Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 20.09.2017; Aktenzeichen L 7 SF 10/16 EK U) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. September 2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Mit Urteil vom 20.9.2017 hat das Hessische LSG als Entschädigungsgericht das beklagte Land verurteilt, an die Klägerin wegen überlanger Dauer des vor dem SG Frankfurt am Main unter dem Aktenzeichen S 8 U 187/06 (fortgeführt unter S 8 U 161/12) geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 2500 Euro zzgl Zinsen zu zahlen und die weitergehende Klage abgewiesen. Das zugrunde liegende Ausgangsverfahren, bei dem es sich um eine unfallversicherungsrechtliche Streitigkeit über die Zahlung einer Unfallrente für einen Arbeits- bzw Wegeunfall gehandelt habe, sei sowohl hinsichtlich seiner Schwierigkeit als auch seiner Bedeutung als überdurchschnittlich anzusehen. Da die Entschädigungsklage den Anspruch für die Zeitdauer von Juli 2009 bis Februar 2014 beschränke, verbleibe unter Berücksichtigung einer Verfahrensdauer von bis zu 12 Monaten je Instanz als Vorbereitungs- und Bedenkzeit für die Zeitdauer der Aussetzung des Verfahrens von Dezember 2009 bis Januar 2012 ein Zeitraum von 25 Monaten, der wegen Stillstands der Rechtspflege zu entschädigen sei. Die weiteren verbleibenden Monate seien im Rahmen einer Gesamtabwägung auch unter Berücksichtigung des prozessualen Verhaltens der Klägerin nicht zu einer dem Ausgangsgericht anzulastenden Verzögerung zu rechnen. Ausgehend von der 25-monatigen Überlänge des gerichtlichen Verfahrens und dem in § 198 Abs 2 S 3 GVG vorgegebenen Richtwert von 1200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung belaufe sich der der Klägerin zustehende angemessene Entschädigungsbetrag auf 2500 Euro. Eine weitergehende Entschädigung sei nicht zu zahlen. Ein höherer Betrag sei auch nicht nach § 198 Abs 2 S 4 GVG anzusetzen.
Mit ihrem Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) für die Erhebung einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil macht die Klägerin ua eine Abweichung der Entscheidung des LSG von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Bundessozialgerichts (BSG) geltend. Ihr stehe weitere Entschädigung wegen der gerichtlichen Untätigkeit zu. Das Entschädigungsgericht habe fälschlich darauf abgestellt, dass der Rechtsstreit der Klägerin komplizierte Sach- und Rechtsfragen aufwerfe. Soweit das Entschädigungsgericht ausführe, dass die Gerichte aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft den Richtern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuweisen, die dann aus tatsächlichen Gründen inhaltlich nicht tiefgehend bearbeitet werden könnten, weiche es von der Rechtsprechung des BVerfG vom 12.12.1973 (Az 2 BvR 558/73) ab, wonach der verfassungsrechtliche Anspruch auf eine angemessene Verfahrensdauer grundsätzlich unabhängig von der Ausstattung der Justiz zu erbringen sei. Auch sei das Entschädigungsgericht von dem Urteil des BSG vom 12.2.2015 (B 10 ÜG 11/13 R) abgewichen, welches davon ausgehe, dass die Verfahrensdauer von 12 Monaten je Instanz noch vertretbar sei. Da eine Berechnung der inaktiven Verfahrenszeiten gänzlich fehle, weiche das Entschädigungsgericht auch von dem Urteil des BSG vom 3.9.2014 (B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 24 mwN) ab. Das Entschädigungsgericht führe ebenso fälschlich aus, dass durch die Einreichung von Fachaufsätzen eine nennenswerte Bearbeitung durch den Richter ausgelöst worden sei. Vielmehr seien die vom BSG aufgezeigten Prüfungsschritte zur Feststellung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer nicht in vollem Umfange angewendet worden, sondern werde pauschal behauptet, dass jeder Schriftsatzeingang bei Gericht bei diesem eine nennenswerte Tätigkeit ausgelöst habe. Zu Unrecht habe das Entschädigungsgericht auch das Verhalten der Klägerin gewertet, dass sie selbst das Verfahren durch zahlreiche Parallelrechtstreitigkeiten verzögert habe. Fälschlicherweise habe das LSG die Klage auch als ab Juli 2009 begrenzt behandelt.
II
Der Antrag der Klägerin, ihr PKH unter sinngemäßer Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu gewähren, ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es. Die Klägerin kann aller Voraussicht nach mit ihrem Begehren auf Zulassung der Revision nicht durchdringen, weil es keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen. Nach Durchsicht der Akten fehlen Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.
1. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall der Klägerin hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine entscheidungsrelevante Rechtsfrage aufwirft, die allgemein, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39) und die Anwendung mindestens einer Vorschrift des Bundesrechts betrifft (s § 162 SGG). Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl BSGE 40, 40 = SozR 1500 § 160a Nr 4) oder bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65).
Rechtsfragen, die in diesem Sinne klärungsbedürftig sein könnten, sind hier nicht ersichtlich. Vielmehr ist das LSG der aktuellen Senatsrechtsprechung zur Auslegung von § 198 GVG gefolgt. Insbesondere hat es im Anschluss an diese Rechtsprechung dem SG eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit von 12 Monaten zugebilligt. Das LSG hat im Übrigen zutreffend die Zeiten aktiver Verfahrensförderung des SG und des LSG von denjenigen gerichtlicher Untätigkeit sowie andererseits von solchen Zeiten unterschieden, die der Klägerin zuzurechnen sind und anschließend in eine Gesamtabwägung eingestellt (vgl zB BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 3 RdNr 27 mwN; vgl Stotz, jurisPR-SozR 10/2015 Anm 1). Zutreffend hat das LSG auch die Bedeutung der Sache ua aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und ideellen Interessen der Beteiligten eingestuft (vgl BSG Urteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 12/13 - SozR 4-1720 § 198 Nr 4 RdNr 35). Das Vorbringen der Klägerin beinhaltet ausschließlich Kritik an der Bewertung der Einzelfallumstände durch das Entschädigungsgericht, womit sich allerdings eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht begründen ließe. Ob das LSG als Entschädigungsgericht den Einzelfall richtig entschieden hat, ist keine Frage grundsätzlicher Bedeutung und damit nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Ohnehin sieht der Senat keine Anhaltspunkte für eine falsche Rechtsanwendung zu Lasten der Klägerin.
2. Ferner ist nichts dafür ersichtlich, dass das LSG als Entschädigungsgericht entscheidungstragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Die Klägerin beschränkt sich mit ihrer Kritik vielmehr auf die Gegenüberstellung von Zitaten des EGMR, BVerfG und BSG und vermeintlichen Rechtssätzen, die sie aus der Entscheidung des Entschädigungsgerichts ableitet. Tatsächlich ist aber nicht ersichtlich, dass das LSG einen eigenen, von der Rechtsprechung der genannten oberstgerichtlichen Entscheidungen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat oder einen solchen aufstellen wollte; allein eine fehlerhafte Rechtsanwendung genügt insoweit nicht (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). Vielmehr ist - wie oben bereits ausgeführt - das LSG der aktuellen Senatsrechtsprechung zur Auslegung von § 198 GVG gerade gefolgt und wollte diese auch umsetzen. Eine Abweichung von Entscheidungen des EGMR ist im Übrigen im Rahmen des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nicht zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt für Entscheidungen des BGH.
3. Ebenso wenig ist davon auszugehen, dass die Klägerin einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Danach ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Hierfür liegen keinerlei Anhaltspunkte vor. Insbesondere hat diese selbst durch ihren Klagantrag vor dem Entschädigungsgericht den in Frage kommenden Entschädigungszeitraum ausweislich der Sitzungsniederschrift auf die Zeit von Juli 2009 bis Februar 2014 begrenzt, sodass auch Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen § 123 SGG nicht erkennbar sind.
Da der Klägerin keine PKH zusteht, kann sie auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 ZPO).
Fundstellen
Dokument-Index HI11520204 |