Verfahrensgang
SG Speyer (Entscheidung vom 06.05.2016; Aktenzeichen S 16 AY 5/12) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 27.04.2021; Aktenzeichen L 3 AY 3/16) |
Tenor
Die Beschwerden der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. April 2021 werden als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Im Streit sind höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im Zeitraum vom 1.1.2005 bis 31.7.2007. Die Kläger zu 1) und 2) sind die Eltern der Kläger zu 3) bis 6); die Familie lebt seit 1999 in der Bundesrepublik. Im genannten Zeitraum bezogen sie Grundleistungen nach § 3 AsylbLG, danach waren sie ab 1.8.2007 wegen Erzielung von Erwerbseinkommen längere Zeit nicht mehr hilfebedürftig; erst 2014 bezogen sie wieder existenzsichernde Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).
Im November 2009 beantragten die Kläger, die den streitigen Zeitraum betreffenden bestandskräftigen Bewilligungsentscheidungen des Beklagten gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) zurückzunehmen und ihnen sog Analog-Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren. Der Beklagte lehnte dies ab (Bescheid vom 25.11.2009; Widerspruchsbescheid vom 15.10.2010). Die Klage ist erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des Sozialgerichts ≪SG≫ Speyer vom 6.5.2016; Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Rheinland-Pfalz vom 27.4.2021). Die Kläger hätten ihren Lebensunterhalt seit dem 1.8.2007 durch Erwerbstätigkeit und -einkommen selbst bestritten. Schon deshalb komme wegen nicht ununterbrochen bestehender Hilfebedürftigkeit die Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X und eine Nachzahlung für vergangene Zeiträume nicht in Betracht.
Dagegen wenden sich die Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Sie machen die grundsätzliche Bedeutung der Sache sowie eine Divergenz geltend. Der Rechtsstreit werfe die Frage auf, ob der Anspruch nach § 44 SGB X für Personen ausgeschlossen werden könne, die bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz einen Monat und länger nicht sozialhilfebedürftig gewesen seien bzw ihre durchgehende Sozialhilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen hätten. Die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe sich nicht mit den entgegenstehenden Argumenten auseinandergesetzt, wie sie sich aus den Gesetzesmotiven und der Bedeutung der Grundrechte aus Art 1 Abs 1 Grundgesetz (GG), Art 2 Abs 2, Art 3 und Art 19 Abs 4 GG ergeben würden. Schließlich dürfe die Begründetheit eines Zugunstenantrags nicht von der Verfahrensdauer abhängen. Das LSG-Urteil weiche außerdem von der Rechtsprechung des 8. Senats (BSG vom 17.6.2008 - B 8 AY 5/07 R; BSG vom 26.8.2008 - B 8 SO 26/07 R) ab, weil es auf überkommene "Strukturprinzipien" des Existenzsicherungsrechts abstelle.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil weder der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) noch der der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Es fehlt schon an einer hinreichenden den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Darlegung der abstrakten Klärungsbedürftigkeit.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist (vgl nur BSG vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG vom 31.3.1993 - 13 BJ 215/92 - SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 8; BSG vom 30.7.2019 - B 2 U 239/18 B - RdNr 4). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Urteile die aufgeworfenen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht beantwortet werden können. Hieran fehlt es.
Die Kläger haben sich nicht ausreichend mit der ständigen und übereinstimmenden Rechtsprechung sowohl des 7. als auch des 8. Senats auseinandergesetzt, wonach nach der bis 31.3.2011 geltenden Rechtslage im Rahmen von Überprüfungsverfahren Leistungen nur zu erbringen sind, wenn Hilfebedürftigkeit zwischen dem streitgegenständlichen Zeitraum und der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz ununterbrochen besteht (vgl BSG vom 9.6.2011 - B 8 AY 1/10 R - SozR 4-1300 § 44 Nr 22 RdNr 20; BSG vom 20.12.2012 - B 7 AY 4/11 R - SozR 4-3520 § 3 Nr 3 RdNr 14; BSG vom 26.6.2013 - B 7 AY 3/12 R - InfAuslR 2014, 13 - juris RdNr 13; ebenso für das Recht der Sozialhilfe BSG vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R - BSGE 104, 213 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 21; BSG vom 17.12.2015 - B 8 SO 24/14 R - SozR 4-3500 § 116a Nr 2 RdNr 16). Ist die Rechtsfrage höchstrichterlich bereits geklärt, kann die Klärungsbedürftigkeit zwar ausnahmsweise bejaht werden, wenn der Rechtsprechung in nicht geringem Umfang widersprochen wird und gegen sie Einwendungen vorgebracht werden, die nicht als abwegig anzusehen sind (BSG vom 19.7.2011 - B 8 SO 19/11 B - RdNr 7 mwN). Eine solche Ausnahme haben die Kläger in ihrer Beschwerdebegründung aber nicht in der gebotenen Weise dargetan. Die ständige Wiederholung von gleichartigen Angriffen gegen eine gefestigte Rechtsprechung nicht nur des 7., sondern auch des 8. Senats des BSG, die sich bereits vollumfänglich mit der rechtlichen Problematik des § 44 SGB X im Rahmen des Asylbewerberleistungsrechts (und des Sozialhilferechts) nach der bis 31.3.2011 geltenden Rechtslage auseinandergesetzt haben, genügt nicht den Anforderungen an die Darlegung der abstrakten Klärungsbedürftigkeit der formulierten Rechtsfragen (vgl BSG vom 22.6.2016 - B 7 AY 2/16 B - SAR 2016, 106). Auch die Darlegung fachwissenschaftlichen Schrifttums und ergangener Entscheidungen von Instanzgerichten aus den Jahren 2010 bis 2014 genügt vorliegend schon deshalb nicht, weil das BSG auch nach diesem Zeitraum an seiner ständigen Rechtsprechung festgehalten hat (s oben BSG vom 17.12.2015 - B 8 SO 24/14 R aaO und BSG vom 22.6.2016 aaO; die Verfassungsbeschwerde gegen diesen Beschluss wurde nicht zur Entscheidung angenommen ≪BVerfG≫ vom 2.12.2019 - 1 BvR 1699/16). Es steht nicht im Belieben eines Beteiligten, eine von ihm nicht akzeptierte Rechtsprechung (immer wieder) erneut vom Revisionsgericht überprüfen zu lassen (vgl BSG vom 19.7.2011 - B 8 SO 19/11 B - juris RdNr 7 mwN; BSG vom 18.2.1988 - 5/5b BJ 274/86, juris).
Soweit die Kläger auf die Rechtsprechung des LSG Niedersachsen-Bremen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bedürftigkeitswegfalls Bezug nehmen, ist nicht ersichtlich, inwieweit dies zur konkreten Klärungsfähigkeit beitragen soll, denn die Kläger waren schon bei der Antragstellung nach § 44 SGB X nicht mehr hilfebedürftig.
Soweit die Kläger eine Divergenz zu Entscheidungen des BSG behaupten, genügt ihr Vorbringen ebenso wenig den gesetzlichen Anforderungen. Eine Divergenz liegt nur dann vor, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem tragenden abstrakten Rechtssatz des BSG aufgestellt hat; eine Abweichung ist erst dann zu bejahen, wenn das LSG diesen Kriterien - wenn auch unter Umständen unbewusst - widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (BSG vom 29.11.1989 - 7 BAr 130/88 - SozR 1500 § 160a Nr 67). Die Kläger haben schon keinen tragenden abstrakten Rechtssatz dargelegt, den das LSG aufgestellt haben soll. Die zu Unrecht behaupteten Abweichungen zwischen Entscheidungen des sowohl für das Asylbewerberleistungsrecht als auch des Sozialhilferechts zuständigen Senats könnten eine Divergenz ohnedies nicht begründen (BSG vom 22.6.2016 aaO).
Die von den Klägern im Übrigen behauptete fehlerhafte Rechtsanwendung des LSG führt nicht zur Zulassung der Revision (vgl BSG vom 9.1.2020 - B 8 SO 55/19 B; BSG vom 26.9.2017 - B 14 AS 177/17 B mwN).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14934843 |