Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsnatur des Widerspruchsbescheides

 

Leitsatz (amtlich)

Die Widerspruchsbescheide der Versorgungsbehörde können ebenso wie sonstige Bescheide in der erleichterten Form des KOV- VfG § 27 Abs 2 - auch in das Ausland - zugestellt werden.

 

Orientierungssatz

Zur Rechtsnatur des Widerspruchsbescheides:

Zur Frage, inwieweit im Rahmen des Vorverfahrens nach dem SGG Vorschriften des Verwaltungsverfahrens (hier: KOV-VfG) gelten.

 

Normenkette

KOVVfG § 27 Abs. 2 Fassung: 1955-02-05; SGG § 85 Abs. 3 Fassung: 1953-09-03, § 95 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Dem Kläger wird das Armenrecht für das Revisionsverfahren gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Mai 1968 verweigert.

Die Revision des Klägers gegen das vorgenannte Urteil wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung des Armenrechts für das Revisionsverfahren (§ 167 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) ist nicht begründet, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 167 Abs. 2 SGG, § 114 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).

Da das Landessozialgericht (LSG) die Revision nicht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG), wäre sie nur statthaft, wenn der Kläger einen wesentlichen Verfahrensmangel (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) oder eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes - BVG - (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG) mit Erfolg rügen könnte. Das ist nicht der Fall.

Der Kläger behauptet, es liege ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, er macht aber nur Ausführungen zur Sache; insbesondere trägt er vor, er sei durch die Fußverletzung in seiner Erwerbsfähigkeit um 40 v.H. gemindert, auch müsse eine Handverletzung, die er sich in englischer Gefangenschaft zugezogen habe, sowie ein Ohrenleiden (langwierige eitrige Mittelohrentzündung links) als Schädigungsfolge anerkannt werden.

Dieses Vorbringen läßt die Revision nicht als aussichtsreich erscheinen. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen, weil der in Polen lebende Kläger gegen den ihm am 3. Februar 1966 durch eingeschriebenen Brief zugestellten Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 1966 trotz zutreffender Rechtsbehelfsbelehrung erst am 27. Juni 1966, also nach Ablauf der 3-monatigen Klagefrist, Klage erhoben und das Sozialgericht (SG) deshalb die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen habe. Dies ist nicht zu beanstanden.

Der Kläger hat zur Frage der Fristversäumnis nichts vorgetragen. Die Abweisung der Klage wegen Versäumung der Klagefrist setzt hier voraus, daß der Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 1966 dem Kläger am 3. Februar 1966 wirksam zugestellt und bis zum 3. Mai 1966 nicht mit der Klage angefochten worden ist. Das ist der Fall. Nach § 27 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) idF vom 21. Februar 1964 (BGBl I, 85) sind Bescheide, die eine Rechtsbehelfsbelehrung enthalten, zuzustellen. Nach § 27 Abs. 2 VerwVG können Zustellungen "in jeder Form geschehen, die den Nachweis der erfolgten Zustellung und ihres Zeitpunktes ermöglicht". Es genügt die Aushändigung des zuzustellenden Schriftstückes gegen schriftliches Empfangsbekenntnis oder die Übersendung durch eingeschriebenen Brief. Wie der 10. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Urteil vom 18. März 1965 - 10 RV 275/63 - hierzu entschieden hat, sind damit zwei weitere, neben den im Verwaltungszustellungsgesetz (VerwZG) vom 3. Juli 1952 (BGBl I, 379) geregelten möglichen Zustellungsarten - auf die in Abs. 3 des § 27 VerwVG hingewiesen ist - angeführt, nach denen die Zustellung durch die Versorgungsbehörde in erweiterter und erleichterter Form wirksam vorgenommen werden kann. Das der Versorgungsbehörde in § 27 VerwVG zustehende Wahlrecht unter den einzelnen Zustellungsarten ist sonach nicht auf die Zustellungsarten, wie sie in den §§ 3 - 15 VerwZG beschrieben sind, beschränkt (vgl. BSG in SozR Nr. 1 zu § 27 VerwVG).

Diese Vorschrift des § 27 VerwVG gilt auch für Zustellungen im Ausland, für die das VerwZG - für seinen Geltungsbereich -, im § 14 eine besondere Regelung getroffen hat. Denn § 27 Abs. 2 VerwVG enthält keine Einschränkung dahin, daß die hier genannten Zustellungsarten nur bei Zustellungen innerhalb des Geltungsbereiches des Gesetzes zugelassen seien.

Es bestehen auch keine Bedenken, von diesen erleichterten Formen der Zustellung bei Zustellungen im Ausland ebenfalls Gebrauch zu machen, da im erstgenannten Falle (Aushändigung des Schriftstücks gegen schriftliches Empfangsbekenntnis) sichergestellt ist und im zweiten Fall (Übersendung durch eingeschriebenen Brief) vorausgesetzt wird, daß - im Zweifelsfall - der "Nachweis" des Zustellungszeitpunktes geführt werden kann. So ist auch im vorliegenden Fall durch die Auskunft des Postamts Münster vom 4. Oktober 1967 nachgewiesen, daß die Einschreibsendung mit dem Widerspruchsbescheid dem Kläger am 3. Februar 1966 ordnungsgemäß ausgehändigt worden ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Vorschrift des § 28 Abs. 3 VerwVG, auf den § 27 Abs. 3 VerwVG verweist. Hier ist zwar bestimmt, daß derjenige, der seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat, "auf Verlangen" innerhalb einer angemessenen Frist einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen hat; geschieht das nicht, so gilt das Schriftstück als zugestellt, sobald es zur Post gegeben ist, selbst wenn es als unbestellbar zurückkommt. Damit ist der Verwaltungsbehörde jedoch nicht vorgeschrieben, Zustellungen im Ausland stets nur in dieser Weise zu bewirken. Vielmehr gibt diese Vorschrift der Versorgungsverwaltung nur die Möglichkeit, anstelle der erleichterten Zustellung nach § 27 Abs. 2 VerwVG in geeigneten Fällen von dem ihr in § 28 Abs. 3 VerwVG eingeräumten Recht Gebrauch zu machen. Nach dieser den Antragsteller u.U. benachteiligenden Vorschrift kann die Verwaltung aber in der Regel nur dann verfahren, wenn dem im Ausland lebenden Beteiligten die Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten unter den gegebenen Umständen zuzumuten ist; dies wird gerade bei den in den Oststaaten lebenden Personen oft nicht der Fall sein. Die in § 27 Abs. 2 VerwVG vorgesehene Zustellung durch eingeschriebenen Brief wird in solchen Fällen deshalb die zweckmäßigste Form der Zustellung sein. Denn bei einer Zustellung nach dem VerwZG können dann, wenn der Empfänger in einem Staat wie Polen wohnt, zu dem die Bundesrepublik keine normalen konsularischen oder diplomatischen Beziehungen unterhält, Zweifel darüber bestehen, welche Instanz in Polen als die "zuständige Behörde des fremden Staates" im Sinne des § 14 Abs. 1 VerwZG angesehen werden soll. Zwar ist in § 15 VerwZG für die Fälle, in denen die Zustellung außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes erfolgen müßte, diese aber unausführbar ist oder keinen Erfolg verspricht, die öffentliche Zustellung vorgesehen. Von der öffentlichen Zustellung im Sinne des § 15 VerwZG kann und soll jedoch nur Gebrauch gemacht werden, wenn keine Möglichkeit besteht, das Schriftstück auf andere Weise zuzustellen (vgl. § 15 Abs. 1 c VerwZG und Peters/Sautter/Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, Anm. zu § 15 VerwZG S. 186/80). Eine solche andere Möglichkeit bietet aber - wie dargelegt - die Vorschrift des § 27 Abs. 2 VerwVG. Sie stellt auch bei Zustellungen im Ausland eine praktikable und die Interessen der Rechtsuchenden in ausreichender Weise berücksichtigende Regelung dar. Die in § 27 Abs. 2 VerwVG vorgesehene Zustellung durch eingeschriebenen Brief ist demgemäß auch in den Verwaltungsvorschriften (VV) vom 5. August 1961 (Bundesanzeiger Nr. 152 vom 10. August 1961), geändert am 23. Januar 1965 (Bundesanzeiger Nr. 19 vom 29. Januar 1965), Nr. 2 zu den §§ 27 bis 29 VerwVG allgemein als "die Regel" bezeichnet.

