Verfahrensgang

SG Magdeburg (Entscheidung vom 07.08.2019; Aktenzeichen S 46 R 470/15)

LSG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 27.05.2021; Aktenzeichen L 3 BA 29/19)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 27. Mai 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 44 053,68 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten darüber, ob der Beigeladene zu 1. in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der klagenden GmbH aufgrund Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag und von der Klägerin für den Zeitraum 2010 bis 2013 Beiträge zu den genannten Zweigen der Sozialversicherung iHv 44 053,68 Euro nachzuentrichten sind.

Gemeinsam mit seinem Vater war der Beigeladene zu 1. ursprünglich Gesellschafter der klagenden GmbH und ihr Geschäftsführer. Nach Übertragung des Geschäftsanteils des Vaters auf ihn am 22.12.2003 verkaufte der Beigeladene zu 1. am selben Tag seine gesamten Gesellschaftsanteile an seine Ehefrau. Nach einer Betriebsprüfung vom 23.6.2014 bis zum 9.2.2015 stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. in allen Zweigen der Sozialversicherung ab 22.12.2003 fest und forderte von der Klägerin hinsichtlich des noch nicht verjährten Zeitraums 2010 bis Ende 2013 Sozialversicherungsbeiträge iHv 74 823,36 Euro nach (Bescheid vom 9.2.2015; Widerspruchsbescheid vom 8.9.2015). Im Klageverfahren hat die Beklagte im Wege eines angenommenen Teilanerkenntnis die angefochtenen Bescheide hinsichtlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung zurückgenommen und die Beitragsnachforderung auf 44 053,68 Euro reduziert (Bescheid vom 12.9.2019). Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 7.8.2019). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Nach dem Verkauf der Gesellschaftsanteile habe der Beigeladene zu 1. keinerlei rechtliche Möglichkeiten gehabt, Entscheidungen der Gesellschafterversammlung nach seinem Willen zu bestimmen (Urteil vom 27.5.2021). Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.

II

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG in entsprechender Anwendung von § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. In der Begründung des Rechtsmittels ist entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG kein Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

Bei dem in der Beschwerdebegründung vom 22.7.2021 nebst Ergänzung vom 2.8.2021 geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr; vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17; BSG Beschluss vom 28.1.2019 - B 12 KR 94/18 B - juris RdNr 6 mwN).

Die Klägerin formuliert auf Seite 7 der Beschwerdebegründung folgende Frage:

"Verlangen das 'Postulat der Vorhersehbarkeit' und der verfassungsmäßige Grundsatz des Vertrauensschutzes, dass bei Sachverhalten, in denen nach der 'Kopf- und Seele-Rechtsprechung' und der Verwaltungsauffassung kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV anzunehmen gewesen wäre, dass die Neuausrichtung der Rechtsprechung des BSG auf vor der geänderten Rechtsprechung liegende Zeiträume nicht anzuwenden ist?"

Auf Seite 14 formuliert sie die Frage:

"Ist grundsätzliche Voraussetzung für fehlende Abhängigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV, dass der 'Beschäftigte' Weisungen zur Durchführung seiner Tätigkeit, die er missbilligt, verhindern kann?"

Auf Seite 15 formuliert die Klägerin folgende Frage:

"Ist bei GmbH-Geschäftsführern, die nicht unmittelbar am Gesellschaftskapital beteiligt sind, bei Prüfung einer abhängigen Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV zu berücksichtigen, dass die Geschäftsanteile der Gesellschaft Gegenstand einer Innengesellschaft sind?"

Die erste Frage sei durch die Urteile des Senats vom 19.9.2019 (B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = SozR 4-2400 § 7 Nr 43; B 12 KR 21/19 R - BSGE 129, 106 = SozR 4-2400 § 7 Nr 45) nicht entschieden worden, weil dort ausgeführt sei, es würde insoweit an einer "bisherigen Rechtsprechung" fehlen, "auf die sich ein nach Art. 20 Abs. 3 GG zu schützendes Vertrauen … gründen könnte". Das erscheine unhaltbar. Für den streitgegenständlichen Prüfungszeitraum hätten "die Klägerin bzw. ein Berater der Klägerin von der 'Kopf- und Seele'-Rechtsprechung, wie sie in der Anlage 3 zum gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherung vom 13.04.2010 dargestellt" worden sei, ausgehen müssen. Die Versagung des Vertrauensschutzes werde den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die das BVerfG aufgestellt habe (zuletzt Beschluss vom 7.4.2021 - 1 BvR 176/15) nicht gerecht. Wenn es zudem Stand der Rechtsprechung sei, dass ein Fremdgeschäftsführer ausnahmslos abhängig beschäftigt sei, würde dies einen Sonderstatus begründen, für den es keine gesetzliche Grundlage gebe. Die zweite Frage sei nach der aktuellen Senatsrechtsprechung zu GmbH-Geschäftsführern zu bejahen. Andererseits ergebe sich aus den entsprechenden Urteilen aber keine explizite Aussage dazu, dass eine solche Prämisse auch bei anderen "Beschäftigungsverhältnissen" gelte. Die Frage sei klärungsbedürftig, weil es nicht genügen könne, wenn in der Kommentierung eine Interpretation versucht werde, nach der auch für GmbH-Geschäftsführer die allgemeinen Grundsätze gelten sollen, wenn die Senatsurteile vielleicht doch spezielle Anforderungen definiert haben sollten. Die dritte Frage sei ebenfalls zu bejahen. Unklar sei, warum sich eine "Rechtsmacht", auf die es entscheidend ankommen solle, nicht aus zivilrechtlich wirksamen, aber schuldrechtlichen (sogar gesellschaftsrechtlichen) Vereinbarungen ergeben können sollte. Schließlich entspreche es nicht mehr den Methoden juristischer Auslegung als solcher, wenn für GmbH-Geschäftsführer zum sozialversicherungsrechtlichen Beitragsrecht - jedenfalls faktisch ein Sonderrecht geschaffen würde, das sich nicht etwa aus Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, den tatsächlichen Verhältnissen oder sonst auslegungsrelevanten Kriterien ergebe, sondern aus dem Verständnis, es käme darauf an, sozialversicherungsrechtliche Betriebsprüfungen zu vereinfachen.

1. Es kann offenbleiben, ob die Beschwerdebegründung die Darlegungsvoraussetzungen für eine Grundsatzrüge (vgl hierzu exemplarisch BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN) schon deshalb nicht erfüllt, weil abstraktgenerelle Rechtsfragen zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (§ 162 SGG) mit höherrangigem Recht (BSG Beschluss vom 23.12.2015 - B 12 KR 51/15 B - juris RdNr 11 mwN) nicht formuliert werden. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (BSG Beschluss vom 10.9.2014 - B 10 ÜG 3/14 B - juris RdNr 11 mwN).

2. Jedenfalls legt die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit der gestellten Fragen nicht in einer den Zulässigkeitsanforderungen entsprechenden Weise dar. Sie setzt sich zwar umfangreich mit den grundlegenden Urteilen des Senats vom 19.9.2019 (B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = SozR 4-2400 § 7 Nr 43; B 12 KR 21/19 R - BSGE 129, 106 = SozR 4-2400 § 7 Nr 45) auseinander, ohne allerdings hinreichend zu begründen, inwieweit die aufgeworfenen Fragen erneut klärungsbedürftig geworden sind. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn das neuere Schrifttum bislang noch nicht berücksichtigte Argumente anführt oder sonst erhebliche Einwände vorgebracht werden (vgl BSG Beschluss vom 13.5.1997 - 13 BJ 271/96 - SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG Beschluss vom 22.4.1997 - 11 BAr 3/97 - SozR 3-1500 § 160a Nr 23 S 42; BSG Beschluss vom 30.9.1992 - 11 BAr 47/92 - SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; siehe auch BSG Beschluss vom 30.3.2000 - B 12 KR 2/00 B - SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f, jeweils mwN). Zur Darlegung der (erneuten) Klärungsbedürftigkeit reicht es aber nicht aus, nur - wie hier - eine eigene, abweichende Rechtsmeinung der bestehenden Rechtsauffassung gegenüberzustellen. Vielmehr ist eine substanzielle Auseinandersetzung mit den einschlägigen oberstgerichtlichen Entscheidungen erforderlich (vgl BSG Beschluss vom 10.12.2012 - B 13 R 361/12 B - juris RdNr 6). Diese enthält die Beschwerde nicht. Daran ändert auch der ergänzende Hinweis der Klägerin auf den Beschluss des BVerfG vom 7.4.2021 zur Heranziehung zu einmalig erhobenen kommunalen Beiträgen (1 BvR 176/15 - juris) nichts. Die Klägerin hätte insoweit darlegen müssen, inwieweit sich daraus eine Änderung der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährleistung von Vertrauensschutz in den Fortbestand höchstrichterlicher Rechtsprechung, auf die bereits in den Urteilen des Senats vom 19.9.2019 hingewiesen wurde (vgl B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = SozR 4-2400 § 7 Nr 43, RdNr 20), ergeben könnte. Mit den zu den in der zweiten und dritten Frage angesprochenen Themen des sozialversicherungsrechtlichen Status eines Fremdgeschäftsführers und der Maßgeblichkeit einer ihm zukommenden Rechtsmacht ergangenen umfangreichen Entscheidungen des Senats, auf die in den Urteilen vom 19.9.2019 ebenfalls hingewiesen wurde (vgl B 12 R 25/18 R - BSGE 129, 95 = SozR 4-2400 § 7 Nr 43, RdNr 15), setzt sich die Klägerin auch nicht hinreichend auseinander. Gleiches gilt für die zur Innengesellschaft ergangene Rechtsprechung des Senats (vgl zB BSG Urteil vom 7.7.2020 - B 12 R 17/18 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 49; BSG Urteil vom 11.11.2015 - B 12 KR 13/14 R - BSGE 120, 59 = SozR 4-2400 § 7 Nr 26 mwN).

3. Unabhängig davon befasst sich die Klägerin nicht mit der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Fragen. Sie legt nicht dar, aufgrund welcher Feststellungen des LSG das BSG in der Lage sein soll, über die gestellten Fragen in einem Revisionsverfahren zu entscheiden. Sie zeigt insbesondere nicht auf, warum und aufgrund welcher konkreten tatsächlichen Feststellungen des LSG der in der Anlage 3 zum gemeinsamen Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherung vom 13.4.2010 genannte Ausnahmefall vorliegend erfüllt sein soll. Hierzu führt die Klägerin lediglich aus, man käme "ohne Weiteres" zu dem Ergebnis, dass keine Abhängigkeit in diesem Sinne vorliege. Schließlich befasst sich die Klägerin nicht damit, inwieweit es sich bei der Prüfung eines Ausnahmefalls um eine Subsumtionsfrage handelt, deren Ergebnis nicht im Wege einer Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden kann. Die Behauptung, die Entscheidung des Berufungsgerichts sei inhaltlich unrichtig, kann im sozialgerichtlichen Verfahren nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG Beschluss vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18).

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2, § 162 Abs 3 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG und entspricht der von den Beteiligten nicht beanstandeten Festsetzung durch das LSG.

Heinz

Bergner

Beck

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15092173

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