Leitsatz (amtlich)
Gibt ein Prozeßbevollmächtigter trotz Aufforderung des Gerichts nicht die Tatsachen an, die ihn zur Prozeßvertretung vor dem Bundessozialgericht befugen, so braucht das Gericht nicht weiter danach zu forschen.
Normenkette
SGG § 106 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 103 Fassung: 1953-09-03, § 166 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg in Stuttgart vom 16. März 1955 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger hat gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. März 1955, das ihm durch eingeschriebenen Brief mit Wirkung vom 16. Mai 1955 (§ 63 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - in Verbindung mit § 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes vom 3. Juli 1952) zugestellt worden war, mit einem von ihm persönlich unterzeichneten Schreiben vom 6. Juli 1955 Revision eingelegt. Nachdem der Kläger vom Gericht darauf hingewiesen worden war, daß eine Revision beim Bundessozialgericht wirksam nur durch einen der in §§ 166 Abs. 2 und 217 SGG bezeichneten zugelassenen Prozeßbevollmächtigten eingelegt werden könne, reichte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers den von ihm persönlich geschriebenen Schriftsatz vom 3. Juli 1955 - eingegangen am 6. Juli 1955 - ein. Er unterzeichnete diesen Schriftsatz mit "Prozeßbevollmächtigter ... Mitgl. Gewerkschaft Stein u. Erde". Daneben setzte auch noch der Kläger seinen Namen nebst Anschrift. Im übrigen wird zur Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt dieses Schriftsatzes Bezug genommen.
Eine Aufforderung des Gerichts vom 9. Juli 1955 an ... nachzuweisen, daß er entweder durch Satzung oder durch Vollmacht der Gewerkschaft zur Prozeßvertretung vor dem Bundessozialgericht befugt sei, blieb unbeantwortet.
Die Revision ist unzulässig.
Vor dem Bundessozialgericht müssen sich gemäß § 166 Abs. 1 SGG die Beteiligten, soweit es sich nicht um Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Anstalten des öffentlichen Rechts handelt, durch zugelassene Prozeßbevollmächtigte vertreten lassen. Dieser Vertretungszwang gilt für das ganze Verfahren vor dem Bundessozialgericht, mithin auch bereits für die Einlegung der Revision. Die vom Kläger persönlich mit Schriftsatz vom 6. Juni 1955 eingelegte Revision ist daher unzulässig und mußte verworfen werden.
Aber auch die mit Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten vom 3. Juli 1955 eingelegte Revision ist unzulässig. Zwar hat der Senat aus dem Umstand, daß der Kläger im Schriftsatz vom 3. Juli 1955 seinen Namen neben den des "Prozeßbevollmächtigten ... setzte, unbedenklich geschlossen, daß damit der Kläger an ... Prozeßvollmacht erteilt hat. Mit der Einreichung dieses Schriftsatzes war daher der Formvorschrift des § 73 Abs. 2 SGG genügt. Wie der erkennende Senat jedoch in seinem Urteil vom 7. Juli 1955 - 10 RV 290/54 - bereits ausgeführt hat, müssen Prozeßbevollmächtigte, soweit es sich nicht um Rechtsanwälte oder Verwaltungsrechtsräte handelt, unabhängig von der nach § 73 Abs. 2 SGG erforderlichen Vollmacht des Beteiligten zur Prozeßvertretung vor dem Bundessozialgericht kraft Satzung oder Vollmacht einer der in in § 166 Abs. 2 SGG aufgeführten Verbände befugt sein. Es genügt also nicht, daß der Prozeßbevollmächtigte ... etwa Mitglied der Gewerkschaft Steine und Erden ist, sondern er muß als Mitglied noch besonders seitens seiner Gewerkschaft entweder durch Satzung oder Vollmacht zur Prozeßvertretung befugt sein. Obwohl das Gericht den Prozeßbevollmächtigten ... aufgefordert hat, nach dieser Richtung hin Erklärungen abzugeben, hat er die Aufforderung nicht ein mal beantwortet.
Der im Sozialgerichtsgesetz geltende und in § 103 dieses Gesetzes verankerte Untersuchungsgrundsatz geht nicht so weit, daß das Gericht von sich aus nach allen Richtungen hin nachzuforschen hätte, ob und auf Grund welcher Tatsachen der Prozeßbevollmächtigte zur Prozeßvertretung vor dem Bundessozialgericht zugelassen sein könnte. Das Gericht hat seiner Untersuchungspflicht damit genügt, daß es den Prozeßbevollmächtigten zur Angabe aufforderte, auf Grund welcher Tatsachen er zugelassener Prozeßbevollmächtigter zu sein glaube. Der Prozeßstoff und die Tatsachen, welche die erforderlichen Prozeßvoraussetzungen begründen, hier die Tatsachen, welche die Zulassung des Prozeßbevollmächtigten begründen, muß der Beteiligte bzw. der Prozeßbevollmächtigte anführen. Das ergibt sich aus § 106 Abs. 1 SGG, der dem Vorsitzenden die Pflicht auferlegt, für genügende Angaben tatsächlicher Art seitens der Beteiligten zu sorgen. Diese Pflicht wäre aber dann inhaltslos, wenn auf der anderen Seite nicht die Pflicht der Beteiligten stände, auf die Aufforderungen des Gerichts die gewünschten Angaben zu machen. Nicht das Gericht hat die prozeßrechtlich und materiell-rechtlich erheblichen Erklärungen zu liefern, sondern die Beteiligten. Aufgabe des Gerichts ist es, lediglich auf eine vollständige Tatsachendarstellung durch die Beteiligten hinzuwirken und diese Tatsachendarstellung auf ihre Wirklichkeit hin zu prüfen. Das Gericht kann nicht auf dem Wege über den Untersuchungsgrundsatz Aufgaben der Beteiligten übernehmen und Tatsachen erforschen und seiner Entscheidung zu Grunde legen, welche die Beteiligten selbst nicht einmal vorgebracht haben. Bei einer derartigen Ausdehnung des Untersuchungsgrundsatzes würden letzten Endes überhaupt keine Grenzen der Untersuchungspflicht des Gerichts zu erkennen sein.
Danach ist der Prozeßbevollmächtigte des Klägers seiner Pflicht zur Darlegung der seine Zulassung als Prozeßbevollmächtigten begründenden Tatsachen trotz Aufforderung des Gerichts nicht nachgekommen. Der Senat konnte aber ohne eine Darstellung dieser Tatsachen seitens des Prozeßbevollmächtigten weder in der Richtung weitere Nachforschungen anstellen noch ohne weiteres annehmen daß der Prozeßbevollmächtigte des Klägers zugelassener Prozeßbevollmächtigter im Sinne des § 166 Abs. 1 SGG ist. Dieser Mangel muß unter den gegebenen Verhältnissen zu Lasten des Klägers gehen den alle prozeßrechtlichen Folgen aus den Handlungen oder Unterlassungen seines Prozeßvertreters im Verfahren treffen.
Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers kann somit nicht als zugelassener Prozeßbevollmächtigter angesehen werden. Seine Prozeßhandlungen gegenüber dem Gericht sind ebenso rechtsunwirksam wie die des Klägers selbst, da nur zugelassene Prozeßbevollmächtigte wirksame Prozeßhandlungen im Verfahren vor dem Bundessozialgericht vornehmen können. Die von ihm mit Schriftsatz vom 3. Juli 1955 eingelegte Revision ist daher unwirksam und mußte ebenso wie die vom Kläger persönlich eingelegte Revision als unzulässig verworfen werden, ohne daß noch geprüft zu werden brauchte, ob die Revision auch noch aus anderen Gründen unzulässig ist.
Der Beschluß ergeht gemäß § 169 SGG, die Kostenentscheidung in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen