Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung des durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienstes bei Schul- oder Berufsausbildung (§ 941 RVO aF, § 786 RVO nF)

 

Orientierungssatz

Zur Anwendung des durchschnittlichen Jahresarbeitsverdienstes bei Schul- oder Berufsausbildung (§ 941 RVO aF, § 786 RVO nF):

Sowohl nach § 941 RVO aF als auch nach § 786 RVO nF idF vom 30.4.1963 ist bei Verletzten, für die durchschnittliche Jahresarbeitsverdienste festgesetzt sind und die sich zur Zeit des Unfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befunden haben, für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung anstelle des dann geltenden Tariflohnes oder des sonst allgemein festgesetzten Lohnes (§ 565 Abs 1 RVO aF, § 573 Abs 1 RVO nF) der für die höhere Altersstufe festgesetzte durchschnittliche Jahresarbeitsverdienst maßgebend.

 

Normenkette

RVO §§ 941, 786 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 12.06.1986)

SG Heilbronn (Entscheidung vom 26.07.1985)

 

Gründe

Der Kläger hat als siebenjähriger Schüler im landwirtschaftlichen Unternehmen seines Großvaters am 25. August 1949 einen Unfall erlitten, als er beim Jauchefahren die Pferde halten sollte und diese dabei durchgingen. Die Beklagte gewährt dem Kläger deswegen, zuletzt durch Bescheid vom 17. Oktober 1962, eine Dauerrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 vH. Der Rentenberechnung ist für die Zeit ab der Vollendung des 21. Lebensjahres des Klägers am 4. November 1962 der für diese Altersstufe festgesetzte durchschnittliche Jahresarbeitsverdienst (JAV) von damals 3.420,-- DM zugrunde gelegt.

Mit dem im Dezember 1983 an die Beklagte gerichteten Begehren, der Rentenberechnung als JAV das inzwischen erreichte Einkommen eines Versicherungskaufmanns und Geschäftsführers einer Versicherungsagentur zugrunde zu legen, ist der Kläger ohne Erfolg geblieben (Bescheid vom 22. März 1984 und Widerspruchsbescheid vom 17. April 1984; Urteile des Sozialgerichts -SG- Heilbronn vom 26. Juli 1985 und des Landessozialgerichts -LSG- Baden-Württemberg vom 12. Juni 1986).

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Er macht geltend, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe und das LSG im angefochtenen Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) abgewichen sei.

Die Beschwerde ist unzulässig.

Nach § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Revision ua nur zuzulassen, wenn die Rechtssage grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder das Urteil von einer Entscheidung des BSG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2). In der Beschwerdebegründung muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssage dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht, bezeichnet werden.

Sowohl nach § 941 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum Inkrafttreten des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I 241) am 1. Juli 1963 geltenden Fassung (RVO a), die hier maßgebend ist, als auch nach § 786 RVO in der seitdem geltenden Fassung, ist in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung bei Verletzten, für die durchschnittliche JAVe festgesetzt sind und die sich zur Zeit des Unfalls noch in einer Schul- oder Berufsausbildung befunden haben, für die Zeit nach der voraussichtlichen Beendigung der Ausbildung anstelle des dann geltenden Tariflohnes oder des sonst allgemein festgesetzten Lohnes (§ 565 Abs 1 RVO aF, § 573 Abs 1 RVO) der für die höhere Altersstufe festgesetzte durchschnittliche JAV (Durchschnittssatz) maßgebend. Diese von der für Verletzte in der gewerblichen Unfallversicherung bestehenden Regelung abweichenden Vorschriften sind in ihrer Auslegung eindeutig und vom Gesetzgeber auch gewollt, wie das LSG dargelegt hat. Insoweit hat der Kläger nichts vorgetragen, was noch klärungsbedürftig ist und deshalb einer revisionsgerichtlichen Entscheidung bedarf.

Daß zur Zeit des Unfalls des Klägers im Jahre 1949 nach § 932 RVO aF in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung bei allen Verletzten der JAV nach Durchschnittssätzen festgesetzt wurde, mit dem Inkrafttreten des UVNG am 1. Juli 1963 nach § 780 RVO dies jetzt nur noch für landwirtschaftliche Unternehmer und ihre Ehegatten sowie für die im Unternehmen mitarbeitenden Familienangehörigen des Unternehmers gilt, der Kläger aber nicht zu diesen Personen gehört, wie das LSG ausgeführt hat, gibt der Sache gleichfalls keine grundsätzliche Bedeutung. Denn die neue Regelung, die den Kläger begünstigt haben würde, findet nur deshalb keine Anwendung, weil das UVNG nach Art 4 Abs 1 UVNG grundsätzlich nur für Arbeitsunfälle gilt, die nach seinem Inkrafttreten eingetreten sind. Zu den gemäß Art 4 § 2 UVNG ausnahmsweise auch für Arbeitsunfälle vor dem Inkrafttreten des UVNG geltenden neuen Vorschriften sind diejenigen, die den Anspruch des Klägers nach neuem Recht stützen könnten, nicht genannt. Diese Regelung ist ebenfalls eindeutig und wirft keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf.

Abgesehen von landwirtschaftlichen Unternehmern und deren Ehegatten sowie den im Unternehmen mitarbeitenden Familienangehörigen des Unternehmers (§ 780 RVO) werden nach dem Inkrafttreten des UVNG nur noch bei denjenigen in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung versichert gewesenen Verletzten als JAV Durchschnittssätze der Rentenberechnung zugrunde gelegt, welche ihren Arbeitsunfall bereits vor dem Inkrafttreten des UVNG erlitten haben. Daß dies auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten - Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) - nicht zu beanstanden ist, hat das BSG bereits in seinem Urteil vom 19. August 1975 - 8 RU 228/74 - (BSGE 40, 134, 137) dargelegt.

Zudem können außer Kraft getretene Vorschriften, wie diejenigen, welche auf Arbeitsunfälle vor dem Inkrafttreten des UVNG am 1. Juli 1963 und damit auf den Arbeitsunfall des Klägers im Jahre 1949 anzuwenden sind, in der Regel keine grundsätzlichen Rechtsfragen aufwerfen, es sei denn, daß noch eine erhebliche Anzahl von Fällen zu entscheiden sind und darin die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage liegt (BSG SozR 1500 § 160a Nr 19). Der Kläger hat insoweit nichts vorgetragen, was die Beschwerde statthaft machen könnte.

Die vom Kläger behauptete Divergenz des angefochtenen Urteils des LSG zu der Entscheidung des BSG vom 15. Juni 1983 - 9b/8 RU 58/81 - (BSG SozR 2200 § 573 Nr 11) ist nicht dargelegt. Diese Entscheidung betrifft die gewerbliche Unfallversicherung. Das vom Kläger angefochtene Urteil des LSG betrifft dagegen die landwirtschaftliche Unfallversicherung, die von einer vom Gesetzgeber gewollten Sonderstellung der Landwirte ausgeht (BSGE 40, 134, 137).

Die Beschwerde mußte daher verworfen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1665702

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge