Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung zur Vereinbarkeit innerstaatlichen Rechts mit EG-Recht
Orientierungssatz
Macht eine Prozeßpartei die Unvereinbarkeit innerstaatlicher Rechtsvorschriften mit Normen des europäischen Gemeinschaftsrechts geltend, muß sie angeben, welche konkreten innerstaatlichen Normen angeblich gegen das EWG-Recht verstoßen. Desweiteren muß sie substantiiert darlegen, worauf sich die Zweifel an der Vereinbarkeit gründen.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; EWGVtr Art. 48ff; RVO § 1251a; EWGV 1408/71 Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 27.06.1990; Aktenzeichen L 2 J 2712/89) |
Gründe
Die Klägerin lebte bis 1962 in Italien. Sie hat dort zwei Kinder geboren und erzogen. Versicherungszeiten hat sie sowohl in Italien als auch in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt. Die Beklagte hat es abgelehnt, die Kindererziehungszeiten für die beiden in Italien geborenen und erzogenen Kinder nach § 1251a der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuerkennen. Diese Entscheidung ist von den Gerichten bestätigt worden. Das Landessozialgericht (LSG) hat in der Nichtanrechnung dieser Erziehungszeiten keinen Verstoß gegen europarechtliche Normen gesehen und eine Vorlage nach Art 177 Abs 3 des EWG-Vertrages (EWGV) nicht für notwendig gehalten. Mit ihrer Beschwerde macht die Klägerin geltend, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe.
Die Beschwerde ist unzulässig, denn die Begründung entspricht nicht der in § 160a Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geforderten Form. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) ist nur dann formgerecht begründet, wenn die Rechtsfrage klar bezeichnet ist (BSG in SozR 1500 § 160a Nr 11). Außerdem ist aufzuzeigen, warum die Rechtsfrage von grundsätzlicher Art ist. Das ist dann der Fall, wenn die Rechtsfrage über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt, die Entscheidung der Frage also im allgemeinen Interesse liegt, weil das Recht fortentwickelt oder vereinheitlicht wird. Außerdem muß dargelegt werden, wieso die Rechtsfrage klärungsbedürftig und im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig ist (vgl BSG aaO Nrn 17, 39 und 45). Die Klägerin macht geltend, das Ausgangsgericht habe es verkannt, daß es als Gericht letzter Tatsacheninstanz verpflichtet gewesen sei, die zu entscheidende Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gem Art 177 Abs 3 EWGV vorzulegen. Auch wenn man diese Frage als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ansehen wollte, hat die Klägerin nicht dargelegt, weshalb diese Rechtsfrage klärungsbedürftig ist. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich vielmehr, daß das LSG diese Vorlagepflicht zwar gesehen, aber gestützt auf die Rechtsprechung des EuGH seine Vorlagepflicht im konkreten Fall verneint hat. Soweit die Klägerin geltend macht, das LSG stütze sich zu Unrecht auf die Rechtsprechung des EuGH, rügt sie eine falsche Subsumtion des Gerichts im angefochtenen Urteil. Die Frage, ob ein Urteil einen Rechtssatz richtig angewandt hat, ist aber keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern die Frage, ob die Entscheidung im Einzelfall richtig oder falsch ist.
Die Klägerin macht außerdem geltend, es sei keine leicht zu beantwortende Frage, ob die deutschen Normen mit Art 45 der Verordnung Nr 1408/71 EWG (EWGVO) im Lichte der Auslegung nach den Maßstäben der Art 48 bis 51 des EWGV vereinbar seien. Auch sei ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art 3 Abs 1 der EWGVO 1408/71 zu prüfen. Die Klägerin hat damit schon keine Rechtsfrage bezeichnet. Sie hat auch nicht dargelegt, inwiefern eine Rechtsfrage klärungsfähig und klärungsbedürftig ist. Soweit die Klägerin geltend macht, innerstaatliche Rechtsvorschriften seien mit Normen der EG nicht vereinbar, hätte sie darüber hinaus nicht nur die angeblich gegen EWG-Recht verstoßenden innerstaatlichen Normen konkret angeben müssen, sondern auch darlegen müssen, worauf sich die Zweifel an der Vereinbarkeit gründen. Eine entsprechende Darlegung wird zB auch dann verlangt, wenn der Verstoß einfach gesetzlichen Rechts gegen das Grundgesetz geltend gemacht wird (vgl BSG SozR aaO Nr 11 und BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 45). Es besteht kein Anlaß, für die Geltendmachung von Verstößen gegen Normen des Gemeinschaftsrechts geringere Anforderungen zu stellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen