Entscheidungsstichwort (Thema)
Falschabrechnungen durch Kassenarzt
Orientierungssatz
Die Kassenärztliche Vereinigung ist auf eine korrekte Abrechnung der Kassenärzte angewiesen. Ein Kassenarzt, der fortlaufend falsche Abrechnungen vorlegt, ist für die Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung ungeeignet. Er kann sich nicht darauf berufen, ihm seien die Abrechnungsbestimmungen und die fortgesetzten Abrechnungsverstöße seines Personals nicht bekannt gewesen.
Normenkette
RVO § 368a Abs 6, § 368n Abs 5
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 01.07.1987; Aktenzeichen L 11 Ka 3/87) |
Gründe
Der Kläger war seit Januar 1981 als Arzt für Allgemeinmedizin zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen. Nach Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens gestanden er und seine in der Praxis beschäftigte Ehefrau ein, seit Beginn der Praxistätigkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen nicht erbrachte Leistungen abgerechnet zu haben. Am 17. April 1984 wurde gegen den Kläger ein Strafbefehl über 400 Tagessätze zu je 300,-- DM und gegen seine Ehefrau ein Strafbefehl über 450 Tagessätze zu je 80,-- DM erlassen. Der Disziplinarausschuß der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) erteilte einen Verweis und verhängte eine Geldbuße von 20.000,-- DM (Beschluß vom 10. November 1984). Auf Antrag der Beigeladenen zu 1) bis 3) wurde dem Kläger die Kassenzulassung entzogen (Beschluß des Zulassungsausschusses vom 14. Oktober 1985 und Beschluß des beklagten Berufungsausschusses vom 7. Juni 1986). Der Beklagte begründete seine Entscheidung damit, daß nach seiner Überzeugung der Kläger zu Recht wegen Betrugs bestraft worden sei. Auf jeden Fall habe der Kläger ab Mitte 1982 gewußt, daß Leistungen zu Unrecht abgerechnet worden seien. Den gegenteiligen Behauptungen des Klägers und der Versicherung seiner Ehefrau im Widerspruchsverfahren sei nicht zu glauben.
Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) kommt zu dem Ergebnis: Auch nach seiner Überzeugung stehe fest, daß der Kläger in erheblichem Umfang zum Nachteil der Krankenkassen vorsätzlich falsch abgerechnet habe. Da es sich auf eigene Feststellungen aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens stütze, erübrigten sich Ausführungen zur Befugnis des Gerichts, Feststellungen aus einem Strafbefehl zu übernehmen. Von einer Bindung gehe es ohnehin nicht aus.
Das LSG hat die Revision nicht zugelassen.
Dagegen richtet sich die Beschwerde des Klägers. Er rügt in erster Linie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Ferner beanstandet er, das LSG habe zu Unrecht Beweisangebote abgelehnt.
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Verfahrensrügen des Klägers ergeben nicht, daß das Berufungsurteil auf einem geltend gemachten Verfahrensmangel beruhen kann.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist nicht, wie gerügt, darin zu sehen, daß das LSG der Bitte des Klägers auf Verlegung des Verhandlungstermins vom 1. Juli 1987 nicht entsprochen hat. Der Kläger hat um Verlegung des bereits Mitte April 1987 bekanntgegebenen Termins gebeten, "falls das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet bleibt". Damit hat er dem LSG die Beurteilung überlassen, ob eine Terminsverlegung notwendig ist. Abgesehen davon, daß der Kläger durch eine Klinikbescheinigung vom 5. Mai 1987 lediglich die Vormerkung eines Krankenhausaufenthalts vom 29. Juni bis 3. Juli 1987 nachgewiesen hat, nicht dagegen die Unmöglichkeit einer Verschiebung der auf nur wenige Tage begrenzten Krankenhausbehandlung, läßt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen, daß aus der Sicht des LSG die persönliche Teilnahme an der mündlichen Verhandlung notwendig gewesen wäre. Zwar spricht die vom LSG zunächst getroffene Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers dafür, daß es ursprünglich selbst die Teilnahme für erforderlich gehalten hat. Durch die Ablehnung der Terminsverlegung und vor allem durch die nachträglich angeordnete Zeugenvernehmung der Ehefrau des Klägers hat es jedoch zu erkennen gegeben, daß es nun eine ergänzende Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise erreichen will. Die Wahrnehmung der Interessen des Klägers war durch seine rechtskundigen Prozeßbevollmächtigten ausreichend gewährleistet.
