Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung der Worte "kraft Satzung oder Vollmacht" in SGG § 166 Abs 2.
Normenkette
SGG § 166 Abs. 2
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. April 1968 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind dem Kläger auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
Die Revision ist schon deshalb nicht zulässig, weil sie nicht bis zum Ablauf der - bis 28. August 1968 verlängerten - Revisionsbegründungsfrist durch einen zur Prozeßvertretung vor dem Bundessozialgericht (BSG) nach § 166 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) "kraft Satzung oder Vollmacht" zugelassenen Prozeßbevollmächtigten begründet worden ist. Gewerkschaftssekretär M., der die innerhalb der Revisionsbegründungsfrist beim BSG eingegangene Revisionsbegründung in seiner Eigenschaft als "1. Bevollmächtigter" und gleichzeitig Geschäftsführer der Ortsverwaltung E der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands (GdED) abgegeben hat, gehört nicht zu dem Personenkreis des § 166 Abs. 2 SGG. Er ist weder Kraft Satzung noch kraft Vollmacht der GdED zur Prozeßvertretung vor dem BSG befugt. Nach § 20 Nr. 1 und Nr. 2 c der Satzung (in der ab 1. Januar 1966 gültigen Fassung) gewährt "die Gewerkschaft" Rechtsschutz ua in Verfahren vor den Arbeits- und Sozialgerichten; nach § 25 Nr. 8 der Satzung wird die GdED "nach innen und außen" durch den Hauptvorstand vertreten. Die Vertretungsbefugnis ist in der Satzung weder auf bestimmte oder aus der Satzung im Einzelfall konkret bestimmbare Mitglieder der Bezirksleitungen noch auf bestimmte oder konkret bestimmbare Mitglieder der Ortsverwaltungen übertragen worden. Zwar führt der Bezirksvorstand "die Geschäfte des Bezirks im Auftrag des Hauptvorstandes" (§ 30 Nr. 7 der Satzung), den Ortsverwaltungen obliegt "unter anderem die Geschäftsführung nach den Richtlinien des Hauptvorstandes" (§ 31 Nr. 3 der Satzung), beiden Verwaltungsstellen ist "die Durchführung aller gewerkschaftlichen Aufgaben" übertragen, und zwar jeweils innerhalb ihres Bezirks (§ 30 Nr. 12, § 31 Nr. 4 der Satzung). Bei der Gewährung von Rechtsschutz in Verfahren vor dem BSG handelt es sich aber nicht um Geschäfte innerhalb des Bezirks dieser räumlichen Untergliederungen, sondern um Geschäfte "der Gewerkschaft", d.h. ihres Hauptvorstandes bzw., was offenbleiben kann, des geschäftsführenden Vorstandes (§ 29 der Satzung), die außerhalb des Bezirks der Bezirksleitungen bzw. Ortsverwaltungen durchzuführen sind. Für die Rechtsschutzgewährung und die Prozeßvertretung im Besonderen wird dies durch § 20 Nr. 4 bis 7 der Satzung bestätigt, wonach grundsätzlich über die Rechtsschutzgewährung der Hauptvorstand entscheidet. Hieran hat auch die "Geschäftsanweisung für die Ortsverwaltungen der GdED" nichts geändert, die im Jahre 1965 vom Hauptvorstand aufgrund von § 25 Nr. 10 Buchst. c der Satzung beschlossen worden ist. Nach dieser Satzungsvorschrift obliegt es dem Hauptvorstand, "den Bezirksleitungen und Ortsverwaltungen im Rahmen dieser Satzung Weisungen für die Geschäfts- und Kassenführung zu erteilen". Diese Weisungen beziehen sich auch auf die Rechtsschutzgewährung, im besonderen auch in Verfahren vor den Arbeits- und Sozialgerichten (vgl. S. 36 der Geschäftsanweisung). Bei dieser Geschäftsanweisung handelt es sich um Ausführungsbestimmungen zu der Satzung, also um eine Geschäftsordnung, die zwar der "Ergänzung der Satzung" dient (vgl. auch das Vorwort der Geschäftsanweisung), aber nicht Bestandteil der Satzung ist. Die Geschäftsanweisung betrifft deshalb allein das Innenverhältnis zwischen Ortsverwaltungen und Gewerkschaft (Hauptvorstand), sie hat rechtlich die Bedeutung, daß die Ortsverwaltungen an sie gebunden sind (vgl. hierzu Staudinger, Komm. z. BGB, 11. Aufl. I, Allg. Teil Anm. 11 zu § 25 BGB), sie regelt aber nicht mit satzungsmäßiger Wirkung die Rechtsstellung der Ortsverwaltungen "nach außen". Auch aus der Geschäftsanweisung ergibt sich hiernach nicht, daß Gewerkschaftssekretär M. "kraft Satzung" nach § 166 Abs. 2 SGG zur Prozeßvertretung vor dem BSG befugt ist.
Eine Vertretungsbefugnis ist Herrn M bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist auch nicht durch eine Vollmacht der GdED - eine Prozeßvollmacht - eingeräumt worden; eine nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist erteilte Vollmacht würde die Vertretungsbefugnis nicht rückwirkend begründen können. Der Hauptvorstand wäre zwar nicht gehindert gewesen, Herrn M oder einem anderen Mitglied oder Angestellten der Gewerkschaft eine Vollmacht - Prozeßvollmacht - für die Vertretung des Klägers im Verfahren vor dem BSG zu erteilen; dem Senat ist aus anderen Verfahren vor dem BSG bekannt, daß der Hauptvorstand der GdED bestimmten Mitgliedern oder Angestellten der Gewerkschaft derartige Vollmachten (als General- oder Einzelvollmacht) erteilt hat; hier ist dies aber nicht geschehen. Nach der Regelung in der Geschäftsanweisung (S. 36) werden "Verfahren vor den Arbeits- und Sozialgerichten ... in der Regel von den Bezirksleitungen durchgeführt, welche auch Ortsverwaltungen mit der Durchführung des Verfahrens beauftragen können". Im vorliegenden Falle hat die Bezirksleitung Essen zwar dem Hauptvorstand der GdED im Oktober 1968 mitgeteilt, sie habe M "im Rahmen der Geschäftsanweisung des Hauptvorstandes ... mit der Prozeßvertretung von Mitgliedern der Ortsverwaltung E vor den Sozialgerichten betraut, und zwar schon seit 1963". Um eine rechtswirksame Vollmacht zur Prozeßvertretung vor dem BSG handelt es sich dabei aber deshalb nicht, weil auch die Bezirksleitungen nicht kraft Satzung zur Vertretung des Hauptvorstandes in der dem Hauptvorstand obliegenden Rechtsschutzgewährung befugt sind und ihnen - ebenso wie den Ortsverwaltungen - diese Vertretungsbefugnis auch nicht etwa durch die Geschäftsanweisung übertragen ist; die Bezirksleitung E hat sonach Herrn M eine rechtswirksame Vollmacht nicht erteilen können.
Die Auffassung des Senats steht mit dem Sinn und Zweck des § 166 SGG in Einklang. Der Vertretungszwang nach dieser Vorschrift ist eine notwendige Folge der förmlichen Gestaltung des Verfahrens vor dem BSG. Der Bedeutung dieses Verfahrens für die Beteiligten entspricht es, daß die in § 166 Abs. 2 SGG genannten Organisationen die Vertretungsbefugnis bestimmter bzw. bestimmbarer einzelner Personen entweder in der Satzung selbst regeln müssen oder daß sie sich durch Erteilung einer Generalvollmacht oder Einzelvollmacht darüber schlüssig werden müssen, welchen Personen sie die Befugnis zur Prozeßvertretung vor dem BSG anvertrauen wollen. Deshalb besteht bei den in § 166 Abs. 2 SGG genannten Organisationen die Übung, daß ihre satzungsmäßig hierzu ermächtigten Organe die Befugnis zur Prozeßvertretung vor dem BSG bestimmten Einzelpersonen, meist Angehörigen ihrer Rechtsabteilungen, generell oder durch Einzelvollmacht übertragen. Auf diesem Wege ist auch eine gewisse Gewähr dafür geschaffen, daß beim BSG nicht von vornherein unzulässige oder offensichtlich unbegründete Revisionen eingelegt werden. Zweckmäßigkeitserwägungen, insbesondere die Notwendigkeit der Wahrung von Fristen, können eine andere Rechtsauffassung nicht rechtfertigen. Auf die Wahrung der Fristen müssen die am Verfahren Beteiligten, die durch Mitglieder und Angestellte der in § 166 Abs. 2 SGG genannten Personen vertreten werden, ebenso achten wie andere Beteiligte.
Da die Revision nicht formgerecht begründet ist, ist sie als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 SGG). Der Senat braucht nicht zu prüfen, ob die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel vorliegen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2285110 |
MDR 1969, 878 |