Verfahrensgang
SG Reutlingen (Entscheidung vom 25.01.2017; Aktenzeichen S 11 R 2349/13) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 25.06.2020; Aktenzeichen L 7 R 897/17) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juni 2020 wird als unzulässig verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auf 71 153,41 Euro festgesetzt.
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über eine Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung und Umlagen für die Zeit von Januar 2008 bis Dezember 2011 in Höhe von 71 153,41 Euro aufgrund einer bei der Klägerin durchgeführten Betriebsprüfung. Der Beigeladene zu 1. habe im streitgegenständlichen Zeitraum seine Tätigkeit als Berater bzw Mitarbeiter in der Konstruktion für die Klägerin im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt und der Versicherungspflicht in den Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung unterlegen (Bescheid vom 22.3.2013, Widerspruchsbescheid vom 1.8.2013). Das SG Reutlingen hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben. Es liege eine selbstständige Tätigkeit vor (Urteil vom 25.1.2017). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG Baden-Württemberg das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Kriterien für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung überwögen. Der Beigeladene zu 1. habe einem Weisungsrecht unterlegen und sei in die Arbeitsorganisation der Klägerin eingegliedert gewesen, ohne ein wesentliches Unternehmerrisiko zu tragen. Er habe einen festen Stundenlohn erhalten und es habe ein Wettbewerbsverbot bestanden. Eine materielle Bindungswirkung aufgrund früherer beanstandungsloser Betriebsprüfungen sei nicht eingetreten (Urteil vom 25.6.2020). Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG). Die Klägerin hat entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG den allein geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nicht hinreichend bezeichnet.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann. Dabei ist zu beachten, dass ein Verfahrensmangel nicht auf die Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 3 SGG).
Das Vorbringen der Klägerin wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
1. Die Klägerin rügt einen Verstoß "gegen die vollumfängliche Prüfung des Streitgegenstandes gem. § 157 SGG", weil sich das Berufungsgericht auf eine Würdigung der aus den Akten ergebenden Indizien sowie der Aussagen der Beteiligten im Erörterungstermin beschränkt habe. Es wäre aber ihrer Ansicht nach geboten gewesen, dass sich das Berufungsgericht ein eigenes Bild von den Umständen der Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. gemacht hätte. Stattdessen seien Mutmaßungen angestellt und Umstände nicht abschließend geklärt worden.
Soweit sie damit im Kern geltend macht, dass das LSG keine ausreichenden Feststellungen zu den tatsächlichen Verhältnissen getroffen habe, erfüllt sie die Darlegungsanforderungen an eine Sachaufklärungsrüge (vgl hierzu allgemein BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN) nicht. Hierzu wäre aufzuzeigen, dass sie einen Beweisantrag gestellt hat. Denn ein im Berufungsverfahren anwaltlich vertretener Beteiligter - wie die Klägerin - kann nur dann mit der Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht gehört werden, wenn er einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt. Nur dann erfüllt ein Beweisantrag nach Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG die Warnfunktion dahingehend, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr 10 mwN). Dass dies geschehen sei, legt die Klägerin aber nicht dar.
Dass die Klägerin mit den Schlussfolgerungen des LSG und der Würdigung des Sachverhalts (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) nicht einverstanden ist, stellt keinen Zulassungsgrund dar (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).
2. Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) geltend macht, weil das Berufungsgericht nicht zu erkennen gegeben habe, dass es eine vom SG abweichende Würdigung des Sachverhalts vornehmen würde und deshalb weiterer Sachvortrag erforderlich gewesen sei, reicht dies zur Darlegung einer Überraschungsentscheidung nicht. Von einer Überraschungsentscheidung kann nur ausgegangen werden, wenn sich das Gericht ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl zB BVerfG ≪Kammer≫Beschluss vom 5.4.2012 - 2 BvR 2126/11 - NJW 2012, 2262 RdNr 18 mwN). Es gibt aber grundsätzlich keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das LSG verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl zB BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 SB 3/12 R - juris RdNr 44). In der Beschwerdeschrift hätten daher besondere Gesichtspunkte angegeben werden müssen, die zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung ausnahmsweise eines vorherigen Hinweises des Gerichts auf seine Rechtsauffassung geboten hätte. Die Darlegung, dass das LSG von der Rechtsauffassung des SG abgewichen sei, ist nicht ausreichend. Damit wird keine besondere prozessuale Situation beschrieben.
Auch mit dem Hinweis der Klägerin, dass das LSG wegen der zeitlichen Freiheiten des Beigeladenen zu 1. auf den "Freiraum des Arbeitnehmers in einer zunehmend hinsichtlich der Arbeitszeit (und teils auch des Arbeitsorts) flexiblen Arbeitswelt" abgestellt habe, ohne sie dazu anzuhören, wird noch keine Überraschungsentscheidung dargelegt. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung deutet eine frei gestaltete Arbeitszeit nur dann auf Selbstständigkeit hin, wenn diese Freiheit tatsächlich Ausdruck eines fehlenden Weisungsrechts und nicht nur Folge der Übertragung größerer Eigenverantwortung bei der Aufgabenerledigung auf den einzelnen Arbeitnehmer bei ansonsten fortbestehender funktionsgerecht dienender Teilhabe am Arbeitsprozess ist (vgl BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 16/13 R - BSGE 120, 99 = SozR 4-2400 § 7 Nr 25, RdNr 29). Von welchen konkreten Bedingungen das LSG insoweit ausgegangen ist, zeigt die Klägerin aber nicht auf. Damit ist auch die Entscheidungserheblichkeit der von der Klägerin isoliert herausgegriffenen Urteilspassage nicht hinreichend dargelegt. Die bloße Behauptung, gerade diese Ausführungen zur Arbeitswelt hätten das Berufungsgericht zu seiner Entscheidung bewogen, reicht dafür nicht. Soweit die Klägerin ausführt, dass erst die Pandemie im Jahr 2020 zu flexiblen Arbeitsbedingungen gezwungen habe, und das Gleichbehandlungsgebot mit anderen Arbeitnehmern keinen Freiraum bei den Arbeitszeiten erlaube, ist nicht ersichtlich, wieso es auf diesen Vortrag für das LSG bei seiner Gesamtabwägung der tatsächlichen Umstände maßgeblich hätte ankommen sollen.
Davon abgesehen handelt es sich mit dem Angriff auf den vom LSG verwendeten Erfahrungssatz im Kern um eine Rüge der Beweiswürdigung, mit der eine Nichtzulassungsbeschwerde ebenso wenig begründet werden kann wie mit der inhaltlichen Unrichtigkeit. Durch eine Gehörsrüge können die Beschränkungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG grundsätzlich nicht unterlaufen werden (vgl BSG Beschluss vom 22.11.2018 - B 13 R 297/17 B - juris RdNr 18).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 und 3, § 162 Abs 3 VwGO.
5. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 52 Abs 1 und Abs 3, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG und entspricht der Festsetzung des LSG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14375217 |