Leitsatz (amtlich)
1. Einer selbständigen Vereinigung von Arbeitnehmern fehlt die nach SGG § 166 Abs 2 notwendige "sozial- oder berufspolitische Zwecksetzung", wenn sie wegen ihrer geringen Mitgliederzahl und Finanzkraft nicht in der Lage ist, diese Ziele ernstlich und nachdrücklich zu verfolgen (Anschluß an BSG 1970-03-20 11 RA 139/69 = SozR Nr 39 zu § 166 SGG und an BSG 1970-06-04 5 RKn 62/69 = SozR Nr 40 zu § 166 SGG).
2. Weigert sich ein Prozeßbevollmächtigter, die Tatsachen anzugeben, die ihn zur Prozeßvertretung vor dem BSG berechtigen, so zwingt der Untersuchungsgrundsatz (SGG § 103) das Gericht nicht zu weiteren Nachforschungen (Anschluß an BSG 1955-09-14 10 RV 490/55 = SozR Nr 3 zu § 103 SGG).
Normenkette
SGG § 166 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1953-09-03, § 103 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 1. Dezember 1967 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beklagte ist von der beigeladenen Bundesanstalt für Arbeit (BA) gemäß § 54 Abs. 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) mit der Arbeitsvermittlung von Studenten beauftragt worden. Sie vermittelte auch den Kläger während seiner bis 1963 dauernden Studienzeit. Der Kläger hat gegen die Beklagte Ansprüche erhoben, die nach seiner Auffassung mit dieser Arbeitsvermittlung im Zusammenhang stehen. Er verlangt die Herausgabe eines von der Beklagten ausgestellten und von ihm akzeptierten Wechsels und begehrt die Feststellung, daß die Beklagte die im Wechsel genannten Beträge nicht verlangen könne. Außerdem beantragt er festzustellen, daß die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, ihn von jeder Arbeitsvermittlung auszuschließen.
Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. November 1962 durch Urteil vom 1. Dezember 1967 mit der Begründung zurückgewiesen, daß wegen des privatrechtlichen Charakters der Tätigkeit der Beklagten der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 51 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) verschlossen sei.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger durch das Vorstandsmitglied des B A-B (BAB), eines nicht rechtsfähigen Vereins, Dipl.-Ing. Klaus G (G.), Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung des § 51 SGG. Nach seiner Auffassung ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet, weil die Beklagte als sog. beliehener Unternehmer Aufgaben der "schlichten Hoheitsverwaltung" erfülle.
II
Die Revision ist nicht statthaft. Es kann dahinstehen, ob der BAB sein Vorstandsmitglied G. überhaupt wirksam zur Prozeßführung bevollmächtigt hat, insbesondere, ob dazu die im Revisionsverfahren im Oktober 1969 überreichte "Vollmachtserklärung" der beiden Vorstandsmitglieder, des Dipl.-Ing. G. und des Dipl.-Ing. S ausgereicht hat. Jedenfalls kann nicht festgestellt werden, daß der BAB die nach § 166 SGG an eine Vereinigung von Arbeitnehmern zu stellenden gesetzlichen Voraussetzungen für eine Prozeßvertretung vor dem Bundessozialgericht (BSG) erfüllt.
Nach § 166 Abs. 2 SGG sind als Prozeßbevollmächtigte vor dem BSG Mitglieder und Angestellte von Gewerkschaften, von selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, von Vereinigungen von Arbeitgebern und von Vereinigungen der Kriegsopfer zugelassen, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind; darüber hinaus ist jeder bei einem deutschen Gericht zugelassene Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigter zugelassen.
Der BAB ist keine Vereinigung von Arbeitnehmern mit einer sozial- oder berufspolitischen Zwecksetzung im Sinne des § 166 Abs. 2 SGG. Dazu reicht es nicht aus, daß sich diese Zwecksetzung - wie im vorliegenden Fall - aus der Satzung ergibt. Es muß hinzukommen, daß die Vereinigung auch ernstlich willens und in der Lage ist, diese Ziele nachdrücklich zu verfolgen. Vereinigungen, die wegen ihrer geringen Mitgliederzahl oder ihrer geringen finanziellen Mittel nicht in der Lage sind, diese Ziele nachdrücklich zu verfolgen, sind keine Vereinigungen im Sinne des § 166 Abs. 2 SGG. Diese Auffassung hat der erkennende Senat bereits in seinem Beschluß vom 19. Oktober 1970 - 7 RU 27/70 - im Anschluß an die Rechtsprechung des 5. Senats des BSG (BSG SozR Nr. 40 zu § 166 SGG) vertreten. Vor allem spricht der Zweck des § 166 SGG dafür, Arbeitnehmervereinigungen mit geringer Mitgliederzahl und niedrigem Betriebsaufkommen nicht zu den Organisationen im Sinne dieser Bestimmung zu rechnen (BSG SozR Nr. 39 zu § 166 SGG). § 166 SGG soll nämlich sicherstellen, daß nur solche Prozeßbevollmächtigte vor dem BSG auftreten, die befähigt sind, die Beteiligten durch sachgerechte Prozeßführung vor Schaden und das BSG vor unnötigen Belastungen zu bewahren (BSG SozR Nr. 5, 20, 39 und 40 zu § 166 SGG). Eine Vereinigung mit geringer Mitgliederzahl und damit in der Regel niedrigem Beitragsaufkommen ist nicht in der Lage, einen geeigneten Prozeßbevollmächtigten zu bestellen. Gegen diese in der Rechtsprechung des BSG bei der Anwendung des § 166 Abs. 2 SGG vorgenommene Differenzierung nach der Größe und der Finanzkraft der Vereinigung bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG, Beschluß vom 1. Juli 1970 - 1 BVR 260/70 - SozR Nr. 5 Bl Ab 5 zu Art. 101 GG).
Der Senat hat nicht feststellen können, ob G. als Mitglied einer Organisation im Sinne des § 166 Abs. 2 SGG zu den Personen gehört, die zur Prozeßführung vor dem BSG befugt sind. G. ist durch Verfügung vom 19. Februar 1970 aufgefordert worden anzugeben, wieviel Mitglieder der BAB Ende Februar 1968 hatte und welche finanziellen Mittel ihm seit Jahresbeginn 1968 zur Verfügung standen. Mit Schreiben vom 17. November 1970 hat sich G. ausdrücklich geweigert, die Fragen nach Mitgliederzahl und Finanzkraft des BAB schriftlich zu beantworten. Unter diesen Umständen ist die zu den Akten überreichte Satzung des BAB von 1962 - neben dem schriftsätzlichen Vorbringen des Klägers - die einzige Erkenntnisquelle für den Senat. Danach hat der BAB bei der Gründung sieben Mitglieder gehabt mit einem monatlichen Beitragsaufkommen von 0,50 DM für ein noch in der Ausbildung befindliches Mitglied und 2 DM für sonstige Mitglieder. Da nach den Angaben des Klägers die Satzung niemals geändert worden ist, muß davon ausgegangen werden, daß die Beitragssätze heute noch ebenso niedrig sind wie 1962. Es fehlt auch an jedem Anhalt dafür, daß die Zahl der Mitglieder nennenswert über sieben gestiegen sein soll. In einem Verfahren nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes, in welchem der BAB wegen seiner unbedeutenden Stellung im Arbeitsleben nicht als tariffähig angesehen worden ist (Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom 9. Juli 1968 - 1 ABR 2/67 - Arbeitsrechtliche Praxis Nr. 25 zu § 2 TVG) hat der Verein seine Mitgliederzahl betont nur unbestimmt mit "mehr als sieben Personen" - davon je zur Hälfte Werkstudenten und Akademiker mit beendetem Studium - angeben lassen. Beide Größen - Mitgliederzahl und Beitragsaufkommen - sind so geringfügig, daß die an eine "selbständige Vereinigung von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung" nach den vorstehenden Ausführungen zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt sind. Die Weigerung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers, zusätzliche Angaben zu machen, geht zu Lasten des von ihm vertretenen Beteiligten. Der im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit geltende Untersuchungsgrundsatz (§ 103 SGG) verlangt nicht, daß das Revisionsgericht von sich aus eingehendere Nachforschungen über die Prozeßführungsbefugnis anstellt. Es hat bei der gegebenen Sachlage seine Pflicht zur Ermittlung von Amts wegen durch die an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers gerichtete Anfrage vom 19. Februar 1970 erfüllt (BSG SozR Nr. 3 zu § 103 SGG). Andernfalls würden die Beteiligten ohne Rechtfertigung von ihrer Pflicht befreit, die ihnen ohne weiteres möglichen Angaben tatsächlicher Art zu machen, und die Amtsermittlungspflicht des Revisionsgerichts unangemessen ausgedehnt. Hiernach kann G. nicht als nach § 166 Abs. 2 SGG zur Vertretung vor dem BSG zugelassener Prozeßbevollmächtigter angesehen werden.
Die Revision muß somit mangels Statthaftigkeit als unzulässig verworfen werden (§ 169 SGG).
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen