Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzungsgrund bei sprachunkundigen Ausländern
Orientierungssatz
Bei sprachunkundigen Ausländern kann ein Wiedereinsetzungsgrund nur vorliegen, wenn sie alles unternommen haben, was ihnen möglich und zumutbar ist, um ihre Interessen zureichend zu verfolgen. Hierzu gehört insbesondere das Bemühen, sich rechtzeitig eine Übersetzung zu verschaffen.
Normenkette
SGG § 67 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 24.01.1989; Aktenzeichen L 5 U 142/88) |
Gründe
Der Kläger ist mit seinem Begehren, über den 28. Juni 1987 hinaus Haushaltshilfe zu erhalten, im Berufungsverfahren ohne Erfolg geblieben (Bescheid der Beklagten vom 13. Oktober 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 1987; Urteile des Sozialgerichts -SG- vom 19. September 1988 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 24. Januar 1989). Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, die Stumpfverhältnisse an den verletzten Fingern hätten sich zwischenzeitlich so weit konsolidiert, daß kein zwingender Grund mehr vorhanden sei, den Rehabilitationserfolg durch sogenannte nachgehende Hilfen zu sichern.
Gegen das am 8. März 1989 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem beim Bundessozialgericht (BSG) am 5. April 1989 eingegangenen Schreiben persönlich Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Zugleich hat er darauf hingewiesen, daß er einen afghanischen Fachdolmetscher benötige, um seine Angelegenheiten erledigen zu können. Mit Schreiben vom 10. April 1989 hat der Senat den Kläger darauf hingewiesen, daß die Beschwerde wirksam nur durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigte des Klägers Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und wegen der Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Der Kläger habe die Frist unverschuldet versäumt. Denn bei der Zuleitung des angefochtenen Urteils durch seinen Prozeßbevollmächtigten sei er lediglich über den Ablauf der Beschwerdefrist, nicht aber darüber informiert worden, daß er sich gemäß § 166 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vertreten lassen müsse. Als afghanischer Staatsangehöriger mit unvollständigen deutschen Sprachkenntnissen habe der Kläger den Inhalt der Rechtsmittelbelehrung nicht erfassen können.
Die vom Kläger am 5. April 1989 persönlich eingelegte Beschwerde ist gemäß § 166 Abs 1 SGG unwirksam. Die von seinem Prozeßbevollmächtigten am 13. April 1989 erneut eingelegte Beschwerde ist verspätet, weil sie nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteil beim BSG eingegangen ist (§ 160a Abs 1 Satz 2 SGG). Zur Fristwahrung hätte sie bis zum Ablauf des 10. April 1989 eingelegt werden müssen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde war abzulehnen.
Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs 1 SGG). Aus den vorgetragenen Tatsachen ergibt sich nicht, daß der Kläger unverschuldet verhindert gewesen ist, die Beschwerde innerhalb der Monatsfrist durch einen Prozeßbevollmächtigten einzulegen. Auf seine unvollständigen deutschen Sprachkenntnisse kann er sich nicht berufen; denn nach § 61 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 184 bis 191 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) ist die Gerichtssprache deutsch. Sowohl das Urteil als auch die Rechtsmittelbelehrung sind deshalb in deutscher Sprache abzufassen. Es ist Sache der Ausländer, sich eine Übersetzung zu besorgen. Bei sprachunkundigen Ausländern kann ein Wiedereinsetzungsgrund nur vorliegen, wenn sie alles unternommen haben, was ihnen möglich und zumutbar ist, um ihre Interessen zureichend zu verfolgen (vgl BSG SozR 1500 § 67 Nr 21 mit zahlreichen Nachweisen). Hierzu gehört insbesondere das Bemühen, sich rechtzeitig eine Übersetzung zu verschaffen. Daß der Kläger derartige Bemühungen vergeblich unternommen hat, kann seinem Vorbringen nicht entnommen werden. Auf eine unvollständige Information durch seinen früheren und jetzigen Prozeßbevollmächtigten kann er sich im Rahmen des § 67 Abs 1 SGG nach allgemeiner Meinung ebenfalls nicht berufen (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, RdNr 3a zu § 67 mit zahlreichen Nachweisen).
Die mit dem unbegründeten Wiedereinsetzungsantrag verbundene Nichtzulassungsbeschwerde war deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen