Leitsatz (amtlich)

Für das Verfahren vor dem BSG kann das Armenrecht, falls die Revision noch nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten eingelegt ist, nicht bewilligt werden, wenn der Antragsteller zwar das Armenrechtsgesuch vor Ablauf der Revisionsfrist, das Armutszeugnis jedoch schuldhaft erst später eingereicht hat.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Eine hinreichende Aussicht auf Erfolg iS des ZPO § 114 hat die Revision überhaupt nur dann, wenn sie innerhalb der Revisionsfrist eingereicht wird oder wenn bei verspäteter Revisionseinlegung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach SGG § 67 gewährt wird.

2. Ist die Revision wegen des laufenden Armenrechtsgesuchs verspätet eingelegt worden, so trifft den Beteiligten kein Verschulden, wenn das Armenrechtsgesuch innerhalb der Revisionsfrist eingegangen ist.

 

Normenkette

SGG § 167 Fassung: 1953-09-03, § 67 Fassung: 1953-09-03; ZPO §§ 118, 114

 

Tenor

In Sachen ...

wird dem Revisionskläger vor dem Bundessozialgericht das Armenrecht verweigert, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

 

Gründe

Der Kläger hat gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. November 1954, das ihm mittels eines am 26. Januar 1955 zur Post aufgegebenen eingeschriebenen Briefes, mithin gemäß § 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes vom 3. Juli 1952 (BGBl. I S. 379) mit Wirkung vom 29. Januar 1955 zugestellt worden war, mit einem von ihm persönlich unterzeichneten Schreiben vom 16. Februar 1955, eingegangen am 21. Februar 1955, Revision eingelegt. Er hat darin unter anderem hervorgehoben, daß er kein Geld habe, einen Rechtsanwalt oder eine andere Person mit seiner Prozeßvertretung zu beauftragen. Auf ein Schreiben des Gerichts vom 22. Februar 1955, daß für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht Vertretungszwang bestehe, der Kläger jedoch unter Einreichung eines Armutszeugnisses das Armenrecht und die Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragen könne, hat der Kläger mit Schreiben vom 8. März 1955, eingegangen am 9. März 1955, das Armenrecht beantragt und ein Armutszeugnis eingereicht.

Dem Armenrechtsgesuch konnte nicht stattgegeben werden.

Der Auffassung des Beklagten, daß in dem Schreiben des Klägers vom 16. Februar 1955 kein Antrag auf Bewilligung des Armenrechts enthalten sei und deshalb der erst mit Schreiben vom 8. März 1955 eingegangene Armenrechtsantrag verspätet sei, ist der Senat nicht gefolgt. Wenn auch das Schreiben des Klägers vom 16. Februar 1955 keinen ausdrücklichen Antrag auf Bewilligung des Armenrechts enthält, so ist doch aus dem Inhalt dieses Schreibens, in welchem der Kläger unter anderem seine Mittellosigkeit und die für ihn bestehende Unmöglichkeit der Beauftragung eines Anwalts hervorhebt, zu erkennen, daß der Kläger die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Armenrechtsverfahren begehrt. Jedoch müssen, damit das Armenrecht bewilligt werden kann, nicht nur das Armenrechtsgesuch als solches, sondern auch die dafür erforderlichen Unterlagen innerhalb der Revisionsfrist dem Gericht eingereicht sein.

Gemäß § 167 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 114 ZPO kann das Armenrecht nur dann bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine solche Aussicht hat die Revision aber überhaupt nur dann, wenn sie innerhalb der Revisionsfrist eingereicht wird oder wenn bei verspäteter Revisionseinlegung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG gewährt wird, so daß auch die verspätete Revision noch als rechtzeitig gilt. Da nun das Bundessozialgericht in der Regel erst nach Ablauf der Revisionsfrist über den Armenrechtsantrag entscheiden kann, muß es bei der Prüfung, ob die mit der Revision beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hat, gleichzeitig prüfen, ob auch der künftige, mit der verspäteten Revisionseinlegung anzubringende Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Aussicht auf Erfolg hat. Der Wiedereinsetzungsantrag hat wiederum aber nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn die verspätete Revisionseinlegung nicht auf einem Verschulden des die Revision einlegenden Beteiligten beruht (§ 67 Abs. 1 SGG). Ist die Revision wegen des laufenden Armenrechtsgesuchs verspätet eingelegt worden, so trifft nach der Rechtsprechung sowohl des Bundessozialgerichts (Urteil vom 17.5.1955 - 8 RV 53/54 -) als auch des Bundesgerichtshofs (BGHZ 16 S. 1) den Beteiligten kein Verschulden, wenn das Armenrechtsgesuch innerhalb der Revisionsfrist eingegangen ist. Diese Rechtsprechung findet darin ihre Rechtfertigung, daß der arme Beteiligte "wegen seiner Armut" keine Rechtsnachteile im Vergleich zu einem Beteiligten erleiden darf, der zu seiner Rechtsverfolgung nicht des Armenrechts bedarf. Wie dem nichtarmen Beteiligten bis zum letzten Tage der Revisionsfrist Zeit zur Überlegung bleibt, ob und mit welchen Anträgen er die Revision einlegen will, so muß dem armen Beteiligten Frist bis zu dem gleichen Zeitpunkt gelassen werden, um zu überlegen, ob und wieweit er das Armenrecht für seine Revision beantragen soll. Zu seinem Armenrechtsgesuch gehört aber nicht nur der Armenrechtsantrag, sondern auch die dafür erforderlichen Unterlagen, insbesondere das Armutszeugnis. Legt der arme Beteiligte diese Unterlagen schuldhaft erst nach Ablauf der Revisionsfrist vor, so hat er schuldhaft die Entscheidung über das Armenrecht und damit auch schuldhaft die spätere Einlegung der Revision zumindest um den Zeitraum verzögert, der zwischen dem Ablauf der Revisionsfrist und der Einreichung des Armutszeugnisses liegt. Die nicht rechtzeitige Revisionseinlegung liegt insoweit also nicht an seiner Armut, die ein Verschulden seinerseits ausschließen würde, sondern daran, daß er sich die für sein Armenrechtsgesuch erforderlichen Unterlagen nicht rechtzeitig bis zum Ablauf der Revisionsfrist beschafft hat. In einem solchen Fall hat auch der Bundesgerichtshof den Antrag einer armen Partei auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelehnt, wenn die Armenrechtsunterlagen erst nach Ablauf der Revisionsfrist eingereicht wurden (BGH Beschl. v. 14.7.1955, DR 1955 S. 228). Der erkennende Senat hat keine Bedenken, diesen Grundsatz in gleicher Weise auch für das Verfahren vor dem Bundessozialgericht anzuwenden, das sich insoweit von dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof nicht unterscheidet.

Im vorliegenden Fall ist das Armutszeugnis für das Armenrechtsgesuch des Klägers erst am 9. März 1955 eingegangen, nachdem die Revisionsfrist bereits am 28. Februar 1955 abgelaufen war. Die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung verspricht keinen Erfolg; denn die Einlegung einer Revision durch einen im Armenrecht beigeordneten Rechtsanwalt würde immer als unzulässig verworfen werden müssen, weil die Revision verspätet eingelegt ist und einem Wiedereinsetzungsantrag wegen der vom Kläger schuldhaft erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist eingereichten Armenrechtsunterlagen nicht stattgegeben werden kann. Dafür, daß der Kläger dieses Armutszeugnis etwa ohne sein Verschulden nicht rechtzeitig einreichen konnte, womit ein Antrag auf Wiedereinsetzung und damit gleichzeitig die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung wenigstens insoweit Aussicht auf Erfolg haben würde, sind keine Anhaltspunkte gegeben.

Unter diesen Umständen mußte der Antrag des Klägers auf Bewilligung des Armenrechts und Beiordnung eines Rechtsanwalts abgelehnt werden, ohne daß noch geprüft zu werden brauchte, ob der Antrag nicht auch noch aus anderen Gründen abzulehnen ist.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2373476

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge