Entscheidungsstichwort (Thema)

Einordnung in Mehrstufenschema. Berufsunfähigkeit

 

Orientierungssatz

Für die Einordnung eines Arbeitnehmers in das vom BSG entwickelte Mehrstufenschema kommt es entscheidend auf den qualitativen Wert des bisher ausgeübten Berufes an. Zu dieser Feststellung können zwar Tarifverträge als Hilfsmittel mit Indizwirkung herangezogen werden, sie stellen aber nicht das alleinige und unabdingbare Ermittlungsinstrument dar (vgl zuletzt erkennender Senat Urteil vom 3.2.1988 5/5b RJ 66/86 = SozR 2200 § 1246 Nr 154).

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 S 2

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.01.1988; Aktenzeichen L 1 J 1132/87)

 

Gründe

Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form des § 160a Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 SGG genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Abweichung, Verfahrensmangel - zugelassen werden. Der Kläger beruft sich auf grundsätzliche Bedeutung und Verfahrensmängel. In beiden Beziehungen kann er jedoch keinen Erfolg haben.

Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG muß nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in der Beschwerdebegründung "dargelegt" werden. Zu dieser Darlegung gehört es ua, daß der Beschwerdeführer die Rechtsfrage, um die es nach seiner Auffassung geht, selbst formuliert und den nach seiner Meinung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darstellt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Der Kläger hat zum einen vorgetragen, von grundsätzlicher Bedeutung sei die Beurteilung der Berufsunfähigkeit bei zwei gleichzeitig ausgeübten Berufen. Um welches in Inhalt und Rechtsfolgen näher bestimmbare Rechtsproblem es hierbei im Hinblick auf die Auslegung des § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) geht, hat er ebensowenig hinreichend genau dargetan wie die Veränderung aufgezeigt, die sich bei Zugrundelegung der vermeintlichen Rechtsfrage in der Beurteilung des vorliegenden Rechtsstreites ergibt. Der Kläger hat zum anderen gemeint, die Beurteilung, die das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg für die Bewertung der Tätigkeit des Klägers als Tiefbauunternehmer vorgenommen habe, sei von grundlegender Bedeutung. Auch insoweit ist von ihm nicht hinreichend deutlich gemacht, welche für die Interpretation des § 1246 Abs 2 RVO erhebliche Detailfrage er geklärt sehen möchte. In beiden Beziehungen kommt hinzu, daß hinsichtlich der vom Kläger möglicherweise gemeinten Einzelrechtsprobleme bereits Entscheidungen des Bundessozialgerichtes (BSG) vorliegen: Da bei einer Ausübung von zwei Berufen nebeneinander aufgrund der rein faktischen Durchführbarkeit einer solchen Doppeltätigkeit die Problematik der Teilzeitarbeit akut wird, sind die Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 11. Dezember 1969 - Az.: GS 4/69 und GS 2/68; BSGE 30, 167 ff, 192 ff - als grundlegende Entscheidungen heranzuziehen; bezüglich der Heranziehung von Tarifverträgen ist auf die ständige Rechtsprechung des BSG zu verweisen, nach der es für die Einordnung eines Arbeitnehmers in das vom BSG entwickelte Mehrstufenschema entscheidend auf den qualitativen Wert des bisher ausgeübten Berufes ankommt und zu dieser Feststellung zwar Tarifverträge als Hilfsmittel mit Indizwirkung herangezogen werden können, aber nicht das alleinige und unabdingbare Ermittlungsinstrument darstellen (vgl zuletzt erkennender Senat, Urteil vom 17. November 1987 - Az.: 5b RJ 6/86 - SozR 2200 § 1246 Nr 151 und Urteil vom 3. Februar 1988 - Az.: 5/5b RJ 66/86 - SozR 2200 § 1246 Nr 154). Eine vom Revisionsgericht entschiedene Rechtsfrage ist aber nur dann klärungsbedürftig, wenn der Rechtsprechung des Revisionsgerichts in nicht geringfügigem Umfang (in der juristischen Literatur) widersprochen wird und gegen sie nicht von vornherein abwegige Einwendungen vorgebracht werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 13). Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung hätte es also unter diesen Gesichtspunkt gehört, daß der Kläger Literaturstimmen gegen die genannten Urteile zitiert und sich mit den Urteilen auseinandergesetzt hätte.

Mit den von ihm erhobenen Verfahrensrügen kann der Kläger schon insofern, als er sich zunächst auf eine Kritik an dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. W      bezieht, keinen Erfolg haben, weil er hierin die Beweiswürdigung des LSG iS von § 128 Abs 1 Satz 1 SGG in Zweifel zieht. Die Rüge einer Verletzung dieser Vorschrift ist aber gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG bereits generell ausgeschlossen. Ebenfalls ohne Erfolg bleiben muß der Kläger jedoch auch hinsichtlich der Rüge einer Verletzung des § 103 SGG. Ein solcher Verfahrensmangel ist nur formgerecht vorgetragen, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG ist zu prüfen, ob sich das Gericht von seinem Rechtsstandpunkt aus zu der Beweisaufnahme hätte gedrängt fühlen müssen. Dabei ist das Gericht in der Frage, ob es ein weiteres Gutachten einholen will, freier als in anderen Fällen gestellt (s § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 412 der Zivilprozeßordnung -ZPO-; vgl Meyer-Ladewig, Komm zum SGG, 3. Aufl, RdNr 8 zu § 103). Auf der Grundlage seiner Ermittlungen zur Resterwerbsfähigkeit des Klägers, gegen die zulässige und begründete Verfahrensrügen nicht vorgebracht sind und an die daher das Revisionsgericht gebunden ist (§ 163 SGG), hat das LSG den Kläger in verfahrensrechtlich nicht zu beanstandender Weise in Anwendung des Mehrstufenschemas auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen bzw ihn hinsichtlich seiner Tätigkeit in der Landwirtschaft als noch zu vollwertiger Tätigkeit fähig eingestuft. Es kann demgemäß nicht festgestellt werden, daß das LSG sich von seiner Rechtsauffassung aus zu einer weiteren Beweisaufnahme hätte gedrängt fühlen müssen.

Die somit nicht formgerecht begründete und damit unzulässige Beschwerde des Klägers mußte verworfen werden. Dies konnte gemäß § 202 SGG iVm § 574 ZPO und § 169 SGG analog auch ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter erfolgen (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5; BVerfG SozR 1500 § 160a Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654120

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