Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Verfahrensmangel. Aufklärungspflicht. Darlegungspflicht. Beweisantrag. Beweisanregung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Darlegungspflicht im Zusammenhang mit der Rüge der Verletzung des § 103 SGG erfordert die Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne weiteres auffindbaren Beweisantrages, die Wiedergabe der Rechtsauffassung des Landessozialgerichts verbunden mit Ausführungen dazu, dass das Landessozialgericht auf Grund dieser Rechtsauffassung sich zur weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt sehen müssen, die Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweiserhebung und schließlich Ausführungen dazu, dass und warum die Entscheidung des Landessozialgerichts auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann.
2. Bei einem Beweisantrag, der mit der Rüge der Verletzung des § 103 SGG zur Zulassung der Revision führen kann, muss es sich um einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag und nicht etwa nur um eine Beweisanregung handeln; ein ordnungsgemäßer Beweisantrag muss unzweifelhaft erkennen lassen, dass eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen zu genau benannten Tatsachen für erforderlich gehalten wird.
Normenkette
SGG §§ 62, 103, 160 Abs. 2 Nr. 3; ZPO § 448
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 22.10.2001) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Oktober 2001 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig, denn ihre Begründung entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen.
Die Revision kann nach § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht (Nr 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird (Nr 3). Um die Revisionszulassung zu erreichen, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darlegen oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) abweicht, oder den Verfahrensmangel bezeichnen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Diesen Anforderungen ist hier nicht genügt.
Der Kläger behauptet in der Beschwerdebegründung weder, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, noch macht er geltend, das LSG sei von einer obergerichtlichen Entscheidung abgewichen. Vielmehr trägt der Kläger mit der Beschwerde in der Art einer Berufungsbegründung vor allem Einzelheiten zur Bekräftigung seines schon in den Vorinstanzen zum Ausdruck gebrachten Standpunktes vor, ihm sei entgegen der Auffassung des LSG keine grob fahrlässige Verletzung von Mitteilungspflichten vorzuhalten. Die Frage, ob das Verhalten eines Leistungsempfängers als grob oder nur leicht fahrlässig oder überhaupt nicht als schuldhaft einzustufen ist, betrifft aber die tatrichterliche Würdigung im konkreten Einzelfall, nicht die Anwendung eines klärungsbedürftigen allgemeinen Rechtssatzes; denn die Frage lässt sich nicht einheitlich für alle Fälle, sondern nur von Fall zu Fall, dh nach den jeweiligen Einzelumständen beantworten (BSGE 47, 180, 181 = SozR 2200 § 1301 Nr 8; Beschlüsse des Senats vom 20. Dezember 2000, B 11 AL 215/00 B, und vom 26. März 2001, B 11 AL 17/01 B, jeweils mwN). Dass die Entscheidung des LSG nach dem Vortrag der Beschwerdebegründung unter Umständen unrichtig sein könnte, vermag die Revisionsinstanz nicht zu eröffnen; denn Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Allerdings wird in der Beschwerdebegründung auch geltend gemacht, das LSG habe in einem Schriftsatz vom 21. September 2001 gestellte Beweisanträge, die auf Beiziehung der Akten des Ordnungsamtes und auf Anhörung des Berufungsklägers „als Partei” nach § 448 Zivilprozessordnung (ZPO) gerichtet waren, übergangen. Es habe auch keine Begründung dafür gegeben, weshalb es diesen für die Beurteilung wesentlichen Beweisangeboten nicht nachgekommen sei. Damit hat der Beschwerdeführer jedoch keinen Verfahrensmangel iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan.
Dass das LSG dem Antrag auf Parteivernehmung (§ 448 ZPO) nicht gefolgt ist, verstößt weder gegen die Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) noch gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG), da im sozialgerichtlichen Verfahren eine Parteivernehmung weder auf Antrag noch von Amts wegen zulässig ist (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 2). Aber auch darüber hinaus enthält die Beschwerdebegründung keine hinreichende Bezeichnung eines Verfahrensmangels. Auf die Verletzung des § 103 SGG kann die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG (2. Halbsatz) nämlich nur gestützt werden, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Nach ständiger Rechtsprechung erfordert die Darlegungspflicht im Zusammenhang mit der Rüge der Verletzung des § 103 SGG die Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne weiteres auffindbaren Beweisantrages, die Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG verbunden mit Ausführungen dazu, dass das LSG auf Grund dieser Rechtsauffassung sich zur weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt sehen müssen, die Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweiserhebung und schließlich Ausführungen dazu, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 5 und 35; SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Zweifelhaft ist bereits, ob mit dem Hinweis auf die im Schriftsatz vom 21. September 2001 gestellten Anträge überhaupt Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG bezeichnet sind. Denn bei einem Beweisantrag, der mit der Rüge der Verletzung des § 103 SGG zur Zulassung der Revision führen kann, muss es sich um einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag und nicht etwa nur um eine Beweisanregung handeln; ein ordnungsgemäßer Beweisantrag muss unzweifelhaft erkennen lassen, dass eine weitere Sachaufklärung von Amts wegen zu genau benannten Tatsachen für erforderlich gehalten wird (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 45 und 67; SozR 3-1500 § 160 Nr 9). Dem Schriftsatz vom 21. September 2001 ist aber ein hinreichend bestimmtes Beweisthema nicht zu entnehmen. Zwar wird vor dem Antrag auf Beiziehung der Akten des Ordnungsamtes, „die die streitbefangene Steuerklassenänderung betreffen”, und dem Antrag auf „Anhörung” die Behauptung aufgestellt, der Kläger habe von einer namentlich nicht bekannten Mitarbeiterin des Ordnungsamtes die Auskunft erhalten, die Änderung der Steuerklasse werde dem Arbeitsamt gemeldet; aus den gestellten Anträgen selbst ergibt sich jedoch nicht, welche Tatsachen durch die Aktenbeiziehung und/oder die Anhörung bewiesen werden sollten. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der die schriftsätzlich formulierten Anträge stützende Tatsachenvortrag unsubstantiiert und widersprüchlich ist; denn der Kläger will einerseits – so sein Vortrag im Schriftsatz vom 21. September 2001 – nur einfachste Redewendungen verstehen, andererseits will er im Ordnungsamt eine „Auskunft” des Inhalts erhalten haben, „die Änderung der Steuerklasse werde dem Arbeitsamt gemeldet”. Es wäre deshalb iS einer Konkretisierung der unter Beweis zu stellenden Tatsachen angebracht gewesen, die näheren Umstände der angeblich erteilten Auskunft vorzutragen, nicht aber dem Berufungsgericht aufzugeben, erst durch Beweiserhebung selbst Tatsachen aufzudecken (vgl BVerwG Buchholz 310 § 86 Abs 1 VwGO Nr 196 = NJW 1988, 1746).
Jedenfalls fehlt es aber an hinreichenden Darlegungen dazu, dass sich das LSG nach seiner Rechtsauffassung zur weiteren Sachaufklärung und insoweit zur Beiziehung der Ordnungsamts-Akten oder zur Anhörung des Klägers hätte gedrängt fühlen müssen. Das LSG ist bei seiner Beurteilung einerseits davon ausgegangen, es spreche nichts dafür, dass der Kläger die im Antragsformular gestellten Fragen nicht verstanden habe; andererseits hat es näher ausgeführt, dass dem Kläger selbst dann, wenn er wegen mangelhafter Sprachkenntnisse den Inhalt von Fragen oder Erklärungen nicht verstanden haben sollte, grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Diesem Rechtsstandpunkt tritt die Beschwerdebegründung zwar entgegen; sie geht aber nicht auf die Frage ein, ob das LSG gerade unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung Anlass zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen haben musste (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 34 und 56). Insoweit fehlt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit der Rechtsauffassung des LSG, so dass nicht deutlich ist, inwiefern die dem Beschwerdeführer wesentlich erscheinenden Sachverhaltselemente auch für das Berufungsgericht von Bedeutung gewesen sind.
Da ihre Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht, muss die Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen