Leitsatz (amtlich)
Ein Kläger, der die gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes auf Grund des SGG § 109 beantragt hatte, kann mit der Behauptung, das Gericht habe seinem Antrag nicht entsprochen, einen Mangel des Verfahrens nicht mehr rügen, wenn er den Mangel bis zum Schlusse der nächsten mündlichen Verhandlung, in der über das Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt wurde, nicht gerügt hat, obgleich er ihn rügen konnte. Hat der Kläger das Recht, einen solchen Mangel des Verfahrens zu rügen, schon im Berufungsverfahren verloren, so macht die im Revisionsverfahren vorgebrachte Rüge des nämlichen Verfahrensmangels nicht die Revision nach SGG § 162 Abs 1 Nr 2 statthaft.
Normenkette
SGG § 109 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 295
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 16. März 1956 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger hat mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 11. Mai 1956, eingegangen am Montag, dem 14. Mai 1956, gegen das am 13. April 1956 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 16. März 1956, durch das seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 1955 teilweise zurückgewiesen wurde, Revision eingelegt.
Das Landessozialgericht hat die Revision nicht zugelassen. Sie ist daher nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens vorliegt oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinn des Bundesversorgungsgesetzes das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGG).
Der Kläger rügt eine Verletzung des § 109 SGG. Er habe im Berufungsverfahren auf Grund des § 109 SGG beantragt, Prof. G am Städt. Krankenhaus Moabit in Berlin gutachtlich zu hören. Das Landessozialgericht habe zwar von diesem Sachverständigen ein Gutachten von Amts wegen eingeholt, das von ihm mitunterzeichnet ist, jedoch sei die dem Gutachten zugrunde liegende ärztliche Untersuchung nicht von dem Arzt seines Vertrauens (Prof. G), sondern von einem anderen Arzt, Oberarzt Dr. A, vorgenommen worden. Die "gutachtliche Anhörung" des bestimmten Arztes nach § 109 SGG werde nicht dadurch ersetzt, daß bei einem nach § 106 Abs. 3 Nr. 5 SGG von Amts wegen eingeholten Gutachten die gesamte Befunderhebung einem anderen - untergeordneten - Arzt überlassen bleibe.
Es kann dahingestellt bleiben, ob das Landessozialgericht dadurch, daß es das von den Ärzten Prof. G. und Dr. A. gemeinsam erstattete Gutachten vom 23. August 1955 bei seiner Entscheidung verwertete, gegen § 109 SGG verstoßen hat und ob insoweit das Berufungsverfahren an einem wesentlichen Mangel leidet. Wenn dem Kläger wegen einer Verletzung des § 109 SGG ein Rügerecht zustand, mußte er es bis zum Schlusse der nächsten mündlichen Verhandlung, in der über das Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt wurde, ausüben (§ 295 ZPO in Verbindung mit § 202 SGG). Das Landessozialgericht hat eine Abschrift des Gutachtens vom 23. August 1955 an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 10. September 1955 abgesandt. Dadurch wurde dem Kläger bekannt, daß das Gutachten in der vorliegenden Form als Beweismittel benützt und zur Grundlage des Urteils gemacht werden sollte.
Da die mündliche Verhandlung vor dem Landessozialgericht erst am 16. März 1956 stattfand und in diesem Termin der Kläger persönlich mit seinem Prozeßbevollmächtigten erschienen war, hatte er ausreichend Gelegenheit, die Grundlagen des Gutachtens zu beanstanden und damit geltend zu machen, daß durch dieses Gutachten nicht der von ihm beantragte Sachverständigenbeweis erbracht werden könne. Weder der Tatbestand des angefochtenen Urteils noch die Niederschrift über die Verhandlung vor dem Landessozialgericht am 16. März 1956 ergibt, daß der Kläger die Gründe, auf die er die Revision stützt, bis zum Schlusse der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat. Durch sein Schweigen hat er sein Rügerecht verloren. Soweit durch § 109 SGG ein Antragsrecht für einen Beteiligten begründet wird, muß diese Vorschrift zu denjenigen gerechnet werden, auf deren Befolgung der Antragsteller wirksam verzichten kann, da ihm das Antragsrecht nur in seinem eigenen Interesse verliehen ist.
Der vom Kläger behauptete Verfahrensmangel war auf jeden Fall geheilt, bevor das Landessozialgericht über seine Berufung entschieden hat. Die Rüge dieses Mangels macht die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Die Revision war hiernach gemäß § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen