Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage an den EuGH. Vorabentscheidung. deutscher Staatsangehöriger. Wanderarbeitnehmer. Grenzgänger. Beamter in Deutschland. Wohnsitz in Österreich. mittelbare Diskriminierung. nicht erwerbstätiger nicht-deutscher Ehegatte. Erziehungsgeld
Leitsatz (redaktionell)
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- Ist als Wanderarbeitnehmer iS der EWG-Verordnung Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeinehmer innerhalb der Gemeinschaft (EWGV 1612/68) für Zeiträume zwischen Januar 1994 und September 1998 auch ein deutscher Staatsangehöriger anzusehen, der im Jahre 1990 unter Beibehaltung seines in Deutschland bestehenden Dienstverhältnisses als Postbeamter seinen Wohnsitz von dort nach Österreich verlegt hat und seitdem seinen Beruf als Grenzgänger ausübt?
- Falls die Frage a) bejaht wird: Stellt es eine mittelbare Diskriminierung iS des Art. 7 Abs. 2 EWGV 1612/68 dar, wenn der in Österreich wohnende und die dortige Staatsangehörigkeit besitzende, nicht erwerbstätige Ehegatte der unter a) genannten Person in der betreffenden Zeit vom Bezug des deutschen Erziehungsgelds ausgeschlossen worden ist, weil er in Deutschland weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt hatte?
Normenkette
EGV Art. 234; EWGV 1612/68 Art. 7 Abs. 2; BErzGG § 1 Abs. 1 S. 1, Abs. 7, § 24 Abs. 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 01.07.2003) |
SG München (Urteil vom 14.02.2001) |
Tenor
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Erziehungsgeld (Erzg) für ihre Kinder Anna, geboren 29. März 1991, und Robert, geboren 20. Mai 1993, sowie für das erste Lebensjahr ihres Sohnes Peter, geboren 11. September 1997.
Die Klägerin ist österreichische Staatsangehörige. Sie übt keine Beschäftigung aus. Seit Mai 1990 ist sie mit einem deutschen Staatsangehörigen verheiratet, der zuvor in Deutschland gewohnt hat. Das Ehepaar lebt seither mit den gemeinsamen Kindern in Österreich. Der Ehemann hat seinen Arbeitsplatz als Beamter (seit 1986 der Deutschen Bundespost und ab 1995 der Deutschen Telekom AG) in Deutschland beibehalten.
Der Beklagte lehnte es ab, der Klägerin für Anna und Robert Erzg nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) zu gewähren, weil die Klägerin nicht in Deutschland wohne und hier auch kein Beschäftigungsverhältnis habe (Bescheid vom 25. September 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 1992, Bescheid vom 20. September 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 1994). Im Oktober 1996 gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) gestellte Überprüfungsanträge der Klägerin blieben ebenso erfolglos wie ihr Antrag auf Erzg für Peters erstes Lebensjahr (Bescheide vom 10. und 23. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 1998).
Das Sozialgericht München hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14. Februar 2001). Die Berufung ist vom Bayerischen Landessozialgericht (LSG) im Wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen worden (Urteil vom 1. Juli 2003): Die Klägerin wohne, anders als von § 1 Abs 1 Satz 1 BErzGG gefordert, nicht in Deutschland. Auch nach europäischem Gemeinschaftsrecht bestehe kein Anspruch auf Erzg. Die Klägerin sei selbst nicht Arbeitnehmerin und falle auch nicht als Familienangehörige eines Arbeitnehmers in den persönlichen Anwendungsbereich des einschlägigen Gemeinschaftsrechts. Ihr Ehemann sei, soweit es um die Familienleistung Erzg gehe, als Beamter nicht Arbeitnehmer im Sinne des Anhangs I Teil I Abschnitt C Verordnung des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) Nr 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EWGV 1408/71) damaliger Fassung. Zwar sei der persönliche und sachliche Anwendungsbereich des Art 7 Abs 2 Verordnung des Rates der EWG Nr 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (EWGV 1612/68) gegeben. Darauf lasse sich der geltend gemachte Anspruch aber nicht stützen, weil die EWGV 1408/71 als speziellere Norm der EWGV 1612/68 vorgehe.
Die Klägerin macht mit ihrer Revision eine Verletzung europäischen Gemeinschaftsrechts geltend. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, der Ehemann der Klägerin sei kein Arbeitnehmer iS des Art 1 Buchst a Ziffer ii EWGV 1408/71, weil er – als Beamter – nicht für den Fall der Arbeitslosigkeit pflichtversichert gewesen sei. Für Grenzgänger sei von dem Vorbehalt Deutschlands in Anhang I Teil I Abschnitt C EWGV 1408/71 eine (Gegen-)Ausnahme zu machen. Die – 1999 erfolgte – Änderung dieser Sondervorschrift habe im Übrigen nur klarstellende Bedeutung gehabt, sei also bereits auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Zu Unrecht habe das LSG ferner angenommen, wegen eines Anwendungsvorrangs der EWGV 1408/71 seien ihre auch nach Auffassung des LSG auf Grund der EWGV 1612/68 bestehenden Ansprüche ausgeschlossen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Bayerischen LSG vom 1. Juli 2003 und des SG München vom 14. Februar 2001 aufzuheben sowie den Beklagten unter Aufhebung der drei Bescheide vom 10. und 23. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. September 1998 zu verurteilen, ihr – unter Rücknahme des Bescheides vom 25. September 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Januar 1992 sowie des Bescheides vom 20. September 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 1994 – Erzg für ihre Kinder Anna und Robert sowie für das erste Lebensjahr ihres Kindes Peter zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegten Rechtsfragen zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts sind entscheidungserheblich und klärungsbedürftig.
Allein nach innerstaatlichem Recht steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
Das folgt hinsichtlich Anna für die Zeit bis Ende 1991 bereits daraus, dass auf den im Oktober 1996 gestellten Überprüfungsantrag Leistungen rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren erbracht werden könnten (§ 44 Abs 4 SGB X). Im Übrigen liegen nach den Tatsachenfeststellungen des LSG zwar die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nr 2 bis 4 BErzGG in der hier einschlägigen Fassung vom 31. Januar 1994 (BGBl I 180, im Folgenden: aF) vor, also Haushaltsgemeinschaft mit den Kindern, Betreuung der Kinder, keine volle Erwerbstätigkeit; der Anspruch scheitert jedoch daran, dass die Klägerin, anders als in § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG aF gefordert, während der streitigen Zeiträume (29. März 1991 bis 28. September 1992, 20. Mai 1993 bis 19. Mai 1995 und 11. September 1997 bis 10. September 1998) in Deutschland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Sie fällt auch nicht unter § 1 Abs 4 BErzGG aF, der für EG-Angehörige und Grenzgänger aus den unmittelbaren Nachbarstaaten Deutschlands einen Anspruch vorsah, sofern sie eine mehr als geringfügige Beschäftigung in Deutschland ausübten. Denn die Klägerin ist in Deutschland nicht beschäftigt.
Auf die Klägerin ist schließlich noch nicht § 1 Abs 7 BErzGG in der Fassung vom 12. Oktober 2000 (BGBl I 1426) anzuwenden, wonach sie als ein in einem anderen Mitgliedstaat der EG wohnender Ehegatte einer in Deutschland in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis stehenden Person Anspruch auf Erzg haben könnte. Diese Vorschrift ist gemäß § 24 Abs 1 BErzGG (Fassung vom 12. Oktober 2000) bei vor dem 1. Januar 2001 geborenen Kindern nicht anwendbar. Anders als bei der gleichzeitig erfolgten klarstellenden Einbeziehung selbstständig Tätiger (vgl dazu Senatsurteil vom 11. Dezember 2003 – B 10 EG 4/02 R –, SozR 4-7833 § 1 Nr 2) handelt es sich bei der Erstreckung der Anspruchsberechtigung auf im EG-Ausland wohnende Beamtenehegatten gegenüber dem bis Ende 2000 geltenden Recht – jedenfalls für die hier streitbefangene Zeit vor dem 1. September 1999 – um eine echte Erweiterung des begünstigten Personenkreises. Soweit diese Regelung europarechtlichen Entwicklungen Rechnung tragen sollte (Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks 14/3118, S 14), ist zu berücksichtigen, dass Beamte in den für die Inanspruchnahme deutscher Familienleistungen bedeutsamen Anhang I Teil I Abschnitt C EWGV 1408/71 erst mit Wirkung vom 1. September 1999 einbezogen worden sind (vgl Änderungsverordnung Nr 1399/99 vom 29. April 1999, ABl EG L 164/1 vom 30. Juni 1999).
Auch im deutsch-österreichischen Abkommensrecht findet sich für die geltend gemachten Ansprüche keine Grundlage. Das Abkommen vom 22. Dezember 1966 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über soziale Sicherheit (BGBl 1969 II, 1235) bezog sich nach seinem Art 2 Abs 1 Nr 2 Buchst e sachlich nur auf die Familienleistung Kindergeld. Durch Art 2 Abs 2 aaO war zudem sichergestellt, dass das später (zum 1. Januar 1986) eingeführte Erzg nicht ohne Abkommensergänzung in das zwischenstaatliche Recht einbezogen werden konnte:
(2) Dieses Abkommen bezieht sich nicht auf Rechtsvorschriften über ein neues System oder einen neuen Zweig der sozialen Sicherheit.
Das Abkommen vom 4. Oktober 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über soziale Sicherheit (BGBl 1998 II, 313) bestätigt in Art 2 Abs 4 den Ausschluss des Erzg ausdrücklich:
(4) Dieses Abkommen bezieht sich nicht auf das Erziehungsgeld nach den deutschen Rechtsvorschriften und das Karenzurlaubsgeld nach den österreichischen Rechtsvorschriften.
Mit In-Kraft-Treten des Abkommens vom 2. Mai 1992 über den Europäischen Wirtschaftsraum (BGBl 1993 II, 267) am 1. Januar 1994 gilt für Österreich auch das europäische Gemeinschaftsrecht (vgl Ivansits, SozSich Öst 1994, 235). Die insoweit einschlägige EWGV 1408/71 in der hier anzuwendenden konsolidierten Fassung (ABl EG C 335/1 vom 10. Dezember 1992, geändert durch Verordnungen Nr 3095/95 und Nr 3096/95 vom 22. Dezember 1995, ABl EG L 335/1 und 10 vom 30. Dezember 1995) enthält ebenfalls keine Grundlage, auf die sich der Anspruch der Klägerin – für Leistungszeiträume ab 1. Januar 1994, also für die Kinder Robert und Peter – stützen ließe. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (vgl Slg 1996, I-4895 = SozR 3-6050 Art 4 Nr 8; Slg 1998, I-2691 = SozR 3-7833 § 1 Nr 22) und des erkennenden Senats (vgl zuletzt Senatsurteile vom 27. Mai 2004 – B 10 EG 1/04 R –, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen, und – B 10/14 EG 1/01 R –, SGb 2004, 421) wird das Erzg allerdings als Familienleistung vom sachlichen Geltungsbereich dieser Verordnung erfasst (vgl Art 1 Buchst u Ziffer i, Art 4 Abs 1 Buchst h EWGV 1408/71).
Die EWGV 1408/71 ist aber persönlich auf die Klägerin nicht anwendbar, obwohl der EuGH deren Art 73 über seinen Wortlaut hinaus dahin ausgelegt hat, dass auch der Ehegatte eines Arbeitnehmers, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegt und mit seiner Familie in einem anderen Mitgliedstaat lebt, im Mitgliedstaat der Beschäftigung Anspruch auf eine Leistung wie das Erzg hat (vgl Urteil vom 10. Oktober 1996 – C-245/94 und C-312/94 –, Slg 1996, I-4895 = SozR 3-6050 Art 4 Nr 8). Diese Rechtsprechung kommt der Klägerin nicht zu gute. Denn ihr Ehemann ist, soweit es um Erzg geht, nicht als Arbeitnehmer iS der EWGV 1408/71 anzusehen, weil er als Beamter nicht die Voraussetzungen des Anhangs I Teil I Abschnitt C EWGV 1408/71 damaliger Fassung erfüllte (vgl dazu EuGH, Urteil vom 5. März 1998 – C-194/96 –, Slg 1998, I-921 = SozR 3-6050 Art 73 Nr 12). Diese Vorschrift ist erst mit Wirkung vom 1. September 1999 zu Gunsten von Beamten (mit einer Besoldung in bestimmter Mindesthöhe) erweitert worden (vgl Änderungsverordnung Nr 1399/99 vom 29. April 1999, ABl EG L 164/1 vom 30. Juni 1999). Das muss sich der Ehemann der Klägerin auch als Grenzgänger entgegenhalten lassen, da der Begriff “Grenzgänger” voraussetzt, dass jemand Arbeitnehmer oder Selbstständiger iS der EWGV 1408/71 ist (vgl Art 1 Buchst b EWGV 1408/71). Der EuGH hat die Einschränkung des Arbeitnehmerbegriffs in Anh I Teil I Abschnitt C EWGV 1408/71 mehrfach für mit dem primären Gemeinschaftsrecht vereinbar gehalten (vgl EuGH, Urteil vom 12. Juni 1997 – C-266/95 –, Slg 1997, I-3279 = SozR 3-6050 Art 73 Nr 11; Urteil vom 5. März 1998 – C-194/96 –, Slg 1998, I-895 = SozR 3-6050 Art 73 Nr 12; Urteil vom 12. Mai 1998 – C-85/96 –, Slg 1998, I-2691 = SozR 3-7833 § 1 Nr 22).
Ob sich der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch aus der EWGV 1612/68 herleiten lässt, ist zweifelhaft; allerdings nicht deshalb, weil die EWGV 1408/71 als speziellere Norm für die in ihr geregelten Gegenstände – darunter das Erzg als Familienleistung – die EWGV 1612/68 verdrängt, wie das LSG angenommen hat. Diese Auffassung stützt sich allein auf eine Literaturstimme (Haverkate/Huster, Europäisches Sozialrecht, 1. Aufl 1999, RdNr 101; vgl auch Huster, NZS 1999, 10, 13, 15 f). Die Frage ist durch den EuGH (Urteile vom 10. März 1993 – C-111/91 –, Slg 1993, I-817, RdNr 21 und vom 27. Mai 1993 – C-310/91 –, Slg 1993, I-3011, RdNr 17; vgl auch die Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache C-254/94, Slg 1996, I-4895, RdNr 85) aber bereits dahin geklärt, dass beide Verordnungen nebeneinander anzuwenden sind (vgl zur Prüfungsreihenfolge EuGH, Urteil vom 27. März 1985 – Rechtssache 122/84, Slg 1985, 1027, RdNr 16 und Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache C-57/96, Slg 1997, I-6689, RdNr 8 ff). Der Senat sieht keine Veranlassung, diese Rechtsprechung in Zweifel zu ziehen.
Nach Art 7 Abs 1 EWGV 1612/68 darf ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer. Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie inländische Arbeitnehmer (§ 7 Abs 2 EWGV 1612/68).
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist das Erzg eine soziale Vergünstigung iS des § 7 Abs 2 EWGV 1612/68 (vgl Urteil vom 12. Mai 1998 – C-85/96 –, Slg 1998, I-2691 = SozR 3-7833 § 1 Nr 22 S 106). Die in dieser Bestimmung vorausgesetzte Arbeitnehmereigenschaft ist nicht identisch mit dem Arbeitnehmerbegriff, der im Bereich der EWGV 1408/71 gilt (EuGH SozR 3-7833 § 1 Nr 22 S 107). Im Rahmen des Art 48 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVtr) und der EWGV 1612/68 ist als Arbeitnehmer anzusehen, wer in einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. In diesem Sinne ist auch der als Beamter tätige Ehemann der Klägerin Arbeitnehmer (vgl EuGH, Urteil vom 5. März 1998 – C-194/96 –, Slg 1998, I-895 = SozR 3-6050 Art 73 Nr 12; zur Bedeutungslosigkeit der Rechtsnatur des Beschäftigungsverhältnisses auch EuGH, Urteile vom 12. Februar 1974 – Rs 152/73 –, Slg 1974, 153, RdNr 5, vom 3. Juli 1986 – Rs 66/85 –, Slg 1986, 2139, RdNr 20, und vom 24. März 1994 – C-71/93 –, Slg 1994, I-1101, RdNr 17).
Die Klägerin wäre von der EWGV 1612/68 erfasst, wenn ihr Ehemann von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätte. Familienangehörige eines Arbeitnehmers (vgl Art 10 EWGV 1612/68) sind insoweit mittelbare Nutznießer der Gleichbehandlung, die diesem durch Art 7 EWGV 1612/68 zuerkannt wird (vgl EuGH, Urteil vom 18. Juni 1987 – C-316/85 –, Slg 1987, 2832). Dies schließt das Recht ein, sich ggf auch selbst auf Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 berufen zu können (vgl EuGH, Urteil vom 26. Februar 1992 – C-3/90 –, Slg 1992, I-1071).
Daran ist die Klägerin nicht etwa deshalb gehindert, weil ihr Ehemann unter Art 48 Abs 4 (jetzt Art 39 Abs 4) EGVtr fiele, wonach die Freizügigkeitsgarantie auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung keine Anwendung findet. Denn als Beamter der Deutschen Telekom AG ist er – selbst mittelbar – nicht hoheitlich tätig, sondern in einem Unternehmen der Daseinsvorsorge beschäftigt, das den in Art 48 Abs 4 (jetzt Art 39 Abs 4) EGVtr funktionell verstandenen Begriff der “öffentlichen Verwaltung” nicht erfüllt (vgl Franzen in Streinz/Franzen, Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Begründung der Europäischen Gemeinschaft, 2003, Art 39 EGVtr, RdNr 152 ff mwN). Im Übrigen erlaubt es Art 39 Abs 4 EGVtr den Mitgliedstaaten lediglich, ausländische Bewerber vom Zugang zu den dort beschriebenen Positionen auszuschließen, macht aber keine Ausnahme vom Zwang zur Gleichbehandlung aller, die eine solche Stellung bereits erreicht haben (EuGH, Urteil vom 12. Februar 1974 – Rs 152/73 –, Slg 1974, 153, RdNr 4; Franzen aaO RdNr 155).
Zweifelhaft ist aber, ob der Ehegatte eines Arbeitnehmers sich auf eigene Rechte aus der EWGV 1612/68 bereits dann berufen kann, wenn der Arbeitnehmer, ohne jemals sein Beschäftigungsverhältnis im Mitgliedstaat seiner Staatsangehörigkeit gewechselt zu haben, heiratet und seinen Wohnsitz in den Mitgliedstaat verlegt, dem der Ehegatte angehört.
Das erscheint nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH fraglich. Auszugehen ist von dem Grundsatz, dass die gemeinschaftsrechtlichen Regelungen über die Freizügigkeit von Arbeitnehmern nicht auf Personen anzuwenden sind, die niemals das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Gemeinschaft ausgeübt haben (vgl EuGH, Urteil vom 5. Juni 1997 – C-64 und 65/96 –, Slg 1994, I-3171, RdNr 17). Bislang hat der EuGH das Ziel der Art 48 f (jetzt Art 39 f) EGVtr und der zu ihrer Durchführung ergangenen EWGV 1612/68 in erster Linie darin gesehen, dass es einem Arbeitnehmer möglich gemacht wird, frei in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort aufzuhalten, um eine Tätigkeit auszuüben (vgl EuGH aaO RdNr 21). Diese Sichtweise legt es nahe, ein Gebrauchmachen von der Freizügigkeit nur dann anzunehmen, wenn der Wechsel in einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Erwerbstätigkeit erfolgt (vgl zB Schlussanträge des Generalanwalts Darmon in der Rechtssache C-112/91, Slg 1993, I-454, RdNr 30). Das ist bei Inländern nicht der Fall, die unter Beibehaltung ihrer Beschäftigung im Inland lediglich ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen (vgl Franzen, aaO, Art 39 EGVtr, RdNr 35; dazu auch EuGH, Urteil vom 26. Januar 1993 – C-112/91 –, Slg 1993, I-429). Danach wäre der Ehemann der Klägerin nicht als Wanderarbeitnehmer iS der EWGV 1612/68 anzusehen. Seine deutsche Staatsangehörigkeit allein steht allerdings einer Anwendung der EWGV 1612/68 gegenüber einem deutschen Träger nicht entgegen (vgl dazu EuGH, Urteil vom 26. Januar 1999 – C-18/95 –, Slg 1999, I-345).
Der gemeinschaftsrechtliche Freizügigkeitsbegriff könnte inzwischen weniger eng auszulegen sein als nach der dargestellten Rechtsprechung, weil mittlerweile ein allgemeines, von einer wirtschaftlichen Tätigkeit unabhängiges, durch Art 18 EGVtr (zuvor Art 8a EGVtr) als Schlusspunkt jahrzehntelanger Entwicklung jetzt auch primärrechtlich gewährleistetes Aufenthaltsrecht anerkannt ist. Das könnte dazu geführt haben, dass der Begriff der Freizügigkeit im Rahmen der EWGV 1612/68 für die hier streitigen Zeiträume (1994 bis 1998) bereits durchgehend oder von einem bestimmten Zeitpunkt an von dem Erfordernis eines wirtschaftlichen Zwecks befreit war (vgl Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in den Rechtssachen C-245 und 312/94, Slg 1996, I-4898, RdNr 99 f; Wölker in von der Groeben/Thiesing/Ehlermann, Kommentar zum EU/EG-Vertrag, 5. Aufl 1997, Vorbem zu Art 48 bis 50, RdNr 24). In diesem Sinne lassen sich namhafte Stimmen in der Literatur verstehen. Der bloße Wohnortwechsel eröffnet nach Husmann (SGb 1998, 245, 249) und Schlegel (in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, 2003, § 37 RdNr 75) als grenzüberschreitender Sachverhalt jedenfalls den Zugang zur EWGV 1408/71. Dieselbe Auffassung vertreten Nowack (BB 1993, 982, 984) und Herzig/Dautzenberg (DB 1997, 8, 11) für die Niederlassungsfreiheit nach Art 52 (jetzt Art 43) EGVtr (aA Bundesfinanzhof, BFHE 185, 30).
Wird die erste Vorlagefrage zu Gunsten der Klägerin beantwortet, ist ihr Ehemann also Wanderarbeitnehmer, so ist weiter zu prüfen, ob Art 7 Abs 2 EWGV dadurch verletzt ist, dass die Klägerin in der streitigen Zeit nach dem BErzGG aF von dem Bezug des Erzg ausgeschlossen worden ist, weil sie in Deutschland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Vorab wirft der Umstand, dass der Ehemann der Klägerin seiner Erwerbstätigkeit in Deutschland als Grenzgänger von seinem österreichischen Wohnsitz aus nachgegangen ist, die Frage auf, ob sich die Klägerin in Bezug auf das deutsche Erzg uneingeschränkt auf Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 berufen kann.
Der Begriff der sozialen Vergünstigung, auf den Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 verweist, deckt nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH (vgl SozR 3-7833 § 1 Nr 22 S 106 mwN) alle Vergünstigungen, die – ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht – an inländische Arbeitnehmer hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnsitzes im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaates sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität zu erleichtern. Dieser weit gefasste Begriff könnte bei Grenzgängern, die als solche auch durch die EWGV 1612/68 begünstigt werden (vgl EuGH, Urteil vom 27. November 1997 – C-57/96 –, Slg 1997, I-6689), zu Unzuträglichkeiten führen, die eine einschränkende Auslegung als sachgerecht erscheinen lassen könnten.
Schon Wortlaut und Kontext des Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 legen es nahe, nur diejenigen Leistungen als soziale Vergünstigungen zu qualifizieren, die einen Bezug zur Tätigkeit eines Arbeitnehmers aufweisen oder mit dieser verbunden sind (vgl Huster aaO S 10 f unter Hinweis auf EuGH Slg 1973, 457, 463). Der Senat sieht an dieser Stelle davon ab, die Entwicklung des Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 zu einer Auffangnorm jenseits der Rechtswirkungen der EWGV 1408/71 allgemein zu problematisieren (so aber Huster aaO S 10, 11 mwN zur einschlägigen Rechtsprechung des EuGH). Immerhin könnte bereits das Fehlen von Koordinierungsregelungen in der EWGV 1612/68 für eine begrenzte Anwendung des Art 7 Abs 2 dieser Verordnung gerade bei Grenzgängern sprechen, die regelmäßig auch in ihrem Wohnsitzstaat Zugang zu sozialen Vergünstigungen haben. Dazu lässt sich feststellen, dass das persönliche Anknüpfungsmerkmal der Arbeitnehmereigenschaft im als Diskriminierungsverbot gefassten Art 7 EWGV 1612/68 noch keinen unmittelbaren Anspruch auf innerstaatliche Leistungen verschafft. Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 gebietet auch nicht ausdrücklich den Export der von ihm erfassten Leistungen in einen anderen Mitgliedstaat, sondern bewirkt lediglich über das Diskriminierungsverbot faktisch einen Export (vgl näher Huster aaO S 11 f). Wenn in Fällen wie hier der Export sozialer Vergünstigungen vom nationalen Gesetzgeber grundsätzlich nicht gewollt ist, erscheint es erwägenswert, ihn gemeinschaftsrechtlich nur zu erzwingen, soweit die begehrte Leistung auf dem Beschäftigungsverhältnis selbst beruht (vgl dazu auch Schlussantrag des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache C-57/96, Slg 1997, I-6689, RdNr 58).
Selbst wenn der EuGH einer derartigen Auslegung des Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 bei Grenzgängern näher treten wollte, fragt es sich, ob diese Begrenzung im vorliegenden Zusammenhang greifen würde. Zwar knüpft das BErzGG nach den Grundvoraussetzungen (§ 1 Abs 1 aaO) eine Leistungsberechtigung nicht an ein Arbeitsverhältnis, vielmehr steht eine zu umfangreiche Erwerbstätigkeit einem Erzg-Anspruch sogar entgegen (vgl dazu BSG SozR 4-6720 Art 38 Nr 1 S 3). Gerade bei einem Leistungsexport hat ein in Deutschland verankertes gegenwärtiges oder früheres Beschäftigungs- oder Dienstverhältnis aber doch Bedeutung (vgl § 1 Abs 2 und 4 BErzGG aF).
Kann sich die Klägerin auf Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 berufen, fragt es sich, ob der Ausschluss vom Erzg für sie eine danach verbotene Diskriminierung darstellt. Ihre Anspruchsberechtigung scheitert daran, dass sie weder einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt (vgl § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG aF) noch eine mehr als geringfügige Beschäftigung (vgl § 1 Abs 4 BErzGG aF) in Deutschland hatte.
Eine unmittelbare Diskriminierung iS von Art 7 EWGV 1612/68 liegt hier nicht vor, weil die Differenzierung nicht nach dem Kriterium der Staatsangehörigkeit erfolgt. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH verbietet der sowohl in Art 48 EGVtr als auch in Art 7 EWGV 1612/68 niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz jedoch nicht nur offene Diskriminierungen auf Grund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verdeckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen. Eine Vorschrift des nationalen Rechts, die nicht objektiv gerechtfertigt ist und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, diskriminiert mittelbar, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf fremde Arbeitnehmer als auf inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, dass sie fremde Arbeitnehmer besonders benachteiligt (vgl zB EuGH, Urteil vom 27. November 1997 – C-57/96 –, Slg 1997, I-6689).
Die einem Erzg-Anspruch der Klägerin entgegenstehenden Voraussetzungen wirken sich eher auf fremde als auf inländische Arbeitnehmer aus. Das Erfordernis eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland können deutsche Arbeitnehmer regelmäßig leichter erfüllen als ausländische (vgl dazu zB EuGH SozR 3-6050 Art 73 Nr 11 S 43). Zwar hat der bundesdeutsche Gesetzgeber den diskriminierenden Charakter dieses Kriteriums offenbar erkannt, jedoch für Wanderarbeitnehmer mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat nur unter der Bedingung Abhilfe geschaffen, dass diese in Deutschland mehr als geringfügig beschäftigt sind. Beamte sowie die Ehegatten von Wanderarbeitnehmern sind dabei unberücksichtigt geblieben. Die Anforderungen des § 1 Abs 4 BErzGG aF betreffen fremde Arbeitnehmer (und ihre Familien) besonders, da deutsche typischerweise im Inland wohnen.
Der erkennende Senat hat Zweifel, ob die Regelungen in § 1 Abs 1 Nr 1, Abs 4 BErzGG aF, soweit die Klägerin davon betroffen ist, objektiv gerechtfertigt sind und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen.
Der Gesetzgeber hat in Bezug auf das Erzg nicht uneingeschränkt an das Territorialitätsprinzip angeknüpft, sondern Ausnahmen für den Leistungsexport zugelassen (vgl § 1 Abs 2 und Abs 4 BErzGG aF). Nur soweit die dort genannten Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt werden, tritt das durch das Territorialitätsprinzip ausgelöste Exportverbot wieder in den Vordergrund. An sich gibt es gute Gründe für diese Leistungsbegrenzung, die aus Natur und Zweck der Leistung abzuleiten sind.
Durch den Bezug von Erzg soll ermöglicht oder erleichtert werden, dass sich ein Elternteil in der für die ganze spätere Entwicklung entscheidenden ersten Lebensphase eines Kindes dessen Betreuung und Erziehung widmet (Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks 10/3792, S 1). Die Zahlung dient der Anerkennung der Erziehungsleistung junger Familien (vgl BT-Drucks 10/3792, S 13) und der Förderung der Geburtenrate, wobei sie die Entscheidung für das Kind und gegen den Schwangerschaftsabbruch erleichtern soll (vgl aaO S 1 ff). Im Vordergrund steht der Zweck, Eltern die eigene Betreuung ihrer Kinder durch Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit oder durch deren Einschränkung zu ermöglichen (vgl Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 6. Juli 2004 – 1 BvR 2515/95 – RdNr 33; vergleichbare Argumentation auch bei EuGH, Urteil vom 11. Juni 1998 – C-275/96 –, Slg 1998, I-3419; siehe auch Becker, Die Koordinierung von Familienleistungen – Praktische und rechtliche Fragen der Anwendung der VO 1408/71, in: Schulte/Barwig, Freizügigkeit und Soziale Sicherheit, 1999, S 191, 199 ff). Dem liegt als Motiv des Gesetzgebers auch der Gedanke zu Grunde, dass durch das Aufziehen eines Kindes in Deutschland ein Beitrag zur künftigen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Existenz der Gesellschaft in diesem Staat geleistet wird (vgl BSG, Urteil vom 22. Februar 1995 – 14 REg 4/94 –, SozR 3-7833 § 1 Nr 13 S 57, 60; Senatsurteil vom 23. September 2004 – B 10 EG 2/04 R –; zum Bundeskindergeldgesetz bereits BSGE 53, 294 = SozR 5870 § 1 Nr 10; BSGE 63, 47 = SozR 5870 § 1 Nr 14; dazu näher Felix, ZAR 1994, 124, 130 mwN). Dementsprechend ist der Gesetzgeber in der Weise vorgegangen, dass er den Anspruch auf Erzg bei Ausländern mit Inlandswohnsitz (vgl dazu § 1 Abs 1a BErzGG aF) auf jene begrenzt hat, von denen zu erwarten ist, dass sie auf Dauer in Deutschland bleiben (vgl Senatsurteil aaO mit Hinweis auf BT-Drucks 12/4401, S 46); ebenso hat er sich nicht verpflichtet gesehen, den Leistungsbezug zuzulassen, wenn bei Auslandswohnsitz eine vergleichbare Verbindung durch einen Beitrag zum Arbeitsmarkt oder zur innerstaatlichen Gesellschaft fehlt.
Fraglich ist demnach, ob die Forderung einer verstärkten Bindung an den deutschen Arbeitsmarkt – wie hier in Gestalt einer mehr als geringfügigen Beschäftigung – durch die mit der Leistung von Erzg als sozialer Vergünstigung verfolgten Ziele gerechtfertigt werden kann. Das Kriterium eines Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze iS von § 8 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) aF (vgl § 1 Abs 4 BerzGG aF) knüpft den Zugang zur Erzg-Leistung bei Auslandswohnsitz an das Bestehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Deutschland. Erst die mehr als geringfügige Beschäftigung vermittelt grundsätzlich die Sozialversicherungspflicht des Arbeitsverhältnisses (vgl nur Merten in GK-SGB IV § 8 RdNr 5); der Sozialversicherungspflichtigkeit des Arbeitsverhältnisses (und der damit verbundenen Beitrags- und Lohnsteuerzahlung) könnte in vorliegendem Sachzusammenhang eine vergleichbare Bedeutung als Anspruchsvoraussetzung zukommen wie der Prognose dauernden Inlandsaufenthalts bei in Deutschland wohnenden Ausländern iS von § 1 Abs 1a BErzGG aF. So gesehen wäre es unerheblich, dass das Erzg keine Versicherungsleistung ist, sondern aus Steuermitteln finanziert wird (vgl § 11 BErzGG), und dass auch für geringfügig Beschäftigte eine pauschale Einkommensteuer abgeführt wird (vgl § 40a Abs 2 Einkommensteuergesetz).
Beim gegenwärtigen Stand des europäischen Gemeinschaftsrechts ist es Sache des für die Sozialpolitik zuständigen nationalen Gesetzgebers, die zur Verwirklichung seiner sozial- und beschäftigungspolitischen Ziele geeigneten Maßnahmen zu wählen (vgl EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 – C-317/93 –, Slg 1995, I-4625, RdNr 33). Daher mag der Gesetzgeber einen legitimen Gestaltungsspielraum für eine typisierende Regelung haben und nicht darauf Rücksicht nehmen müssen, inwieweit der anspruchstellende Arbeitnehmer mit Steuerzahlungen zur Finanzierung des Erzg beiträgt. Er wäre dann nicht gehindert, den bevölkerungspolitischen Beitrag zur Sicherung der Sozialversicherungssysteme durch die Abgaben eines nicht geringfügig Beschäftigten als Maß für einen hinreichenden Inlandsbezug zu nehmen.
Die Zweifel an der gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit der streitigen Einschränkung des Exports von Erzg bei Grenzgängern beruhen demgegenüber auf folgenden Überlegungen: Zum einen hat das Erfordernis einer mehr als geringfügigen Inlandsbeschäftigung gerade beim Erzg etwas Sinnwidriges an sich, da diese Leistung nicht zuletzt den Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit erleichtern soll (Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks 10/3792, S 13). In dem Nebeneinander von Verbot einer vollen Erwerbstätigkeit (vgl die 19-Stunden-Grenze in § 2 Abs 1 BErzGG aF) und Gebot eines Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze nach § 8 Abs 1 SGB IV aF (15 Stunden/Woche) zeigt sich ein deutlicher Wertungswiderspruch. Dieser wäre wesentlich entschärft worden, wenn die Gesetzgeber auch damals schon Ehegatten von Wanderarbeitnehmern berücksichtigt hätten. Zum anderen handelt es sich bei § 1 Abs 4 BErzGG aF um eine auf Wanderarbeitnehmer und Grenzgänger gezielte, nur diese betreffende Anforderung, durch die ein Teil dieses Personenkreises (hier die Beamten) direkt ungleich behandelt wird. Es fragt sich, ob ein Mitgliedstaat insoweit überhaupt andere Anforderungen an den Arbeitnehmerstatus stellen darf als im Gemeinschaftsrecht vorgesehen. Erst recht ist es bedenklich, wenn er sich dabei eines Kriteriums (§ 8 SGB IV) bedient, das im Sozialversicherungsrecht seinen Platz hat (vgl dazu EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 – C-317/93 –, Slg 1995, I-4625 = SozR 3-6083 Art 4 Nr 11), aber schwerlich zur Begrenzung der Inanspruchnahme steuerfinanzierter Leistungen geeignet ist. Der Ausschluss von Beamten ist insoweit ebenso schwer zu rechtfertigen wie der von Ehegatten der Wanderarbeitnehmer. Abgesehen davon, dass die Ehegatten von bestimmten im Ausland wohnenden Personen bereits seinerzeit im Rahmen des § 1 Abs 2 BErzGG aF begünstigt waren, hat der Gesetzgeber Beamte und deren Ehegatten, die Angehörige eines Mitgliedstaates sind und in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, selbst mit Wirkung ab 1. Januar 2001 nach Maßgabe des § 1 Abs 7 BErzGG idF vom 12. Oktober 2000 in den Kreis der Anspruchsberechtigten aufgenommen (zu den am Gemeinschaftsrecht orientierten Motiven vgl die Begründung zum Gesetzentwurf, BT-Drucks 14/3118, S 14).
Fundstellen
Haufe-Index 1342658 |
ZBR 2005, 265 |