Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der Festsetzung des Gegenstandswerts für die Berechnung der Rechtsanwaltsgebühren bei einer Anfechtungsklage bzw bei einem "Musterprozeß".
Normenkette
BRAGebO § 8 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1975-08-20, § 116 Abs. 2 Fassung: 1975-08-20
Tenor
Auf den Antrag des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin wird der Gegenstandswert des Revisionsverfahrens auf eine Million DM festgesetzt.
Gründe
Der Beklagte hatte mit Bescheiden vom 1. April 1970 und 31. März 1970 im Rahmen des Lastenausgleichsverfahrens nach Art. 3 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) nF den von der Klägerin zu tragenden Teil der Ausgleichslast für das Jahr 1968 auf 60.366.687,-- DM und für das Jahr 1969 auf 64.275.411,-- DM festgesetzt. Im Klage-, Berufungs- und Revisionsverfahren hat die Klägerin die Aufhebung dieser Bescheide erstrebt. Im Revisionsverfahren hat sie sich im wesentlichen nur gegen die Art der Verteilung der Ausgleichslast gewandt, wie sie der Beklagte vorgenommen hatte. Insbesondere hat sie die obere Grenze der Belastbarkeit der ausgleichspflichtigen Berufsgenossenschaften (Art. 3 UVNG nF), wie sie der Beklagte angenommen hat, als mit dem Gesetz unvereinbar angesehen. Neben dem Antrag auf Aufhebung der genannten Bescheide hat sie nicht angegeben, ob und in welcher Höhe sie sich für ausgleichspflichtig hält.
Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, Rechtsanwalt Reuß, hat die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Revisionsverfahren beantragt.
Dieser Antrag ist zulässig. Nach § 116 Abs. 2 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGebO) idF des Gesetzes vom 20. August 1975 (BGBl I S. 2189, 2227) werden u.a. in Verfahren öffentlich-rechtlicher Versicherungsträger untereinander (Abs. 2 Nr. 1 2. Halbsatz) die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet. Die Vorschriften des Dritten Abschnittes gelten sinngemäß. Die Klägerin und die Beigeladenen sind Versicherungsträger. Der Beklagte ist zwar ein eingetragener Verein, er nimmt aber im Lastenverteilungsverfahren die ihm nach Art. 3 § 6 UVNG gesetzlich übertragenen Aufgaben im Rahmen der Sozialversicherung wahr. Als sogenannter Beliehener ist er deshalb insoweit auch gebührenrechtlich einem Versicherungsträger gleichgestellt (vgl. BSGE 23, 105, 119). Die Neufassung ist am 15. September 1975 in Kraft getreten (Art. 5 § 6 des Gesetzes). Sie gilt für Rechtsmittel, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes eingelegt worden sind (Art. 5 § 2 Abs. 4 Satz 2). Diese Voraussetzungen sind für die Revision erfüllt.
Die Feststellung des Gegenstandswertes (§ 7 BRAGebO) kann, von dem Rechtsanwalt beantragt werden (§§ 9 Abs. 2; 10 Abs. 2 Satz 2 aaO). Sind, wie im sozialgerichtlichen Verfahren, für die Gerichtsgebühren keine Wertvorschriften vorgesehen, so gelten für den Gegenstandswert bestimmte Vorschriften der Kostenordnung sinngemäß. Soweit sich der Gegenstandswert aus diesen Vorschriften nicht ergibt und auch sonst nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen; in Ermangelung genügend tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung und bei nicht vermögensrechtlichen Gegenständen ist der Gegenstandswert auf 4.000,-- DM, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht unter 300,-- DM und nicht über 1.000.000,-- DM anzunehmen (§ 8 Abs. 1 letzter Satz i.V.m. § 8 Abs. 2 BRAGebO). Um Gebühren unter sinngemäßer Anwendung des Dritten Abschnitts berechnen zu können (§§ 31 ff, § 116 Abs. 2 BRAGebO), bedarf es der Festsetzung eines Gegenstandswertes, weil die Gebührentabelle (Anlage zu § 11 BRAGebO) einen solchen voraussetzt.
Aus den in § 8 AbB. 2 BRAGebO genannten Vorschriften der Kostenordnung ergibt sich der Gegenstandswert nicht, und er steht auch sonst nicht fest. Zwar hat die Klägerin auch im Revisionsverfahren die Aufhebung der genannten Bescheide des Beklagten, die sie mit einer Ausgleichslast von mehr als 124 Millionen DM belegten, beantragt und es ist grundsätzlich davon auszugehen, daß bei einer Anfechtungsklage das Interesse am Wegfall des Verwaltungsaktes maßgeblich ist (Lauterbach/Hartmann, Kostengesetze 18. Aufl. Anm. B aa) zu § 13 GKG). Ihr Begehren kann aber unter Würdigung ihres Prozeßverhaltens nicht dahin gewertet werden, im Ergebnis gänzlich von der Ausgleichslast befreit zu werden. Die ursprünglich geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Ausgleichsregelung des Art. 3 UVNG nF sind im Revisionsverfahren, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Verfassungskonformität dieser Vorschriften bestätigt hatte (BVerfGE 36, 383 ff), nicht mehr geltend gemacht worden. Auch hat die Klägerin keinen Leistungsantrag auf Zurückzahlung der etwa zuviel geleisteten Ausgleichslast oder auf Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - gestellt. Darüber hinaus wäre andernfalls von der Klägerin entsprechend dem Gebot wirtschaftlicher Haushaltsführung zu erwarten gewesen, daß sie im Revisionsverfahren - neben dem Antrag auf Aufhebung der Bescheide - nur einen vergleichsweise geringen Teil-Betrag i. S. einer Leistungsklage geltend gemacht hätte, nachdem § 116 BRAGebO in der oben genannten Weise geändert worden war. Darin hätte für sie kein Risiko gelegen, weil sie annehmen durfte, daß sich der Beklagte bei einem der Klage stattgebenden Revisionsurteil in vollem Umfang nach der dort vertretenen Rechtsauffassung gerichtet hätte. Der Revisionsantrag der Klägerin ist daher dahin zu verstehen, daß mit dem Verfahren die von dem Beklagten angewendete Methode der Verteilung der Ausgleichslast beanstandet, d.h. daß im Ergebnis nur die Erteilung anderer, die Klägerin weniger belastender, Bescheide erstrebt wurde. Damit sollte vor allem im Sinne eines Musterprozesses geklärt werden, ob die vom Beklagten vorgenommene Verteilung der Ausgleichslast im Einklang mit dem Gesetz steht oder ob die von der Klägerin vertretene andere Rechtsauffassung dem in Art. 3 UVNG geregelten Lastenverteilungsverfahren eher entspricht, wobei keine ernstlichen Zweifel darüber bestehen konnten, daß der vom Gesetz angestrebte solidarische Lastenausgleich unter den betroffenen Berufsgenossenschaften nicht vereitelt werden durfte.
Bei dieser Sachlage war der Gegenstandswert nach billigem Ermessen im Wege der Schätzung zu ermitteln. Unter Würdigung der sozialversicherungsrechtlichen Bedeutung des Musterprozesses und des großen finanziellen Umfanges der zur Rede stehenden Ausgleichslasten hat der Senat den Gegenstandswert auf 1.000.000,-- DM festgesetzt und damit auch den in § 8 Abs. 2 BRAGebO genannten Höchstbetrag als angemessen und ausreichend erachtet.
Fundstellen