Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristversäumnis wegen Organisationsmangel in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten
Orientierungssatz
1. Ein Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigter muß sich nicht notwendigerweise selbst um die Fristenkontrolle kümmern; er darf sie seinem Büropersonal überlassen. Sein Bürobetrieb muß aber so geordnet sein, daß die Überwachung der Fristen durch den Bürovorsteher oder einen anderen zuverlässigen Angestellten gewährleistet ist.
Haben die Bevollmächtigten den Umgang mit Fristensachen einer Auszubildenden überlassen, habe sie für eine ständige Überwachung der Auszubildenden zu sorgen und dürfen sich insoweit nicht mit Stichproben begnügen.
2. Von einem Rechtsanwalt ist zu verlangen, daß er für die Wahrung laufender Fristen rechtzeitig Vorsorge für den Fall plötzlich eintretender Arbeitsunfähigkeit trifft und sein Büro allgemein anweist, in Fällen seiner plötzlichen Verhinderung, insbesondere durch Krankheit, für eine ausreichende Vertretung zu sorgen.
Normenkette
SGG § 67 Abs 1, § 67 Abs 2 S 1, § 67 Abs 2 S 3, § 160a Abs 1 S 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 22.04.1988; Aktenzeichen L 3 J 208/86) |
Gründe
Der erkennende Senat hat mit Beschluß vom 25. Januar 1989 dem Kläger für das Beschwerdeverfahren, mit dem die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. April 1988 angefochten werden sollte, Prozeßkostenhilfe bewilligt. Der Kläger hat daraufhin den Rechtsanwältinnen W und K Prozeßvollmacht erteilt und sie mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt. Mit Beschluß des Senats vom 16. Februar 1989 ist Rechtsanwältin K dem Kläger beigeordnet und der Beschluß ihr am 28. Februar 1989 zugestellt worden. Am 17. April 1989 hat die Bevollmächtigte des Klägers beantragt, die Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde um vier Wochen zu verlängern. Am 19. April 1989 ist ihr mitgeteilt worden, die einmonatige Nachholfrist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde sei am 28. März 1989 abgelaufen.
Mit Schriftsatz vom 24. April 1989 - eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 25. April 1989 - hat der Kläger beantragt, ihm wegen der versäumten Nachholfrist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach Zustellung des Beschlusses vom 16. Februar 1989 am 28. desselben Monats habe die Bevollmächtigte des Klägers von diesem die Unterlagen über den Prozeß angefordert, die in der Kanzlei abgegeben worden seien. Offensichtlich durch ein Versehen einer Büromitarbeiterin seien entgegen der üblichen Verfahrensweise die Unterlagen nicht mit einem Eingangsstempel versehen und auf die Akten aufgeheftet worden. Bei dieser Mitarbeiterin handele es sich um eine Auszubildende, die unterwiesen und regelmäßig überwacht werde. Durchgeführte Stichproben seien stets positiv verlaufen. Die beigeordnete Bevollmächtigte habe am 21. März 1989 einen Urlaub angetreten. Die sie vertretende Sozia, Rechtsanwältin W -H sei plötzlich erkrankt und weder in der Lage gewesen, die Beschwerdeeinlegung zu veranlassen noch das Büro mit der sofortigen Unterrichtung von Rechtsanwältin K zu beauftragen. Gleichzeitig mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung ist die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden.
Die Frist des § 160a Abs 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde hat der Kläger zunächst ohne sein Verschulden versäumt. Das folgt bereits aus der Bewilligung des Armenrechts durch den Beschluß des Senats vom 25. Januar 1989. Insoweit hindert kein Verschulden die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Nach § 67 Abs 2 Satz 1 SGG ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und, nach Satz 3 ist jedoch innerhalb der Antragsfrist die versäumte Rechtshandlung - hier also die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde - nachzuholen. Das aber ist nicht geschehen. Die Nachholfrist begann mit der Zustellung des Beschlusses über die Beiordnung der Rechtsanwältin K am 28. Februar und endete am 28. März 1989. Die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ist aber erst am 25. April 1989 nachgeholt worden. Der Antrag des Klägers, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Nachholfrist des § 67 Abs 2 Satz 3 SGG zu gewähren, ist abzulehnen. Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs 1 SGG). Ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten steht dem des Beteiligten gleich, hingegen ist bei Verschulden einer ausreichend geschulten, unterrichteten und überwachten Hilfsperson des Prozeßbevollmächtigten eine Wiedereinsetzung möglich (vgl BSG in SozR 1500 § 67 Nr 20 mwN). Hier war jedoch nach Auffassung des Senats die Überwachung der Hilfsperson nicht ausreichend. Ein Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigter muß sich nicht notwendigerweise selbst um die Fristenkontrolle kümmern; er darf sie seinem Büropersonal überlassen. Sein Bürobetrieb muß aber so geordnet sein, daß die Überwachung der Fristen durch den Bürovorsteher oder einen anderen zuverlässigen Angestellten gewährleistet ist (so BSG in SozR Nr 23 zu § 67 SGG). Die Bevollmächtigten des Klägers haben hier den Umgang mit Fristensachen einer Auszubildenden überlassen. In einem solchen Fall hat ein Anwalt für eine ständige Überwachung der Auszubildenden zu sorgen und darf sich insoweit nicht mit Stichproben begnügen, wie es in der Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung dargelegt worden ist. An Auszubildende können noch nicht die gleichen Erwartungen gestellt werden wie an Angestellte, deren Zuverlässigkeit gewährleistet ist. In der unzureichenden Überwachung der Auszubildenden liegt das Verschulden der Prozeßbevollmächtigten des Klägers, das diesem zuzurechnen ist.
Auch im Hinblick auf die Erkrankung der Rechtsanwältin W -H während des Urlaubs der beigeordneten Anwältin kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Von einem Rechtsanwalt ist zu verlangen, daß er für die Wahrung laufender Fristen rechtzeitig Vorsorge für den Fall plötzlich eintretender Arbeitsunfähigkeit trifft und sein Büro allgemein anweist, in Fällen seiner plötzlichen Verhinderung, insbesondere durch Krankheit, für eine ausreichende Vertretung zu sorgen (so BSG in SozR 1500 § 67 Nr 5 mwN). Nach dem Vorbringen des Klägers ist eine rechtzeitige Vertretung nicht erfolgt, weil die erkrankte Anwältin nicht in der Lage war, das Büro zu beauftragen, sofort die abwesende zweite Anwältin der Sozietät, Rechtsanwältin K , zu unterrichten. Eine ordnungsgemäße Vertretung ist dann nicht gewährleistet, wenn sie davon abhängt, ob der Verhinderte noch eine Weisung an die Kanzlei erteilen kann. Die Vorsorge für den Fall der Verhinderung muß in einer allgemeinen Anweisung an das Büropersonal bestehen, worin diesem aufgetragen wird, ohne konkreten Auftrag des Anwalts zu handeln. Hier beruht die Fristversäumnis auf einem Organisationsmangel in der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten des Klägers, der als prozeßrechtliches Verschulden die Wiedereinsetzung ausschließt (vgl BSG aaO Nr 18).
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist somit nicht fristgerecht innerhalb der am 28. März 1989 endenden Nachholfrist des § 67 Abs 2 Satz 3 SGG eingelegt worden. Da wegen dieser Fristversäumnis nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann, mußte die Beschwerde des Klägers als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen