Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Revisionsgericht. bedeutsame Rechtstatsache. Auslegung einer Rechtsnorm. wahlweise Ermittlungs- oder Übertragungsbefugnis. abschließende Bewertung des Beweismaterials
Orientierungssatz
Soweit Rechtstatsachen für die Auslegung von Rechtsnormen durch das Revisionsgericht von Bedeutung sind, hat dieses die Wahl, ob es die für die Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen selbst durchführt oder sie dem Berufungsgericht überträgt und sich lediglich die abschließende Bewertung des Beweismaterials vorbehält (vgl BSG vom 25.10.1994 - 3 RK 16/94 = USK 9495).
Normenkette
SGG §§ 163, 169
Verfahrensgang
Gründe
Die gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Urteil des Landessozialgerichts (LSG) gerichtete, auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung, der Divergenz und des Verfahrensmangels gestützte Beschwerde ist unzulässig. Die dazu gegebene Begründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, dass der Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34, 47 und 58; vgl hierzu auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl, 2002, IX, RdNr 177 und 179 mwN). Daran mangelt es hier.
Nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. In der Beschwerdebegründung muss nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG diese grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache aufgezeigt werden. Hierzu ist zunächst darzulegen, welcher abstrakten Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung beigemessen wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11). Denn die Zulassung der Revision erfolgt zur Klärung grundsätzlicher Rechtsfragen und nicht zur weiteren Entscheidung des Rechtsstreits. Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die begehrte Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 181). Dazu ist erforderlich, dass ausgeführt wird, ob die Klärung dieser Rechtsfrage grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Rechtsfrage darf sich nicht auf den Einzelfall in dem Sinne beschränken, ob das LSG nach unrichtigen rechtlichen Maßstäben entschieden habe (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7; Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 58). Weiter hat der Beschwerdeführer darzulegen, dass die Rechtsfrage klärungsbedürftig, also zweifelhaft, und klärungsfähig, mithin rechtserheblich ist, sodass hierzu eine Entscheidung des Revisionsgerichts zu erwarten ist (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 1; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16). Zur Klärungsfähigkeit gehört auch, dass die Rechtsfrage in einem nach erfolgter Zulassung durchgeführten Revisionsverfahren entscheidungserheblich ist (BSG Beschluss vom 11. September 1998 - B 2 U 188/98 B -).
Die Beklagte meint, es bedürfe revisionsgerichtlicher Klärung, ob sich aufgrund neuer, vom Verordnungsgeber der BKV noch nicht berücksichtigter wissenschaftlicher Erkenntnisse zwischenzeitlich im Gebiet der Arbeitsmedizin eine herrschende Meinung zu der Frage herausgebildet hat, ob und unter welchen Voraussetzungen eine kombinierte Einwirkung von Asbeststaub und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) auch dann geeignet ist, eine Lungenkrebserkrankung hervorzurufen, wenn die für die ge-nannten Schadstoffe festgelegten Dosisschwellenwerte einzeln jeweils nicht erreicht werden. Inwieweit diese auf tatsächlichem Gebiet liegende Fragestellung nach dem einschlägigen Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse Gegenstand einer Grundsatzrüge sein kann, weil es dabei nicht um die Tatsachen des Einzelfalls, sondern um die Feststellung sogenannter genereller Tatsachen (Rechtstatsachen) geht (siehe dazu BSG SozR 3-2500 § 34 Nr 4 S 19 f; BSGE 84, 90, 94 f = SozR 3-2500 § 18 Nr 4 S 16 f) , bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Beklagte hat jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargetan.
Soweit Rechtstatsachen für die Auslegung von Rechtsnormen durch das Revisionsgericht von Bedeutung sind, hat dieses die Wahl, ob es die für die Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen selbst durchführt oder sie dem Berufungsgericht überträgt und sich lediglich die abschließende Bewertung des Beweismaterials vorbehält (BSG, Urteil vom 25. Oktober 1994 - 3 RK 16/94 - USK 9495 mwN) . Hat das LSG wie im vorliegenden Fall nach Anhörung führender Sachverständiger des einschlägigen medizinischen Fachgebiets festgestellt, dass neue gesicherte medizinische Erkenntnisse über eine Kombinationswirkung von Asbeststaub und PAK vorliegen, die sich hinsichtlich der für eine Verursachungswahrscheinlichkeit zu fordernden Dosisgrenzwerte zur "Berufskrankheitenreife" verdichtet haben, besteht ohne weitere Anhaltspunkte kein Grund für die Annahme, dass das BSG in einem etwaigen Revisionsverfahren zu einer anderen Bewertung gelangen wird. Mit der Grundsatzrüge muss deshalb in einem solchen Fall vorgetragen werden, dass und in welchem Umfang der vom LSG wiedergegebenen Beurteilung in der medizinischen Wissenschaft widersprochen wird bzw warum entgegen der von den Sachverständigen geäußerten Auffassung nicht von einer herrschenden medizinischen Lehrmeinung zu dem in Rede stehenden Fragenkomplex ausgegangen werden kann. Dazu findet sich in der Beschwerdebegründung nichts. Die Beklagte beschränkt sich auf den Hinweis, dass es gegensätzliche Meinungsäußerungen von Landessozialgerichten gebe, ohne die betreffenden Entscheidungen vorzulegen oder die ihnen zugrunde liegenden medizinischen Bewertungen inhaltlich mitzuteilen.
Die Divergenzrüge ist ebenfalls nicht zulässig erhoben. Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist für die Zulassung der Revision nur dann ausreichend begründet, wenn schlüssig erklärt wird, mit welchem genau bestimmten entscheidungserheblichen Rechtssatz das angegriffene Urteil des LSG von welcher genau bestimmten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 21, 29 und 54). Dazu genügt es nicht darzulegen, dass die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entspricht, die etwa das BSG aufgestellt hat, sondern es ist darzutun, dass das LSG diesen Kriterien ausdrücklich widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen Abweichung (vgl Krasney/Udsching, aaO, RdNr 196 mwN; BSG Beschluss vom 28. September 1998 - B 4 RA 200/97 B - HVBG-Info 1999, 3008; BSG SozR 1500 § 160a Nr 29, BSG Beschlüsse vom 18. Juli 2000 - B 2 U 160/00 B - und 18. September 2000 - B 2 U 244/00 B -). Zudem ist darzulegen, dass die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht.
Die Beklagte hat dem angefochtenen Urteil des LSG keinen abstrakten Rechtssatz entnommen, der den zitierten Entscheidungen des BSG bewusst oder unbewusst widerspreche. Vielmehr hat die Beklagte, was insbesondere die Verwendung des Begriffes "verstößt" dokumentiert, dargestellt, dass das angefochtene Urteil der zitierten Rechtsprechung des BSG im Einzelfall nicht entspreche. Dies kann indes nicht zur Zulassung der Revision wegen Abweichung führen.
Schließlich genügt auch die Verfahrensrüge nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Die Beklagte hält dem LSG unzureichende Ermittlungen bezüglich des Bestehens einer herrschenden Lehrmeinung zur Kombinationswirkung von Asbestfaserstaub und PAK vor. Unabhängig davon, ob die Feststellungen zum Stand der medizinischen Erkenntnis als einer Rechtstatsache überhaupt Gegenstand einer Verfahrensrüge sein können, ist jedenfalls der von der Beklagten gerügte Aufklärungsmangel nicht schlüssig dargelegt. Es fehlt an der Bezeichnung eines berücksichtigungsfähigen Beweisantrages. Die Beklagte hätte darlegen müssen, welchem konkreten Beweisantrag iS der Zivilprozessordnung das LSG nicht gefolgt sein soll, und sie hätte diesen Beweisantrag so genau bezeichnen müssen, dass er für das Revisionsgericht ohne weiteres auffindbar ist (vgl BSGE 40, 40, 41 = SozR 1500 § 160a Nr 4; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNr 215). Dies hat sie versäumt.
Die Beschwerde war daher als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 iVm § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen