Entscheidungsstichwort (Thema)
Befangenheitsantrag. Nichtbearbeitung. Besetzungsmangel. Verfahrensmangel. Ablehnungsgesuch Rechtsmissbräuchlichkeit. Pauschale Ablehnung des Spruchkörpers ohne inhaltliche Begründung. Verfahrensverschleppung. Willkür. Rechtliches Gehör Terminsverlegung. Ablehnung. Sonderausgang. Vertretungszwang. Einstweiliger Rechtsschutz beim BSG. Verweisung
Leitsatz (redaktionell)
1. Bearbeitet ein Gericht einen Befangenheitsantrag nicht und entscheidet es sogleich in der Sache, ist - sofern daraus kein Besetzungsmangel i.S. des § 202 i.V.m. § 547 Nr. 1 ZPO folgt - nur dann ein rechtserheblicher Verfahrensmangel gegeben, wenn das Urteil hierauf beruhen kann, was nicht der Fall ist, wenn das Ablehnungsgesuch vom Gericht hätte als rechtsmissbräuchlich behandelt und zurückgewiesen werden müssen.
2. Ein Ablehnungsgesuch ist rechtsmissbräuchlich, wenn es sich dabei um eine pauschale Ablehnung des Spruchkörpers ohne jeden sachlichen Kern bzw. eine systematische Ablehnung der jeweiligen an den Verfahren des Ablehnenden beteiligten Richter ohne inhaltliche Begründung handelt, da ein solches Vorgehen erkennbar allein der Verfahrensverschleppung dient.
3. Ein Besetzungsmangel i.S. des § 547 Nr. 1 ZPO kommt nach Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs nur dann in Betracht, wenn an der Entscheidung ein erfolglos abgelehnter Richter mitgewirkt hat und die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs willkürlich war.
4. Die Rüge des Verstoßes gegen das rechtliche Gehör erfordert neben einem entsprechendem Verstoß und der Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils durch diesen Verstoß, dass der Betroffene alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen, woran es fehlt, wenn der Kläger vom Gericht mit der Ablehnung der Verlegung des Termins aufgefordert worden ist, wegen eines möglichen Sonderausgangs zum Termin weitere Nachweise vorzulegen, und der Kläger hierauf nicht reagiert und schon nicht vorgetragen hat, dass er Sonderausgang überhaupt beantragt hat.
5. Der Vertretungszwang beim BSG gilt auch für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
6. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes findet eine Befassung durch das BSG (von Ausnahmen abgesehen) nicht statt.
7. Eine Verweisung des beim BSG gestellten Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz an das SG oder LSG scheidet aus, wenn dem Antrag zu entnehmen ist, dass eine Befassung des BSG mit dem Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz begehrt wird.
Normenkette
SGG §§ 60, 73 Abs. 4, § 73a Abs. 1 S. 1, § 86b Abs. 2, §§ 103, 109, 128 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 2, § 169 S. 3, § 202; ZPO §§ 42, 114, 121, 547 Nr. 1; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2, Art. 103; SGB XII § 67
Verfahrensgang
SG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 25.04.2018; Aktenzeichen S 6 SO 4244/17) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 02.10.2018; Aktenzeichen L 7 SO 1726/18) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 2. Oktober 2018 - L 7 SO 1726/18 - Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt Dr. E, F, beizuordnen, wird abgelehnt.
Der Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird als unzulässig abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger begehrt Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII).
Der Kläger hat am 13.11.2017 Klage beim Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben mit verschiedenen, gegen die Beklagten 1 bis 3 sowie gegen den Ortenaukreis gerichteten Anträgen. Das SG hat die Verfahren wegen eines Teils der gegen die Beklagten zu 1 und zu 2 gerichteten Ansprüche sowie wegen der Schadensersatzansprüche gegen den Ortenaukreis abgetrennt (Beschluss vom 2.1.2018) und die Klage im Übrigen, nämlich soweit sie die Feststellung der örtlichen Zuständigkeit und die Verurteilung zu Leistungen betraf, abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 25.4.2018). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat im Berufungsverfahren auch die verbliebene Klage gegen den Ortenaukreis abgetrennt (Beschluss vom 6.9.2018) und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 2.10.2018). Zur Begründung hat es ausgeführt, Ansprüche in der Sache verfolge der Kläger im vorliegenden Verfahren nur gegen den Beklagten zu 3; die Klage sei insoweit unzulässig.
Der Kläger hat Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil sowie die Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. K. E., F., und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.
II
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫); daran fehlt es hier. Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG); denn sie wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Anhaltspunkte dafür, dass eine Divergenzrüge (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) Aussicht auf Erfolg versprechen könnte, bestehen ebenso wenig.
Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision schließlich zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Es ist nicht erkennbar, dass ein solcher Verfahrensmangel mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden könnte.
Das LSG hat zwar über ein am 24.9.2018 eingegangenes Ablehnungsgesuch (wohl versehentlich) nicht entschieden. Bearbeitet ein Gericht einen Befangenheitsantrag nicht und entscheidet es sogleich in der Sache, ist - sofern daraus kein Besetzungsmangel iS des § 202 iVm § 547 Nr 1 ZPO folgt (dazu sogleich) - nur dann ein rechtserheblicher Verfahrensmangel gegeben, wenn das Urteil hierauf beruhen kann. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das Urteil beruht nicht auf der verfahrensfehlerhaften Nichtbescheidung des Gesuchs; denn es hätte vom LSG als rechtsmissbräuchlich behandelt und zurückgewiesen werden müssen. Eine Besorgnis der Befangenheit (§ 60 SGG iVm § 42 ZPO) ist nur dann gegeben, wenn der Beteiligte von seinem Standpunkt aus nach vernünftigen Erwägungen Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Richters haben kann (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 60 RdNr 7 ff mwN). Es müssen mit dem Ablehnungsgesuch Gründe dargetan werden, die dafür sprechen, dass die mögliche Fehlerhaftigkeit auf einer unsachlichen Einstellung des Richters/der Richter gegen den ablehnenden Beteiligten oder auf Willkür beruht (vgl Bundessozialgericht ≪BSG≫ vom 29.3.2007 - B 9a SB 18/06 B - SozR 4-1500 § 60 Nr 4 RdNr 13 mwN). Hierfür fehlen jegliche Hinweise. Im Gegenteil, das vom Kläger angebrachte Gesuch, mit dem er sich auf die Behauptung eines "Rechtsbeugungsvorsatzes" der beteiligten Berufsrichter beschränkt hat, war rechtsmissbräuchlich. Es handelte sich um eine pauschale Ablehnung des Spruchkörpers ohne jeden sachlichen Kern. Wie der Senat bereits in ähnlich gelagerten Rechtsstreitigkeiten des Klägers befunden hat, dient dieses Vorgehen erkennbar allein der Verfahrensverschleppung (vgl nur BSG vom 29.10.2018 - B 8 SO 55/17 BH - und BSG vom selben Tag - B 8 SO 54/17 BH; BSG vom 15.3.2018 - B 8 SO 12/18 C). Er lehnt systematisch und ohne inhaltliche Begründung die jeweiligen Richter ab, die an Verfahren, die er führt, beteiligt sind (vgl zum entsprechenden Vorgehen des Klägers in anderen Senaten des BSG nur BSG vom 16.4.2012 - B 11 AL 5/12 C; BSG vom 26.8.2015 - B 1 KR 2/15 C).
Ein absoluter Revisionsgrund (§ 202 SGG iVm § 547 ZPO) liegt ebenfalls nicht vor; insbesondere gegen das Verfahrensgrundrecht des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz ≪GG≫) ist nicht verstoßen worden. Ein Besetzungsmangel iS des § 547 Nr 1 ZPO kommt nach Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs nur dann in Betracht, wenn an der Entscheidung ein erfolglos abgelehnter Richter mitgewirkt hat und die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs willkürlich war (zuletzt etwa Bundesverfassungsgericht ≪BVerfG≫ vom 21.11.2018 - 1 BvR 436/17 - NJW 2019, 505 RdNr 19 mwN). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Im Ergebnis hat das Gericht - wie ausgeführt - in der zutreffenden Besetzung entschieden. Die Anbringung eines unter jedem Gesichtspunkt aussichtslosen Ablehnungsgesuchs allein mit dem Ziel, den gesetzlichen Richter zu unterlaufen, führt für sich genommen - auch wenn es übergangen wird - nicht zu einem absoluten Revisionsgrund (Bundesfinanzhof ≪BFH≫ vom 11.5.2010 - X B 192, 193/08 BFH/NV 2010, 1645 RdNr 12 ff).
Auch in der Entscheidung, den Rechtsstreit in Abwesenheit des Klägers mündlich zu verhandeln, wird ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör (vgl § 62 SGG; Art 103 GG) nicht erkennbar. Die Rüge des Verstoßes gegen das rechtliche Gehör erfordert neben einem entsprechendem Verstoß und der Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils durch diesen Verstoß (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14 und 36), dass der Betroffene alles getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Daran fehlt es hier. Mit der Ablehnung der Verlegung des Termins hat der Vorsitzende den Kläger aufgefordert, wegen eines möglichen Sonderausgangs zum Termin weitere Nachweise vorzulegen (Schreiben vom 20.9.2018). Hierauf hat der Kläger aber nicht reagiert und schon nicht vorgetragen, dass er Sonderausgang überhaupt beantragt hat.
Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das LSG verfahrensfehlerhaft ein Prozessurteil statt eines Sachurteils erlassen hat. Seine Entscheidung, die Feststellungsklage wegen der Klärung der örtlichen Zuständigkeit erweise sich als unzulässig, ist nicht zu beanstanden. Ob es sich bei der Weiterleitung des Antrags durch den Beklagten zu 3 um einen anfechtbaren Verwaltungsakt handelt, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Jedenfalls muss der zugrundeliegende Antrag vom 26.4.2017 im Ergebnis der (zusprechenden) Entscheidung des LSG vom 2.10.2018 (L 7 SO 3196/18) abschließend vom Ortenaukreis entschieden werden. Im Rahmen dieses Verwaltungsverfahrens muss auch die Frage der örtlichen Zuständigkeit (in einem anschließenden gerichtlichen Verfahren ggf nach einer Beiladung des Beklagten zu 3) abschließend geklärt werden, sofern Ansprüche in der Sache nach § 67 SGB XII überhaupt in Betracht kommen (dazu auch BSG vom 31.3.2017 - B 8 SO 59/16 BH). Ein Rechtsschutzbedürfnis für ein weiteres Verfahren ist im jetzigen Verfahrensstand nicht ersichtlich.
Der vom Kläger selbst gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (vgl § 86b Abs 2 SGG) durch den Senat ist schon deshalb als unzulässig zu verwerfen, weil der Kläger insoweit vor dem BSG eine Prozesshandlung rechtswirksam nicht vornehmen kann (§ 73 Abs 4 SGG); der Vertretungszwang gilt auch für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Im Übrigen findet in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Befassung durch das BSG (von hier nicht einschlägigen Ausnahmen abgesehen) nicht statt (vgl § 86b Abs 2 Satz 3 SGG). Auch aus diesem Grund muss der beim BSG gestellte Antrag ohne Erfolg bleiben; eine Verweisung an das SG oder LSG schied dagegen aus, weil dem Schriftsatz des Klägers zu entnehmen ist, dass er eine Befassung des BSG mit dem Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz begehrt. Die Ablehnung des Antrags als unzulässig erfolgt ohne Beteiligung der ehrenamtlichen Richter in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13579397 |