Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungseinlegung mittels Telefax. Fehlen der eigenhändigen Unterschrift. Formgerechtigkeit
Leitsatz (amtlich)
Das Fehlen einer eigenhändigen Unterschrift schließt bei einer mittels PC-Modem als Datei an das Telefax-Empfangsgerät des LSG geleiteten Berufung die Formgerechtigkeit nicht aus.
Orientierungssatz
1. Eine von einem Computer ausgesandte Berufungsschrift kann dem Schriftformerfordernis genügen; es kommt darauf an, ob es den Urheber und dessen Willen, das Schriftstück in den Verkehr zu bringen, klar macht.
2. Hat die Vorinstanz zu Unrecht eine Klage als unzulässig abgewiesen oder eine Berufung verworfen, so führt die nicht zwangsläufig zur Rückverweisung. Die Revisionsinstanz hat vielmehr die Klage als unbegründet abzuweisen, wenn sie unschlüssig ist und kein entscheidungserheblicher Prozeßstoff mehr vorgetragen werden kann.
Normenkette
SGG § 151 Abs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
Gründe
Die Klägerin wendet sich mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im angefochtenen Beschluß des Landessozialgerichts (LSG) Nordrhein-Westfalen. Das LSG hat ihre Berufung wegen Nichteinhaltung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen. Die Klägerin hatte die Berufungsschrift mittels eines Schreibprogramms auf ihrem häuslichen PC erstellt und die Datei am Samstag vor der am Montag ablaufenden Berufungsfrist über ein im PC befindliches Modem unmittelbar an das Telefax-Empfangsgerät des LSG übermittelt, ohne zuvor selbst ein Schriftstück erstellt zu haben. Der Ausdruck des Telefaxgerätes des LSG enthält keine eigenhändige Unterschrift der Klägerin; das Schriftstück endet mit Namen und Anschrift der Klägerin sowie dem Hinweis "Dieser Brief wurde maschinell erstellt, wird nicht eigenhändig unterschrieben". Abschließend folgen die Faxnummer der Klägerin, Datum und Uhrzeit der Sendung sowie als Adressat "Landessozialgericht NRW".
Auf die Beschwerde der Klägerin war die Revision gem § 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Sozialgerichtsgesetz (SGG) zuzulassen. Die Klägerin macht mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend, das LSG habe ihre Berufung nicht wegen Verfristung durch Prozeßurteil abweisen dürfen. Es sei verpflichtet gewesen, ein Sachurteil zu erlassen, da die von ihr am Tag vor Ablauf der Berufungsfrist an das LSG übermittelte Berufungsschrift dem Schriftformerfordernis des § 151 Abs 1 SGG genüge.
Die Klägerin hat den Verfahrensmangel, die Unzulässigkeit einer Entscheidung durch Prozeßurteil (vgl BSGE 34, 236, 237; 39, 201), hinreichend bezeichnet. Wegen der Art des Verfahrensmangels war es nicht erforderlich, Tatsachen anzugeben, aus denen sich die Möglichkeit ergibt, daß das angefochtene Urteil auf dem Verfahrensmangel beruht (BSGE 34, 236, 237 = SozR Nr 57 zu § 51 SGG).
Der von der Klägerin gerügte Verfahrensverstoß liegt auch tatsächlich vor. Das LSG hätte die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen, sondern zur Sache entscheiden müssen. Die Auffassung des LSG, die mittels PC-Modem unmittelbar an das Telefax-Empfangsgerät des LSG geleitete Berufungsschrift genüge nicht dem Schriftformerfordernis des § 151 Abs 1 SGG und es bedürfe deshalb keiner Entscheidung in der Sache, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Schriftlichkeit auch durch eine Telekopie gewahrt wird; diese müsse jedoch die Unterschrift des Urhebers wiedergeben. Das LSG übersieht jedoch, daß sich die Klägerin zur Übermittlung der Berufungsschrift nicht des Telekopie-Verfahrens bedient hat. Sie hat kein Schriftstück angefertigt und dieses von einem Telefaxgerät kopieren und an das Empfangsgerät des Gerichts senden lassen. Stattdessen hat sie auf ihrem PC mittels eines Schreibprogramms eine Datei erstellt, die die Berufungsschrift enthielt, und diese ohne Zwischenschaltung einer Ausfertigung in Papierform an das Empfangsgerät des Gerichts geleitet. Die Beifügung einer Unterschrift ist bei diesem Übertragungsverfahren nur in der Form technisch möglich, daß die Unterschrift mittels eines Scanners in den PC eingegeben und durch Betätigung entsprechend eingerichteter Funktionstasten in die Datei eingefügt wird. Daß auch der häusliche PC der Klägerin entsprechend ausgerüstet ist, hat die Klägerin dadurch zu erkennen gegeben, daß sie ein entsprechend "unterzeichnetes" Fax an das LSG gesandt hat, nachdem sie auf die fehlende Unterschrift in der Berufungsschrift hingewiesen worden war. Hierauf kann es jedoch im Hinblick auf die Wahrung der Schriftform nicht ankommen. Der eingescannten und mittels bloßem Tastendruck eingefügten Unterschrift kann im Rechtsverkehr keine andere Bedeutung zukommen als der maschinenschriftlichen Angabe des Namens. Sie hat keinen Beweiswert für die Frage, ob der Unterzeichner auch Urheber des Schriftstücks ist und dieses bewußt in den Verkehr gebracht hat.
Zwar ist die eigenhändige Unterschrift das im Rechtsverkehr typische Merkmal, um den Urheber eines Schriftstücks und seinen Willen festzustellen, die niedergeschriebene Erklärung in den Verkehr zu bringen. Zur Wahrung der Schriftform ist deshalb im Regelfall die eigenhändige Unterschrift erforderlich. Dies schließt es jedoch nicht aus, daß auf die Urheberschaft und das bewußte In-den-Verkehr-Bringen im Einzelfall auch durch andere Umstände geschlossen werden kann. Dies ist in der Rechtsprechung vor allem im Hinblick auf neue Formen der Telekommunikation seit langem anerkannt. So wird die Einreichung bestimmender Schriftsätze durch Telegramm und Fernschreiben (Telex) seit langem zugelassen (vgl BVerwGE 81, 32, 35; BFH NJW 1996, 1432 jeweils mwN), obgleich bei diesen Übertragungsformen eine eigenhändige Unterschrift technisch unmöglich ist und auch eine Kontrolle der Identität des Urhebers, etwa nach Zulassung der telefonischen Telegrammaufgabe, kaum möglich ist. Nichts anderes gilt für die Übermittlung eines bestimmenden Schriftsatzes durch Btx-Mitteilung (vgl BVerwG NJW 1995, 2121). Diese Übertragungsart ist mit derjenigen, die die Klägerin hier gewählt hat, weitgehend vergleichbar. Auf Seiten des Absenders, auf den im Hinblick auf die Frage der eigenhändigen Unterschrift allein abgestellt werden kann, sind die technischen Gegebenheiten und Abläufe grundsätzlich identisch. Das Fehlen einer eigenhändigen Unterschrift schließt bei dieser Übertragungsform, wie dies das BVerwG für die Btx-Mitteilung bereits entschieden hat (BVerwG NJW 1995, 2121), die Formgerechtigkeit nicht schlechthin aus. Entscheidend ist, ob sich aus dem bestimmenden Schriftsatz allein oder in Verbindung mit den ihn begleitenden Umständen die Urheberschaft und der Wille, das Schreiben in den Verkehr zu bringen, hinreichend sicher ergeben, ohne daß darüber Beweis erhoben werden müßte (vgl BVerwGE 81, 32, 36).
Diese Voraussetzungen sieht der Senat hier als erfüllt an. Die Urheberschaft der Klägerin läßt sich vor allem dem Umstand entnehmen, daß sie die Berufung mit ihrem Namen und ihrer Anschrift abgeschlossen hat und durch die Hinzufügung des Hinweises "dieser Brief wurde maschinell erstellt, wird nicht eigenhändig unterschrieben" deutlich gemacht hat, daß sie aus technischen Gründen auf eine eigenhändige Unterschrift verzichtet hat. Der Identifizierung dient schließlich auch die vom Absendegerät angefügte Fax-Nummer. Der Datums- und Zeitangabe am Schluß der Mitteilung ist zu entnehmen, daß die Klägerin diese unmittelbar vor Ablauf der Berufungsfrist, zudem an einem Samstag, abgesandt hat. Diese Umstände sprechen dagegen, daß die Mitteilung unbewußt oder versehentlich in den Verkehr gebracht wurde. Nach der Lebenserfahrung bedient sich ein Rechtsmittelführer der modernen Kommunikationsmöglichkeiten gerade zur Vermeidung sonst drohender Fristüberschreitungen.
Der Senat wird im anstehenden Revisionsverfahren auch zu entscheiden haben, ob die Klage begründet sein kann. Der hier vorliegende Verfahrensfehler führt nicht zwangsläufig zur Rückverweisung an die Berufungsinstanz. Nach ständiger Rechtsprechung kann ein abschließendes Sachurteil auch dann erlassen werden, wenn die Vorinstanz die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen oder die Berufung verworfen hat (BSGE 75, 74, 77 = SozR 3-2500 § 33 Nr 12 mwN). Die Klage ist als unbegründet abzuweisen, wenn sie unschlüssig ist und es ausgeschlossen erscheint, daß noch entscheidungserheblicher Prozeßstoff vorgetragen werden kann. Dies gilt auch für die Revisionsinstanz. Die Klägerin kann dieses Ergebnis nicht dadurch vermeiden, daß sie sich auf eine bloße Verfahrensrüge beschränkt; sie muß auch in der Revisionsinstanz einen Sachantrag stellen. Nach den bislang getroffenen Feststellungen ist nicht ersichtlich, daß der Klägerin für 1993 ein Steuerbescheid vorliegt, der die von ihr geltend gemachten Werbungskosten iHv 10.945 DM ausweist, was ihren Anspruch auf höheres ErzG begründen könnte.
Fundstellen
NJW 1997, 1254 |
AP, 0 |
MDR 1997, 374 |
AusR 1997, 32 |