Die Vorschrift des § 27 Abs. 2 VerwVG gilt im übrigen auch für Widerspruchsbescheide wie den im vorliegenden Falle. Bei ihnen handelt es sich nicht um instanzielle Entscheidungen, sondern um Verwaltungsakte der Versorgungsbehörde (vgl. Peters/Sautter/Wolff aaO Anm. 6 a zu § 85 SGG, S. 311), und zwar um Bescheide i.S. des § 22 VerwVG, die in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung zu begründen und schriftlich auszufertigen sind (vgl. auch VV Nr. 4 zu § 22 VerwVG). Sie stellen keine "Anordnungen und Entscheidungen" im Sinne des § 63 Abs. 1 SGG dar, für die in § 63 Abs. 2 SGG ohne Einschränkung bestimmt ist, daß nach den §§ 2 - 15 des VerwZG zugestellt werden muß. Das Widerspruchsverfahren (Vorverfahren) ist zwar nicht im VerwVG, sondern in den §§ 77 ff SGG geregelt. Der Umstand, daß § 77 SGG inhaltlich mit § 24 Abs. 1 VerwVG wörtlich übereinstimmt, weist aber bereits darauf hin, daß die Bestimmungen des SGG über das Vorverfahren, soweit es sich um die Kriegsopferversorgung handelt, eigentlich in das VerwVG gehören. Im Kommentar von Schönleiter-Hennig zum VerwVG, 1957, S. 3 (Vorbemerkung vor § 1 VerwVG) ist demgemäß auch zutreffend hervorgehoben, daß das Vorverfahren seinem Wesen nach ein Verwaltungsverfahren und nur aus Zweckmäßigkeitsgründen im SGG geregelt worden ist, da es nicht nur für das Gebiet der Kriegsopferversorgung, sondern auch für das der Sozialversicherung, der Arbeitslosenversicherung usw. neu geschaffen werden sollte. Deshalb kann aus der in § 85 Abs. 3 SGG ganz allgemein getroffenen Bestimmung, daß der Widerspruchsbescheid den Beteiligten zuzustellen ist, nicht gefolgert werden, daß für die Zustellung des Widerspruchsbescheides nur die Bestimmungen des SGG (§ 63 Abs. 2) maßgebend sein sollen, d.h. daß diese auch dann ausschließlich gelten müßten, wenn die besonderen Vorschriften des VerwVG eine andere Form der Zustellung zulassen. Vielmehr haben diese als lex specialis Vorrang. Dies muß um so mehr gelten, als das SGG keinen Zweifel daran läßt, daß es sich bei dem Widerspruchsbescheid um eine Verwaltungsentscheidung handelt, die sich von den sonstigen Bescheiden der Versorgungsverwaltung, die eine abschließende Mitteilung in einer Versorgungssache im Sinne des § 22 Abs. 1 Halbsatz 1 VerwVG enthalten, nicht wesentlich unterscheidet. § 95 SGG stellt nämlich klar, daß der Widerspruchsbescheid den angefochtenen Bescheid lediglich zu ergänzen vermag. Gegenstand der Klage ist hiernach stets der "ursprüngliche Verwaltungsakt" in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, Der Widerspruchsbescheid ist sonach nicht selbst Gegenstand des Klageverfahrens, sein Inhalt ist im sozialgerichtlichen Verfahren nur insoweit beachtlich, als er dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine andere Gestalt gegeben hat. Er kann somit prozeßrechtlich auch nicht anders als dieser ursprüngliche Verwaltungsakt beurteilt werden. Der gegenteiligen Auffassung von Peters/Sautter/Wolff aaO Anm. 6 c zu §§ 85, 86 SGG (S. 313), die für die Zustellung des Widerspruchsbescheides § 63 Abs. 2 SGG für maßgebend halten, weil auch das Vorverfahren im Rahmen des SGG geregelt worden sei, kann daher nicht zugestimmt werden. Vielmehr ist mit Schönleiter-Hennig davon auszugehen, daß für das Vorverfahren "im übrigen" grundsätzlich die Vorschriften für das jeweilige Verwaltungsverfahren, für die Kriegsopferversorgung also die Bestimmungen des VerwVG gelten (vgl. aaO Vorbem. vor § 1 VerwVG, S. 4).

Nach alledem ist der Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 1966 dem Kläger am 3. Februar 1966 wirksam zugestellt worden. Da die Entscheidung des LSG sonach nicht zu beanstanden ist, bietet die Rechtsverfolgung des Klägers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weshalb ihm das Armenrecht - unabhängig von der Frage, ob er als arm im Sinne des Gesetzes angesehen werden kann (ein Nachweis hierfür ist nicht erbracht) - zu verweigern war.

Der Kläger hat außer dem Armenrechtsgesuch am 20./30. Juli 1968 auch selbst Revision eingelegt. Diese entspricht nicht den zwingenden Erfordernissen des § 166 SGG, da sie nicht von einem vor dem BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet ist. Gemäß § 169 Satz 2 SGG war daher diese Revision als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380287

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