Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung des Verfahrensmangels. Nichterhebung von Beweisen. Dispositionsmaxime. Offizialmaxime

 

Orientierungssatz

Ein die Zulassung der Revision rechtfertigender Verfahrensmangel ergibt sich nicht schon daraus, daß die Feststellungen des LSG "aktenwidrig" sind, dh das LSG Feststellungen getroffen hat, obwohl den getroffenen Feststellungen widersprechende Behauptungen des Beschwerdeführers von einem anderen Beteiligten nicht bestritten und Beweise nicht erhoben worden sind, die der Beschwerdeführer für einen von den getroffenen Feststellungen abweichenden Geschehensverlauf angeboten hat, da in der Sozialgerichtsbarkeit die Dispositionsmaxime nicht gilt. Das SG erforscht den Sachverhalt, ohne an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein (§ 103 SGG). Das Tatsachengericht bestimmt bei der in seiner Hand gelegten Erforschung des Sachverhalts daher grundsätzlich frei und ohne Rücksicht auf die Auffassung der Beteiligten, wie es ermittelt und welcher Beweismittel es sich bedienen will. Es hat hierbei lediglich die ihm durch § 103 SGG auferlegten Pflichten zu beachten.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs 2 Nr 3, § 160a Abs 2 S 3, § 103

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 24.04.1986; Aktenzeichen L 9 Ar 228/85)

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde des beigeladenen Konkursverwalters ist unzulässig. Das ist unabhängig davon der Fall, ob der Beschwerdeführer durch das Urteil des Landessozialgerichts (LSG), das nicht seine, sondern die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) bestätigt hat, überhaupt in der für ein selbständiges Rechtsmittel erforderlichen Weise beschwert ist; denn der Beschwerdeführer hat in der Beschwerdebegründung weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) noch einen Verfahrensmangel des LSG (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) so dargelegt bzw bezeichnet, wie dies nach dem Sinn und Zweck des Begründungszwangs (§ 160a Abs 2 Satz 1 SGG) und nach der Vorschrift des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlich ist.

Der Beschwerdeführer meint, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), weil in der Rechtsprechung noch nicht eindeutig geklärt sei, wann ein Arbeitsverhältnis zwischen Ehegatten bzw zwischen in eheähnlicher Gemeinschaft Lebenden festgestellt werden könne; selbstverständlich könne auch zwischen solchen Personen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis begründet werden; zweifelhaft sei indes, ob ein solches angenommen werden dürfe, wenn nicht ein einziges der Tatbestandsmerkmale, durch die sich das abhängige Beschäftigungsverhältnis auszeichne, eindeutig feststellen lasse.

Es kann dahingestellt bleiben, ob die zu klärende Rechtsfrage genügend klar bezeichnet worden ist, wie die Klägerin bezweifelt. Jedenfalls ergibt sich aus den angeführten Gründen nicht, daß die Sache grundsätzliche Bedeutung hätte.

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn von der erstrebten Revisionsentscheidung erwartet werden kann, daß sie in bisher nicht geschehener, die Interessen der Allgemeinheit berührenden Weise das Recht oder die Rechtsanwendung fortentwickeln oder vereinheitlichen wird. Die Rechtssache muß daher eine Rechtsfrage enthalten, die über den Einzelfall hinaus allgemeine Bedeutung hat. Diese Rechtsfrage muß außerdem klärungsfähig, klärungsbedürftig und im gegebenen Einzelfalle entscheidungserheblich sein. Da die Klägerin mit dem Gemeinschuldner unstreitig nicht verheiratet war, ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis unter Ehegatten anzunehmen ist, im vorliegenden Falle offensichtlich nicht entscheidungserheblich. Die Klärung der Frage indes, unter welchen Voraussetzungen zwischen in eheähnlicher Gemeinschaft Lebenden ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, insbesondere, ob ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis angenommen werden darf, wenn nicht ein einziges der das abhängige Beschäftigungsverhältnis auszeichnenden Merkmale eindeutig positiv festgestellt werden kann, hätte nur dann über den Einzelfall hinaus und damit grundsätzliche Bedeutung, wenn sich Fragen gleicher Art in der Praxis in einer Vielzahl von Fällen stellen würden. Das aber ist nicht selbstverständlich und vom Beschwerdeführer auch weder behauptet noch substantiiert dargetan worden. Daß die Entscheidung des LSG, wie der Beschwerdeführer offenbar meint, unrichtig ist, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung; denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).

Soweit der Beigeladene seine Beschwerde ferner auf Verfahrensmängel des LSG stützt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), sind diese entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht bezeichnet worden, dh die den bzw die Mängel (vermeintlich) begründeten Tatsachen nicht substantiiert in der Weise dargetan worden, wie dies bei der Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG erforderlich ist (vgl für viele BSG SozR 1500 § 160a Nrn 14, 24, 34 und 36).

Ein die Zulassung der Revision rechtfertigender Verfahrensmangel ergibt sich nicht schon daraus, daß die Feststellungen des LSG "aktenwidrig" sind, dh das LSG Feststellungen getroffen hat, obwohl den getroffenen Feststellungen widersprechende Behauptungen des Beschwerdeführers von einem anderen Beteiligten nicht bestritten und Beweise nicht erhoben worden sind, die der Beschwerdeführer für einen von den getroffenen Feststellungen abweichenden Geschehensverlauf angeboten hat. Das LSG hätte seiner Entscheidung das unstreitige Vorbringen der Beteiligten zugrundelegen müssen und von der Erhebung der angebotenen Beweise für streitige Behauptungen nicht absehen dürfen, wenn in der Sozialgerichtsbarkeit die Dispositionsmaxime gelten würde, nach der die Beteiligten durch ihr Vorbringen bestimmen, von welchen Tatsachen als unstreitig auszugehen ist und durch welche Beweise die Streitfragen tatsächlicher Art zu klären sind. Diese Maxime gilt indes in der Sozialgerichtsbarkeit nicht, worauf die Klägerin zutreffend hingewiesen hat. Hier erforscht das Gericht den Sachverhalt, ohne an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein (§ 103 SGG). In der Sozialgerichtsbarkeit bestimmt das Tatsachengericht bei der in seiner Hand gelegten Erforschung des Sachverhalts daher grundsätzlich frei und ohne Rücksicht auf die Auffassung der Beteiligten, wie es ermittelt und welcher Beweismittel es sich bedienen will. Es hat hierbei lediglich die ihm durch § 103 SGG auferlegten Pflichten zu beachten.

Eine Verletzung des § 103 SGG, die die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen jedoch nicht. Eine Verletzung des § 103 SGG berechtigte nur dann zur Zulassung der Revision, wenn der geltend gemachte Verfahrensmangel sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Jeden anderen Verfahrensmangel, der einen Verstoß gegen § 103 SGG zum Inhalt hat, hat das Gesetz als Grund zur Zulassung der Revision ausgeschlossen (§ 160 Abs 2 Nr 3, 2. Halbs SGG). Eine ordnungsgemäße Rüge der Verletzung des § 103 SGG setzt daher zunächst voraus, daß der (bis zur mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergeht, aufrechterhaltene) angeblich übergangene Beweisantrag genau bezeichnet wird, was hier geschehen sein mag. Der Beschwerdeführer muß jedoch ferner angeben, weshalb das LSG seine Amtsermittlungspflicht verletzt hat, wenn es den angebotenen Beweis nicht erhoben hat, weshalb sich das LSG also nach seiner Rechtsauffassung und dem bisherigen Sachstand hätte gedrängt fühlen müssen, den beantragten Beweis zu erheben; denn nur in einem solchen Falle ist das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt (BSG SozR 1500 § 160 Nrn 5 und 12). Das hat der Beschwerdeführer jedoch nicht dargetan. Schließlich setzt die Bezeichnung der Verletzung des § 103 SGG voraus, daß ua substantiiert dargelegt wird, welches für den Beschwerdeführer günstigere Ergebnis von der Beweisaufnahme, deren Unterlassung gerügt wird, zu erwarten gewesen wäre; denn nur dann, wenn die Beweisaufnahme, wäre sie durchgeführt worden, das LSG zu einer anderen Entscheidung geführt hätte, kann das angefochtene Urteil auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen. Auch Angaben dieser Art fehlen.

Schließlich hat der Beschwerdeführer keine Tatsachen vorgetragen, aus denen sich zwingend ergibt, daß das LSG das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in seine Erwägungen einbezogen hat. Allein aus dem Umstand, daß das LSG, wie der Beschwerdeführer meint, ohne dies anhand des Urteils zu belegen, nicht zu allen Punkten seines Vorbringens Stellung genommen haben soll, ergibt sich noch nicht, daß sein Vorbringen übergangen worden ist. Grundsätzlich ist nämlich davon auszugehen, daß ein Gericht den Inhalt der Erklärungen eines Beteiligten berücksichtigt hat, und zwar auch dann, wenn die Berücksichtigung in den Entscheidungsgründen keinen Niederschlag gefunden hat; denn das Gericht muß in den Entscheidungsgründen nicht zu allen einzelnen vorgetragenen Fragen Stellung nehmen. Nur wenn sich aus den Umständen des Einzelfalles ergibt, daß der Vortrag eines Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen worden ist, ist das Recht auf rechtliches Gehör verletzt. Anhaltspunkte tatsächlicher Art, daß dies hier geschehen ist, zB ein liegengebliebener Schriftsatz oä, sind vom Beschwerdeführer nicht vorgetragen worden.

Entspricht die Begründung der Beschwerde somit nicht den gesetzlichen Anforderungen, muß die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig verworfen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663563

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