Orientierungssatz
1. Sind in der Kriegsgefangenschaft aufgetretene erhebliche Gesundheitsstörungen, insbesondere Herzbeschwerden, nach der Entlassung abgeklungen und wird behauptet, die Beschwerden hätten später wieder ein hohes Ausmaß erreicht und zum Tode geführt, so verteilt sich die Beweislast nach dem Grundsatz, daß jeder Beteiligte die Gefahr einer ihm nachteiligen Entscheidung trägt, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der von ihm geltend gemachten Rechtsfolgen nicht festgestellt werden können (vgl BSG vom 1970-01-30 2 RU 175/67 = BSGE 30, 278, 280 ff mwN).
2. Darüber, ob eine bestimmte medizinische Auffassung der gerichtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden darf, hat das Revisionsgericht im allgemeinen weder rechtsgrundsätzlich noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung Verbindliches zu sagen (Anschluß an BGH vom 1975-04-29 IX ZB 395/71 = RzW 1975, 247).
Normenkette
SGG § 128 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Dezember 1975 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Revision wäre nur zuzulassen, wenn die Beschwerde wegen einer der in § 160 Abs. 2, § 160 a Abs. 2 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) aufgeführten Voraussetzungen gerechtfertigt wäre. Dies trifft nicht zu.
Nach Ansicht der Kläger stellt sich im Streitfall die rechtsgrundsätzliche Frage nach der Beweislastverteilung. Dafür nehmen sie darauf Bezug, daß ihr Ehemann und Vater, der verstorbene Landwirt und Kraftfahrer K B (im folgenden: B.), mit erheblichen Gesundheitsstörungen, im besonderen Herzbeschwerden, aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden sei, daß die Krankheitserscheinungen dann aber abgeklungen und entsprechende Befunde erst später ein hohes Ausmaß erreicht sowie zum Tode geführt hätten. Aus diesem Sachverhalt resultiere die Frage, ob die Versorgungsverwaltung die Beweislast dafür treffe, daß bei der gleichen Art der Erkrankung der zuletzt bestehende Zustand nicht schädigungsabhängig sei. Die Kläger meinen, die Versorgungsverwaltung müsse dafür einstehen, daß ein kontinuierlicher Fortbestand des Heimkehrerleidens nicht nachzuweisen sei. Die Kläger möchten für einen Fall wie den hier zu beurteilenden die gleichen Beweisgrundsätze angewandt wissen, die bei der Minderung oder Entziehung einer Leistung wegen Änderung der Verhältnisse (BSG 6, 70, 73) oder in Verbindung mit Einwandtatsachen (BSG 7, 249, 254) gelten. Dies sei - so die Kläger - um so mehr gerechtfertigt, als in der französischen Besatzungszone, in die B. seinerzeit, aus der Kriegsgefangenschaft kommend, heimkehrte, versorgungsrechtliche Heilfürsorge ohne Antrag zu gewähren gewesen sei. Dafür beziehen sie sich auf das Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungsgesetz vom 26. August 1938 (RGBl I 1077). Wäre damals - argumentieren die Kläger - ein solcher Anspruch anerkannt worden, dann ginge es jetzt zum Nachteil der Behörde, daß nicht aufzuklären sei, ob das Versorgungsleiden einmal nur vorübergehend abgeklungen oder gänzlich weggefallen sei.
Den Klägern kann nicht darin beigepflichtet werden, daß durch den Sachverhalt, so wie er von dem Berufungsgericht festgestellt worden ist oder von den Klägern in dieser Beschwerde vorgetragen wird, eine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen worden ist. Die Beweislast verteilt sich in einem Falle wie diesem nach dem Grundsatz, daß jeder Beteiligte die Gefahr einer ihm nachteiligen Entscheidung trägt, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der von ihm geltend gemachten Rechtsfolgen nicht festgestellt werden können (BSG 30, 278, 280 f. m. w. N.). Den Klägern geht es um die Anerkennung der Gesundheitsstörungen ihres verstorbenen Ehemannes und Vaters als Folgen einer Schädigung i. S. des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Entscheidungserheblich ist also, ob Kriegseinwirkungen oder Kriegsgefangenschaft die Ursache seines inneren Leidens waren. Die Erweislichkeit dieses Ursachenzusammenhangs ist ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes (§ Abs. 1, 3 Satz 1 BVG). Ist dieses Merkmal nicht verwirklicht oder ist seine Verwirklichung nicht darzutun, dann besteht auch der Versorgungsanspruch nicht. Darüber besteht kein - durch das Revisionsgericht zu behebender - Zweifel. Mit dieser Rechtsfolge dürfen nicht diejenigen Fälle verquickt werden, in denen es nicht um den Nachweis anspruchsbegründender, sondern um das Bestehen rechtshindernder oder rechtsvernichtender Fakten geht.
Es kann ferner auf sich beruhen, ob B. nach versorgungsrechtlichen Vorschriften aus der Zeit vor Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes ein Anspruch zuzuerkennen gewesen wäre. Solche Vorschriften und insbesondere das von den Klägern zitierte Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungsgesetz vom 26. August 1938 sind mit dem 1. Oktober 1950 außer Kraft getreten (§ 84, v. a. Abs. 2 Nr. 2 f BVG). Zugleich wurden sogar Verwaltungsakte, mit denen ein Versorgungsanspruch anerkannt worden war, hinfällig. Soweit solche Verwaltungsakte gleichwohl auf einem Teilgebiet einen Rest von Bestandskraft behalten haben (§ 85 BVG), setzt dies nach ausdrücklicher Gesetzesvorschrift eine frühere konkretisierende Entscheidung voraus. Daran fehlt es jedoch in der gegenwärtigen Sache. - Was die Kläger mit diesem Rechtsbehelf zu erreichen versuchen, ist nicht eigentlich eine Nachprüfung der Beweislastfrage durch das Revisionsgericht, sondern eine Kontrolle der tatrichterlichen Beweiswürdigung. Hierfür steht indessen das Rechtsmittel der Revision nicht zu Verfügung (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG).
Die Revision könnte des weiteren nicht mit der von der Beschwerde gegebenen Begründung darauf gestützt werden, daß das Berufungsurteil von dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Oktober 1974 - 10 RV 531/73 (SozR 3100 § 1 BVG Nr. 3) - abgewichen sei. Daß die in jenem Urteil vorgenommene begriffliche Abgrenzung zwischen Entstehung und Verschlimmerung eines anlagebedingten Leidens hier ebenfalls einschlägig gewesen und daß die Beurteilung anders als dort erfolgt sei, hat die Beschwerde nicht mit der Deutlichkeit, wie sie zu fordern ist, genau genug erläutert.
Die Kläger beanstanden, daß das Landessozialgericht (LSG) entscheidungserheblichen Beweisanträgen ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei (§ 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG). Sowohl schriftsätzlich als auch in der Berufungsverhandlung sei gebeten worden, den Internisten Dr. K als Sachverständigen und Zeugen zu vernehmen. Die Anhörung dieses Arztes sei unerläßlich gewesen, weil er den Verstorbenen zu Lebzeiten behandelt habe und über die Ergebnisse der vorgenommenen Obduktion am besten habe Auskunft zu geben vermögen, zumal er dabei auch die Stellungnahme des Psychiaters Dr. S habe erläutern können. Ohne die Vernehmung des Dr. K seien nachträglich aufgefundene 30 Rezepte aus den Jahren 1949 bis 1962 überhaupt nicht ausgewertet worden. Demgegenüber habe das LSG das Beweisangebot nicht mit der Überlegung abweisen dürfen, es schließe sich entgegen Dr. K der herrschenden medizinischen Lehrmeinung an. Eine solche Urteilserwägung sei deshalb nicht stichhaltig, weil in jüngerer Zeit die Infarktforschung neue Erkenntnisse gewonnen habe. Diese Erkenntnisse müßten auf den lebensbedrohlichen Streß in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft, dem der Verstorbene ausgesetzt gewesen sei, übertragen werden. - Mit diesen Angriffen haben die Kläger nicht hinreichend verständlich gemacht, weshalb die vom Berufungsgericht gewürdigten - wiederholten und ausführlichen - Stellungnahmen des Dr. K durch eine Vernehmung dieses Arztes noch hätten ergänzt werden müssen. Ebensowenig ist dargelegt, wieso sich das Berufungsgericht in seiner Überzeugungsbildung nicht an den gegenwärtigen gesicherten Erfahrungsstand der medizinischen Wissenschaft gehalten hat und weshalb somit die für die Ablehnung weiterer Beweisaufnahme gegebene Begründung ungenügend gewesen sei. Im übrigen ist auf die Entscheidung des Kammergerichts RzW 1969, 473 zu verweisen, wonach psychische Belastungen bei der Entstehung der Coronarsklerose und des Infarkts nach der in Deutschland herrschenden medizinischen Lehrmeinung grundsätzlich nur eine unwesentliche Rolle beizumessen ist und wonach die Streß-Theorie nicht der in Deutschland allgemeingültigen Lehrmeinung entspricht. Demgegenüber geben die von den Klägern angeführten Äußerungen der Prof. S und S keine greifbaren, für den Streitfall erhellenden Hinweise. Was die rechtsgrundsätzliche Frage angeht, so ist auf die BGH-Entscheidung vom 29. April 1975 (RzW 1975, 247) zu verweisen, wonach darüber, ob Gutachten der Vertreter bestimmter medizinischer Auffassungen der gerichtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden dürfen, das Revisionsgericht Verbindliches nicht zu sagen hat, und zwar weder rechtsgrundsätzlich noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (vgl. außerdem BSG SozR Nr. 33 zu SGG § 128).
Die von den Klägern angeführten Aufsätze des Prof. Dr. K (NJW 1976, 355) und des Privatdozenten Dr. K (NJW 1976, 1126) beziehen sich in erster Linie auf das Thema, was ein wissenschaftlich allgemein anerkanntes Arzneimittel sei. Für die hier erörterte Frage, welche Bedeutung eine herrschende oder vereinzelt vertretene medizinische Lehrmeinung für Beweislast und Beweiswürdigung haben, ist den genannten Aufsätzen kein Gesichtspunkt zu entnehmen, der im Streitfalle eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnte.
Soweit die Kläger eine Nichtberücksichtigung wichtiger Umstände behaupten, z. B. das Außerachtlassen der Rezepte aus den Jahren bis 1962, führen sie angebliche Verfahrensfehler an, deren Nachprüfung dem Revisionsgericht verwehrt ist (§§ 103, 128 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG).
Die Tatsachen, welche die Kläger im Zusammenhang mit der in diesem Rechtszug vorgelegten Bescheinigung der Heilpraktikerin L. vortragen, können nicht beachtet werden. Das Revisionsgericht ist an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen gebunden. Gegen diese Feststellungen sind zulässige und begründete Rügen nicht erhoben worden.
Die Beschwerde genügt sonach nicht den Anforderungen, die an eine schlüssige Begründung dieses Rechtsbehelfs zu stellen sind. Sie ist - mit der § 193 SGG entsprechenden Kostenentscheidung - zu verwerfen (§ 169 SGG).
Fundstellen