Entscheidungsstichwort (Thema)
Entscheidung über Hilfsantrag. rechtliches Gehör
Orientierungssatz
Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht nicht, Hilfsanträge vor der Entscheidung über den Hauptantrag zu bescheiden.
Normenkette
SGG §§ 62, 128 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 10.11.1988; Aktenzeichen L 5 A 76/87) |
Gründe
Nach § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) darf das Bundessozialgericht (BSG) die Revision gegen das Urteil eines Landessozialgerichts (LSG) ua nur zulassen, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Der geltend gemachte Verfahrensmangel kann ua nicht auf eine Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Die - behauptete - Unrichtigkeit des Urteils des LSG ist dagegen kein Revisionszulassungsgrund. Gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG muß in der Beschwerdebegründung der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Genügt die Beschwerdebegründung diesen Anforderungen nicht, ist die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Klägerin, die ausschließlich eine Verletzung des § 103 SGG und ihres Anspruches auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§§ 62, 128 Abs 2 SGG) rügt, hat die (vermeintlichen) Mängel des berufungsgerichtlichen Verfahrens nicht hinreichend "bezeichnet". Erforderlich ist eine Beschwerdebegründung, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob ein Verfahrensmangel vorliegt und die angegriffene Entscheidung auf ihm beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14).
Die Rüge, das LSG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) verletzt, weil es den im Schriftsatz vom 4. November 1988 enthaltenen Hilfsantrag ohne hinreichende Gründe abgelehnt hat, zum Beweis dessen, daß "die auf orthopädischem Fachgebiet liegenden Gesundheitsstörungen mindestens seit dem 1. Januar 1986 bestehen und die Leistungsfähigkeit der Klägerin beeinträchtigen", die Akte des Versorgungsamts Mainz beizuziehen sowie den Sachverständigen Dr. E. anzuhören, bezeichnet den Verfahrensmangel nicht hinreichend. Offenbleiben kann, ob dargetan ist, daß der og Hilfsantrag bei Abschluß der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (noch) gestellt war, obwohl er in die Sitzungsniederschrift nicht aufgenommen worden ist (vgl dazu BSG SozR 1500 § 160 Nr 64). Erforderlich war jedenfalls, die sachlich-rechtliche Auffassung des LSG und das Beweisergebnis zu dieser Auffassung darzustellen und insbesondere die Umstände konkret zu bezeichnen, die das LSG bei Beachtung seiner Amtsermittlungspflicht zur Aufklärung der im Beweisantrag benannten Punkte (§ 118 Abs 1 SGG iVm § 403 der Zivilprozeßordnung - ZPO) hätten drängen müssen (BSG SozR 1500 § 160a Nr 34; BSG aaO § 160 Nr 35). Abgesehen davon, daß es in der Beschwerdebegründung an Darlegungen zu der - hier maßgeblichen - Rechtsauffassung des LSG fehlt, hätte die Klägerin nämlich eingehend aufzeigen müssen, weshalb das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, die im og Antrag gestellte Beweisfrage gerade durch die Anhörung des Sachverständigen Dr. E. und durch Beiziehung der Akte des Versorgungsamts Mainz weiter aufzuklären. Denn Dr. E. hatte - wie die Klägerin selbst angibt - zu diesem Beweisthema bereits in seinem Gutachten vom 29. Juni 1988 (Blatt 102 der Akte des LSG) seine Auffassung dargelegt und begründet, daß die auf orthopädischem Fachgebiet liegenden Gesundheitsstörungen bereits seit dem 1. Januar 1986 bestehen und die Leistungsfähigkeit der Klägerin ausschließen. Im Blick auf die Beiziehung der Akte des Versorgungsamtes Mainz waren weitere Ausführungen schon deswegen unumgänglich, weil die Klägerin mit ihrem Schriftsatz vom 4. November 1988 eine Fotokopie des Bescheides des Versorgungsamtes Mainz vom 10. August 1981 zu den Akten gereicht hatte, in dem eine Coxarthrose unter den insgesamt berücksichtigten Behinderungen nicht aufgeführt ist. Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, weshalb das LSG sich hätte gedrängt fühlen müssen, die angebotenen Beweise zu erheben. Soweit die Klägerin außerdem vorträgt, das Gutachten des Dr. E. widerspreche hinsichtlich des Zeitpunktes des Bestehens der Coxarthrose den orthopädischen Gutachten der Dres. G. und A. , rügt sie im Blick auf eine Verletzung des § 103 SGG einen im Beweisantrag nicht bezeichneten und daher im Beschwerdeverfahren nicht rügefähigen Umstand (BSG SozR 1500 § 160 Nr 35).
Die der Beschwerdebegründung sinngemäß zu entnehmende Rüge, das LSG habe die Grenzen seines Rechts verletzt, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG), kann nicht zur Zulassung der Revision führen (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Auch die Rüge, das LSG habe das Recht auf Gewährung von rechtlichem Gehör (§§ 62, 128 Abs 2 SGG) dadurch verletzt, daß es den og Hilfsantrag erst in den Urteilsgründen ablehnend beschieden und ihn dadurch übergangen habe, ist nicht hinreichend "bezeichnet". Abgesehen davon, daß der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs das Gericht nicht verpflichtet, Hilfsanträge vor der Entscheidung über den Hauptantrag zu bescheiden, fehlt der erforderliche Vortrag, welches Vorbringen dadurch verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36). Ob - wie die Klägerin offenbar annimmt - die Anhörung des Dr. E. oder die Beiziehung der Akten des Versorgungsamtes Mainz die Überzeugungsbildung des LSG im allgemeinen hätten beeinflussen können, ist ohne Bedeutung für die Frage, ob durch das als verfahrensfehlerhaft gerügte Verhalten die Rechtsverteidigung der Klägerin entscheidungserheblich beschnitten worden ist. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 160a Abs 4 Satz 3 Halbs 2 SGG ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen