Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Substantiierter Beweisantrag. Bestimmte Tatsachenbehauptung. Angabe des Beweismittels. Beweisausforschungsantrag. Beweisermittlungsantrag. Gutachten
Leitsatz (redaktionell)
1. Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache.
2. Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu bezeichnen und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte.
3. Beweisanträge, die so unbestimmt bzw. unsubstantiiert sind, dass im Grunde erst die Beweisaufnahme selbst die entscheidungs- und damit beweiserheblichen Tatsachen aufdecken soll bzw. die allein den Zweck haben, dem Beweisführer, der nicht genügend Anhaltspunkte für seine Behauptungen angibt, erst die Grundlage für substantiierte Tatsachenbehauptungen zu verschaffen, sind als Beweisausforschungs- bzw. -ermittlungsanträge auch im vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägten sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig.
4. Der Antrag auf Einholung eines Gutachtens auf neurologisch/psychiatrischem Fachgebiet zur Frage, ob die Klägerin bei Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, insbesondere als Bürohilfskraft, aus psychiatrisch-neurologischer Sicht nachvollziehbar einem höheren Leistungsdruck ausgesetzt ist, der zu einer höheren Stuhlfrequenz führt (mindestens sechsmal täglich während der Arbeitszeit) und ob dieser Leistungsdruck binnen 6 Monaten behandelbar ist, stellt keinen ordnungsgemäßen Beweisantrag dar.
5. Der Antrag auf Einholung eines Gutachtens auf orthopädischem Fachgebiet zur Frage, ob die Klägerin wegen ihrer orthopädischen Beeinträchtigungen, insbesondere Rücken- und Knieproblematik, in der Lage ist, als Bürofachkraft Arbeiten von mindestens 6 Stunden oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens 6 Stunden Arbeit zu verrichten, stellt keinen ordnungsgemäßen Beweisantrag dar.
Normenkette
SGG §§ 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, § 169
Verfahrensgang
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 09.04.2018; Aktenzeichen S 9 SO 4716/17) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.06.2018; Aktenzeichen L 7 SO 1344/18) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 21. Juni 2018 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt Dr. E, F, beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Der Kläger begehrt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Der Kläger hat am 10.11.2017 Klage beim Sozialgericht (SG) Ulm erhoben und vom beklagten Träger der Sozialhilfe sowie weiteren Trägern der Sozialversicherung ua begehrt, ihm eine "sachgerechte medizinischen Versorgung" sowie eine Maßnahme der Rehabilitation und schließlich ab April 2017 Leistungen nach § 27b SGB XII zu gewähren. Nach Verweisung des Rechtsstreits an das SG Freiburg, soweit er gegen den Träger der Sozialhilfe gerichtet war, hat dieses die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 9.4.2018). Die Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zurückgewiesen (Urteil vom 21.6.2018). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ua ausgeführt, die in erster Linie erstrebte Zurückverweisung an das SG stehe im Ermessen des Gerichts; hierfür sei aber kein Grund ersichtlich. Die erhobene Leistungsklage sei unzulässig, weil es an einer Ausgangsentscheidung fehle. Die erst in der mündlichen Verhandlung erhobene Untätigkeitsklage sei ebenfalls unzulässig, weil ein Antrag, über den der Beklagte nicht entschieden habe, nicht vorliege.
Der Kläger hat Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil sowie die Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. K. E., F., beantragt.
II
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG); denn sie wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen ebenso wenig.
Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision schließlich zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verlet-zung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Es ist nicht erkennbar, dass ein solcher Verfahrensmangel mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte, sodass auch aus diesem Grund die Gewährung von PKH ausscheidet.
Das LSG hat zwar über ein am 5.6.2018 eingegangenes Ablehnungsgesuch (wohl versehentlich) nicht entschieden. Unabhängig davon, ob der Kläger, der an der mündlichen Verhandlung teilgenommen und Anträge zur Sache gestellt hat, dieses Gesuch wirksam aufrechterhalten hat, führt die Nichtbearbeitung des Gesuchs aus den vom Senat in einem Parallelverfahren des Klägers im Einzelnen dargestellten Gründen nicht zu einem beachtlichen Verfahrensmangel; denn das ihm angebrachte Gesuch, mit dem er sich auf die Behauptung eines "Rechtsbeugungsvorsatzes" der beteiligten Berufsrichter beschränkt hat, war rechtsmissbräuchlich (vgl Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 16.10.2019 - B 8 SO 18/18 BH).
Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das LSG verfahrensfehlerhaft ein Prozessurteil statt eines Sachurteils erlassen hat. Soweit der Kläger meint, die in der mündlichen Verhandlung erhobene Untätigkeitsklage (vgl § 88 Abs 1 SGG) sei zulässig, weil in seiner Klageerhebung, gerichtet unmittelbar auf eine Leistung, zugleich ein Antrag auf Bescheidung über diese Leistung zu sehen sei, ist für eine solche Auslegung der Klageschrift nichts erkennbar. Der Kläger hat bereits in der Klageschrift wie auch durchgehend in der Folge vorgetragen, alle beklagten Träger hätten jegliche Ansprüche bereits abgelehnt. Bei diesem Vortrag kommt eine Auslegung der Klageschrift als Antrag, über den vom beklagten Sozialhilfeträger nicht entschieden worden ist, nicht in Betracht.
Für die Beiordnung eines besonderen Vertreters (§ 72 SGG) bestand kein Anlass. Der Kläger ist prozessfähig (vgl bereits BSG vom 25.4.2019 - B 2 U 19/18 BH, vom 23.10.2014 - B 11 AL 3/14 C, vom 3.7.2014 - B 11 AL 4/14 S, vom 23.10.2014 - B 11 AL 9/14 BH, vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 8/14 B - SozR 4-1720 § 198 Nr 8 RdNr 10; vom 30.9.2015 - B 10 ÜG 17/14 B).
Fundstellen
Dokument-Index HI13598055 |