. Der Gehörsanspruch ist erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände klar ergibt, dass das Gericht seiner Pflicht nicht nachgekommen ist (vgl BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 27.5.2016 - 1 BvR 1890/15 - SozR 4-1100 Art 103 Nr 4 RdNr 15 mwN; BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216). Solche Umstände gehen aus der Beschwerdebegründung nicht hervor.
Gleiches gilt für die Rüge einer Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 103 SGG). Insoweit fehlt es insbesondere auch an der erforderlichen Bezeichnung eines Beweisantrags, der bis zuletzt aufrechterhalten worden ist. Zwar sind in Verfahren, in denen ein Kläger vor dem LSG nicht rechtskundig vertreten ist, weniger strenge Anforderungen an die Form und den Inhalt eines Beweisantrags zu stellen. Auch ein unvertretener Kläger muss aber deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (vgl BSG Beschluss vom 12.5.2020 - B 12 KR 1/20 B - juris RdNr 10). Insoweit reicht es nicht aus, wenn in der Beschwerdebegründung lediglich unsubstantiiert behauptet wird, der Kläger habe "hinreichend auf eine unzutreffend erfolgte Verbeitragung seiner Einkünfte hingewiesen, um eine Amtsermittlungspflicht des LSG auszulösen". Dass der Kläger mit der Auswertung und Würdigung des Sachverhalts nicht einverstanden ist oder die angegriffene Entscheidung für rechtsfehlerhaft hält, begründet die Zulassung der Revision nicht.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15858404 |