Entscheidungsstichwort (Thema)
Aus der ehemaligen DDR Zugezogene. Anwartschaft. Im Beitrittsgebiet zurückgelegte Zeiten. Rentenrechtliche Stellung der Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR. Rentenrechtliche Zeiten
Leitsatz (redaktionell)
1. Bis zum 18.5.1990 aus der ehemaligen DDR Zugezogene hatten bei Zuzug in das Bundesgebiet eine Anwartschaft auf Berücksichtigung ihrer im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten nach dem FRG i.d.F. vom 25.2.1960.
2. Im Zuge der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands ist das FRG jedoch geändert und die rentenrechtliche Stellung der Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR wesentlich neu gestaltet worden.
3. So schließt der durch Art. 14 Nr. 14a RÜG vom 25.7.1991 zum 1.1.1992 neu gefasste § 15 Abs. 1 FRG die Anwendbarkeit des FRG auf im Beitrittsgebiet zurückgelegte rentenrechtliche Zeiten aus.
4. Ebenso ist mit Art. 14 Nr. 16b RÜG zum 1.1.1992 § 17 Abs. 1 FRG a.F. gestrichen worden.
5. Gleichzeitig hat der Gesetzgeber neue Vorschriften in das SGB VI eingefügt.
6. Bereits die hier zum 1.1.1992 in Kraft getretenen Neuregelungen haben eine Anwendung des FRG in Abhängigkeit von einem Rentenbeginn vor dem 1.1.1996 nur noch übergangsweise vorgesehen (§ 259a SGB VI i.d.F. des Art. 1 Nr. 75 RÜG).
7. Im Jahre 1993 ist dann rückwirkend zum 1.1.1992 die Begrenzung auf den nunmehr noch erfassten Personenkreis (§ 259a SGB VI i.d.F des Art. 1 Nr. 16 Buchst. b RÜG-ErgG vom 24.6.1993) erfolgt.
8. Auch vor dem 19.5.1990 Zugezogene sind damit nunmehr vom Anwendungsbereich des FRG ausgenommen und im Zuge der Angleichung der Lebensverhältnisse den allgemeinen Bewertungsvorschriften des einheitlichen Rentenrechts in beiden Teilen Deutschlands unterworfen, wenn sie nach dem 1.1.1937 geboren worden sind.
9. Die Ersetzung der Regelungen des FRG durch eine fiktive Zuerkennung von in der gesetzlichen Rentenversicherung beitragsversicherten Entgelten nach Maßgabe der allgemeinen Regelungen des Überleitungsrechts verstößt nicht gegen das allgemeine rechtsstaatliche Vertrauensschutzprinzip (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs 3 GG) und die vom Gesetzgeber gewählte Stichtagsregelung verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4 S. 1, §§ 162, 169 Sätze 2-3; SGB VI §§ 149, 259a; FRG § 15 Abs. 1, § 17 Abs. 1; BVerfGG § 31; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 3. Juli 2019 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil vom 3.7.2019 hat das LSG Baden-Württemberg einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer höheren Altersrente unter Bewertung ihrer im Beitrittsgebiet zurückgelegten Beitragszeiten nach dem FRG verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
II
Die Beschwerde der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Insbesondere genügt die Beschwerdebegründung vom 10.9.2019 nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG folgenden Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrunds der grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; vgl auch BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7; jüngst BSG Beschluss vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - juris RdNr 12). Diesen Anforderungen wird die vorliegende Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin rügt, dass ihr Rentenanspruch nicht nach dem FRG berechnet worden sei. Es stelle sich ua die Frage, ob der § 259a SGB VI dem Gesetzeszweck des RÜG diene oder ob durch den Gesetzgeber dieser Regelung eine neue Deutung gegeben worden sei. Sofern dies der Fall gewesen sei, stelle sich ferner die Frage, ob dann nicht ein Verstoß gegen die Informationspflicht (§ 149 SGB VI) vorliege. Hierzu trägt sie im Wesentlichen vor, es sei niemals Absicht des Gesetzgebers gewesen, die den Übersiedlern und Flüchtlingen aus der vormaligen DDR bei der Übersiedlung zuerkannten Ansprüche gegen die deutschen Rentenversicherungsträger durch das RÜG neu zu regeln. Aus dem Gesetzestext des § 259a SGB VI, der sich auf "Die Versicherten" beziehe, könne dies nicht gelesen werden. Insoweit unterlägen die Gerichte, die dennoch diese Regelungen auf die Ansprüche der Übersiedler und Flüchtlinge anwendeten, einer Fehleinschätzung. Es bestehe auch keine Bindung gemäß § 31 BVerfGG an den Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 13.12.2016 (1 BvR 713/13 - NJW 2017, 876). Beträfe die Änderung des FRG auch die Rentenansprüche der Flüchtlinge und Übersiedler gegen die westdeutschen Versicherungsträger, läge eine unzulässige Rückwirkung vor. Durch die Änderung wäre auch der Vertrauensgrundsatz verletzt worden. Bisher unbehandelt sei auch die Frage der Verhältnismäßigkeit. Dabei sei zu bedenken, dass die Geflüchteten keine Möglichkeit gehabt hätten, ihren in der DDR erworbenen Rentenanspruch durch Zusatzrenten anzureichern. Diese und einige andere offene Fragen, die in den Urteilen der Instanzgerichte nicht oder zumindest nicht ausreichend gewürdigt worden seien, seien von der Revisionsinstanz zu entscheiden.
Der Senat lässt dahinstehen, ob die Klägerin mit ihren Formulierungen hinreichend deutlich abstrakt-generelle Rechtsfragen zum Inhalt, Anwendungsbereich oder zur Verfassungsgemäßheit einer revisiblen Norm (§ 162 SGG) gestellt hat. Sie hat jedenfalls die Klärungsbedürftigkeit der angesprochenen Fragen zum Geltungsbereich des FRG und zur Auslegung des § 259a SGB VI nicht dargelegt.
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG Beschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - juris RdNr 4). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet sei (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN).
Hieran fehlt es. Die Klägerin geht insbesondere in keiner Weise auf das Urteil des BSG vom 14.12.2011 (B 5 R 36/11 R - SozR 4-2600 § 248 Nr 1) ein. In dieser Entscheidung (aaO RdNr 18 ff) hat das BSG darauf hingewiesen, dass bis zum 18.5.1990 aus der ehemaligen DDR Zugezogene bei Zuzug in das Bundesgebiet eine Anwartschaft auf Berücksichtigung ihrer im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten nach dem FRG idF vom 25.2.1960 hatten. Im Zuge der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands sei das FRG jedoch geändert und die rentenrechtliche Stellung der Flüchtlinge und Übersiedler aus der DDR wesentlich neu gestaltet worden. So schließe der durch Art 14 Nr 14a des RÜG vom 25.7.1991(BGBl I 1606) zum 1.1.1992 neu gefasste § 15 Abs 1 FRG die Anwendbarkeit des FRG auf im Beitrittsgebiet zurückgelegte rentenrechtliche Zeiten aus. Ebenso sei mit Art 14 Nr 16b RÜG zum 1.1.1992 § 17 Abs 1 FRG aF gestrichen worden. Gleichzeitig habe der Gesetzgeber neue Vorschriften in das SGB VI eingefügt. Bereits die hier zum 1.1.1992 in Kraft getretenen Neuregelungen hätten eine Anwendung des FRG in Abhängigkeit von einem Rentenbeginn vor dem 1.1.1996 nur noch übergangsweise vorgesehen (§ 259a SGB VI idF des Art 1 Nr 75 RÜG). Im Jahre 1993 sei dann rückwirkend zum 1.1.1992 die Begrenzung auf den nunmehr noch erfassten Personenkreis (§ 259a SGB VI idF des Art 1 Nr 16 Buchst b des RÜG-ErgG vom 24.6.1993, BGBl I 1038) erfolgt. Auch vor dem 19.5.1990 Zugezogene seien damit nunmehr vom Anwendungsbereich des FRG ausgenommen und im Zuge der Angleichung der Lebensverhältnisse den allgemeinen Bewertungsvorschriften des einheitlichen Rentenrechts in beiden Teilen Deutschlands unterworfen, wenn sie nach dem 1.1.1937 geboren worden seien. Hiergegen bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Ersetzung der Regelungen des FRG durch eine fiktive Zuerkennung von in der gesetzlichen Rentenversicherung beitragsversicherten Entgelten nach Maßgabe der allgemeinen Regelungen des Überleitungsrechts verstoße nicht gegen das allgemeine rechtsstaatliche Vertrauensschutzprinzip (Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG). Der allgemeine Gleichheitssatz der Verfassung sei ebenfalls nicht verletzt. Die vom Gesetzgeber gewählte Stichtagsregelung verstoße nicht gegen Art 3 Abs 1 GG.
Zu einer Auseinandersetzung mit diesem Urteil hätte umso mehr Veranlassung bestanden, als sich sowohl SG als auch LSG auf den auch von der Klägerin angesprochenen Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 13.12.2016 (1 BvR 713/13 - NJW 2017, 876) gestützt haben, der aus Anlass einer Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des BSG vom 14.12.2011 erging.
Dass die Klägerin das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann von vornherein nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14285360 |