Leitsatz (amtlich)
Ein Gesuch um Bewilligung des Armenrechts ist rechtzeitig gestellt, wenn es vor Ablauf der in SGG § 164 Abs 1 S 1 bestimmten Revisionsfrist beim BSG eingegangen ist.
Normenkette
SGG § 164 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03; ZPO §§ 233, 118; SGG § 167 Fassung: 1953-09-03
Tenor
In Sachen ...
wird den Antragstellern für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht das Armenrecht verweigert, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Gründe
Die Antragsteller haben in ihrem Schreiben vom 7. Juni 1954, eingegangen beim Bundessozialgericht am 9. Juni 1954, gegen das ihnen am 4. Mai 1954 zugestellte Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 12. März 1954 Revision eingelegt und gleichzeitig die Bewilligung des Armenrechts beantragt. Sie sind in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils ausdrücklich auf die Erfordernisse der Revisions- und der Revisionsbegründungsschrift hingewiesen und insbesondere über die einzuhaltenden Fristen belehrt worden.
Nach § 167 SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann einem Beteiligten, der nicht nach § 166 Abs. 2 Satz 1 SGG vertreten ist, für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht das Armenrecht bewilligt und ein Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigter beigeordnet werden, wenn die Partei außerstande
An die Rechtskartei des BSG
ist, ohne Beeinträchtigung des für sie und ihre Familie notwendigen Unterhalts die Kosten des Prozesses zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung eine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Die Bewilligung des Armenrechts in den im § 51 SGG bezeichneten Sozialrechtsstreitigkeiten war dem bisherigen Recht fremd. Durch die Begründung des Vertretungszwanges nach § 166 SGG vor dem Bundessozialgericht mußte für arme Beteiligte das Armenrechtsverfahren eingeführt werden. Der Senat hatte zu entscheiden, wann das Gesuch um Bewilligung des Armenrechts als rechtzeitig gestellt anzusehen ist. Er ist der Auffassung, daß der armen Partei die volle Rechtsmittelfrist zur Einreichung eines Armenrechtsgesuches zur Verfügung stehen muß, daß also ein bis zum letzten Tage dieser Frist eingegangenes Gesuch die Frist wahrt. Er kann sich der im Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit von Peters - Sautter - Wolff vertretenen Ansicht, daß das Armenrechtsgesuch so rechtzeitig vor Ablauf der Revisionsfrist vorgelegt werden müsse, daß das Bundessozialgericht regelmäßig noch in der Lage sei, über dieses Gesuch zu entscheiden (Erläuterungen zu § 167 S. 359 - 5 -), nicht anschließen. Diese Auffassung folgt der in ständiger Rechtsprechung vom Reichsgericht (HRR 30, 651; JW 38, 2683) vertretenen Ansicht, der sich auch zunächst der Bundesgerichtshof (Beschlüsse vom 18. Januar 1952 - I ZB 13/51, vom 13. Februar 1952 - IV ZB 7/52 sowie vom 16. April 1952 - IV ZB 28/52) angeschlossen hatte, wonach das Gesuch um Bewilligung des Armenrechts so rechtzeitig anzubringen ist, daß das Rechtsmittelgericht die Akten der Vorinstanz beiziehen, über das Gesuch entscheiden, einen Anwalt bestellen, diesen noch vor Ablauf der Revisionsfrist benachrichtigen und ihm damit die Möglichkeit geben kann, innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist das Rechtsmittel einzulegen. Die Rechtsprechung hat hierfür keine festen Fristen bestimmt, sondern jeweils nach der besonderen Lage des einzelnen Falles ein zwischen sieben und vier Tagen vor Ablauf der Rechtsmittelfrist eingehendes Gesuch noch als rechtzeitig gestellt angesehen.
Der Senat kann diese Auffassung nicht teilen. Er ist vielmehr der Ansicht, daß im Interesse der Rechtssicherheit klar feststehen muß, bis wann ein Gesuch um Bewilligung des Armenrechts anzubringen ist. Die bisher in der Zivilgerichtsbarkeit vertretene Auffassung hat mit Rücksicht auf die große Belastung der Gerichte und auf die verschiedenartigen Verhältnisse im Einzelfall nicht zu den erstrebten Ziel führen können, daß ein ordnungsmäßiger Antrag noch rechtzeitig, d. h. vor Ablauf der Rechtsmittelfrist von einem Anwalt gestellt werden konnte. Damit entfällt aber auch jede Rechtfertigung für die bisher vertretene Auffassung. Hinzu kommt, daß die für die Einlegung des Rechtsmittels bestimmte Frist auch der armen Partei voll zugebilligt werden muß. Sie hat genau so wie die auf das Armenrecht nicht angewiesene Partei zu prüfen, ob sie überhaupt ein Rechtsmittel einlegen und hierfür ein Gesuch um Bewilligung des Armenrechts stellen soll. Gerade in den Sozialrechtsstreitigkeiten darf diese Frist mit Rücksicht auf die Bedeutung, die der einzelne Rechtsstreit für die Partei hat, nicht gegenüber der Rechtsmittelfrist beschnitten werden. Der Senat ist daher der Ansicht, daß ein Gesuch um Bewilligung des Armenrechts rechtzeitig gestellt ist, wenn es vor Ablauf der in § 164 Abs. 1 Satz 1 SGG bestimmten Revisionsfrist beim Bundessozialgericht eingegangen ist. Mit dieser Rechtsauffassung befindet sich der Senat in Übereinstimmung mit der des 4. Senats des Bundesgerichtshofes, der in seinem Beschluß vom 9. Dezember 1954 - IV ZB 94/54 - die bisherige Rechtsprechung in Übereinstimmung mit allen anderen Zivilsenaten des Bundesgerichtshofes aufgegeben hat (BGH 16, 1 ff).
Hieraus ergibt sich zugleich, daß ein Armenrechtsantrag unter Überschreitung der in § 164 Abs. 1 Satz 1 SGG festgesetzten Frist nicht mehr als rechtzeitig gestellt anzusehen ist. Die Berücksichtigung eines nach Ablauf dieser Frist eingegangenen Antrages würde sonst zu einer Verlängerung der zwingend vorgeschriebenen Revisionsfrist führen, eine Folge, die mit dem Zweck und Sinn einer Fristbestimmung nicht zu vereinbaren wäre.
Das in der Revisionsschrift enthaltene Gesuch um Bewilligung des Armenrechts ist trotz der Rechtsmittelbelehrung in dem angefochtenen Urteil nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist, sondern erst am 9. Juni 1954 eingegangen, nachdem die Revisionsfrist bereits mit Ende des 4. Juni 1954 abgelaufen war. Damit ist die Frist zur rechtzeitigen Stellung des Gesuches um Bewilligung des Armenrechts versäumt worden; es fehlt an der vom Gesetz geforderten hinreichenden Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung. Dem Antrag auf Bewilligung des Armenrechts konnte daher nicht entsprochen werden. Er war deshalb abzulehnen.
Fundstellen
Haufe-Index 2324693 |
NJW 1957, 1294 |