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ergibt sich auch nicht aus der Behauptung des Klägers, das LSG habe "für die Bewertung des Sachverhalts Fakten zugrunde gelegt, zu denen ... (er) ... im gesamten Sozialgerichtsverfahren keine Stellung (hätte) nehmen können". Der für die Entziehung der Kassenzulassung maßgebliche Sachverhalt war dem Kläger im großen und ganzen bekannt. Er hatte ausreichend Gelegenheit zu dem gesamten Tatsachenkomplex Stellung zu nehmen. Soweit der Kläger die ihm vorgeworfenen Falschabrechnungen in einzelnen Fällen bestreitet, ändert sein Vorbringen nichts daran, daß er fortlaufend falsche Abrechnungen vorgelegt hat. Soweit er einwendet, er habe von den Falschabrechnungen nichts gewußt, ist in den Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen ausführlich dargelegt worden, warum er insoweit nicht glaubwürdig erscheint. Auch wenn das LSG diesbezüglich in einzelnen Punkten von eventuell widerlegbaren Annahmen ausgegangen sein sollte, sind die wesentlichen Feststellungen Gegenstand der Auseinandersetzungen in allen Verwaltungs- und Gerichtsinstanzen gewesen; der Kläger konnte sich daher ausreichend dazu äußern. Abgesehen davon läßt der Kläger außer Betracht, daß die Abrechnungen in seinen Verantwortungsbereich fallen und er sich nicht darauf berufen kann, ihm seien die Abrechnungsbestimmungen und die fortgesetzten Abrechnungsverstöße seines Personals nicht bekannt gewesen. Er hätte sich die erforderlichen Kenntnisse verschaffen und für eine ordnungsgemäße Abrechnung gegenüber der KÄV sorgen müssen. Die KÄV ist auf eine korrekte Abrechnung der Kassenärzte angewiesen. Ein Kassenarzt, der fortlaufend falsche Abrechnungen vorlegt, ist für die Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung ungeeignet.
Der Kläger kann die Zulassung der Revision auch nicht mit seiner Behauptung erreichen, das LSG habe zu Unrecht den Antrag auf Vernehmung des Rechtsanwalts Dr. H. abgelehnt. Auf eine Verletzung des § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann ein nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG rügbarer Verfahrensmangel nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dem Beschwerdevorbringen kann nicht entnommen werden, wann und auf welche Weise der Kläger im Berufungsverfahren den jetzt geltend gemachten Beweisantrag gestellt hat. Dies wäre aber Voraussetzung für eine formgerechte Bezeichnung des Verfahrensmangels. Der Beweisantrag muß nach den Angaben in der Beschwerdebegründung ohne weiteres auffindbar sein (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG; Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 3. Aufl, § 160a RdNr 16 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). In der Sitzungsniederschrift des LSG ist diesbezüglich lediglich festgehalten, daß Prozeßgegner des Klägers diesen Beweisantrag hilfsweise, also für den Fall gestellt haben, daß ihrem Hauptantrag auf Zurückweisung der Berufung des Klägers nicht entsprochen wird. Das LSG hat zudem seine Entscheidung zu dem Beweisthema, wann der Kläger Kenntnis von den Falschabrechnungen seiner Ehefrau erhalten hat, ausführlich und überzeugend begründet (s Seite 20 bis 23 des Berufungsurteils). Es ist daher nicht ersichtlich, aus welchen Gründen das LSG Anlaß gehabt hätte, den hilfsweisen Beweisanträgen der Prozeßgegner des Klägers nachzugehen.
Schließlich ist nicht zu beanstanden, daß das LSG keine Feststellungen darüber getroffen hat, wie das allgemeine Verhalten der Ärzte "um die Abrechnungsvorschriften in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Tatzeitraum" gewesen ist. Falschabrechnungen der vom LSG festgestellten Art (zB "Anreichern" von Krankenscheinen mit Gebührennummern nichterbrachter Leistungen) verlieren ihren Unrechtsgehalt auch nicht dadurch, daß andere Ärzte ebenfalls fehlerhaft abgerechnet haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen