Leitsatz (amtlich)

Wird im Rahmen der Prozeßkostenhilfe einem Beteiligten ein nicht von ihm ausgewählter und noch nicht für ihn tätig gewesener Rechtsanwalt beigeordnet, so beginnt die Frist für die Nachholung einer infolge des Prozeßkostenhilfeverfahrens versäumten fristgebundenen Rechtshandlung mit der Zustellung des Beiordnungsbeschlusses an den Beteiligten persönlich und nicht mit der Zustellung an den Rechtsanwalt.

 

Normenkette

SGG § 63 Fassung: 1953-09-03, § 64 Fassung: 1953-09-03, § 67 Fassung: 1953-09-03, § 73a Fassung: 1980-06-18, § 160a Fassung: 1974-07-30; ZPO § 121 Fassung: 1980-06-13

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 17.09.1982; Aktenzeichen L 3 J 100/80)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 26.03.1980; Aktenzeichen S 21 J 203/78)

 

Gründe

Der Kläger hat mit einem am 3. November 1982 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schreiben vom 2. November 1982 Prozeßkostenhilfe (PKH) für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem ihm am 30. Oktober 1982 zugestellten Urteil des Landessozialgerichts (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17. September 1982 beantragt. Der Senat hat mit Beschluß vom 26. Januar 1983 diesem Antrag entsprochen und dem Kläger zu seiner Vertretung seinen jetzigen Prozeßbevollmächtigten beigeordnet. Dieser ist zuvor für den Kläger nicht tätig gewesen. Der Beschluß vom 26. Januar 1983 ist am 1. Februar 1983 mittels eingeschriebenen Briefes an den Kläger abgesandt und am 2. Februar 1983 seinem Prozeßbevollmächtigten zugestellt worden. Dieser hat mit dem am 4. März 1983 beim BSG eingegangenen Schriftsatz vom selben Tage Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und sie mit dem am 5. April 1983 (Dienstag nach Ostern) eingegangenen Schriftsatz gleichen Datums begründet.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere rechtzeitig eingelegt worden. Zwar ist sie erst mit dem am 4. März 1983 eingegangenen Schriftsatz und somit nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils des LSG (§ 160 Abs 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) erhoben worden. Dem Kläger ist aber wegen der Versäumnis der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs 1 SGG). Er ist allein deshalb, weil der Senat über seinen innerhalb der Monatsfrist gestellten Antrag auf Bewilligung von PKH erst nach Ablauf der Frist entschieden hat, und somit ohne Verschulden an der Wahrung der Beschwerdefrist gehindert worden.

Der Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht nicht entgegen, daß der Kläger einen hierauf gerichteten Antrag nicht gestellt hat. Ihm kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden, weil er innerhalb der dafür maßgeblichen Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung in Form der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde nachgeholt hat (§ 67 Abs 2 Sätze 3 und 4 SGG). Der Eingang der Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG am 4. März 1983 hat die einmonatige Nachholungsfrist gewahrt. Allerdings ist der Beschluß des Senats vom 26. Januar 1983 über die Bewilligung der PKZ dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 2. Februar 1983 zugestellt worden. Von diesem Datum ausgehend wäre mit dem Eingang der Nichtzulassungsbeschwerde am 4. März 1983 die einmonatige Nachholungsfrist nicht gewahrt (vgl § 64 Abs 2 SGG). Indes ist für den Beginn der Frist nicht der Tag der Zustellung des Beschlusses vom 26. Januar 1983 an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers maßgebend. Die Frist ist vielmehr mit der Zustellung des Beschlusses an den Kläger persönlich in Lauf gesetzt worden. Zwar müssen Zustellungen in einem anhängigen sozialgerichtlichen Verfahren an den bestellten Prozeßbevollmächtigten bewirkt werden (§ 63 Abs 2 SGG iVm § 8 Abs 4 des Verwaltungszustellungsgesetzes -VwZG-). Das setzt jedoch voraus, daß im Zeitpunkt der Zustellung der Bevollmächtigte bereits als solcher bestellt gewesen ist. Für den Prozeßbevollmächtigten des Klägers trifft dies nicht zu. Ihm hat der Kläger im Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses vom 26. Januar 1983 noch keine Prozeßvollmacht erteilt. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts, zumindest wenn wie im vorliegenden Fall der Prozeßbeteiligte von seinem Recht der Wahl eines Rechtsanwaltes keinen Gebrauch gemacht hat (§ 73a Abs 1 Satz 2 SGG), im Verfahren der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 der Zivilprozeßordnung -ZPO-) ist nicht gleichbedeutend mit seiner Bevollmächtigung durch den Beteiligten. Vielmehr muß dieser den beigeordneten Rechtsanwalt mit seiner Vertretung noch beauftragen und ihm für sein Auftreten eine Vollmacht erteilen (vgl BGHZ 60, 255, 258). Die einmonatige Frist für die Nachholung der versäumten Rechtshandlung (§ 67 Abs 2 SGG) ist somit durch die Zustellung des Beschlusses vom 26. Januar 1983 an den Kläger selbst in Gang gesetzt worden. Diese Zustellung ist am 4. Februar 1983 erfolgt. Der Beschluß ist mittels eingeschriebenen Briefes am 1. Februar 1983 an den Kläger abgesandt worden. Er gilt damit als am 4. Februar 1983 zugestellt (§ 63 As 2 SGG iVm § 4 Abs 1 VwZG). Ausgehend hiervon hat der Eingang der Nichtzulassungsbeschwerde am 4. März 1983 die Monatsfrist gewahrt. Die Beschwerde ist zulässig.

Sie ist auch begründet. Der Kläger hat prozeßordnungsgemäß (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) und sachlich zutreffend eine Abweichung des Urteils des LSG von Entscheidungen des BSG geltend gemacht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG).

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit. Das LSG hat einen solchen Anspruch verneint. Es hat dahinstehen lassen, ob der Kläger als gelernter Kellner anzusehen und deswegen sein bisheriger Beruf der Gruppe der Versicherten mit dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen sei, weil er sich selbst im Falle einer solchen Zuordnung seines bisherigen Berufes auf die ihm nach seinem Leistungsvermögen noch möglichen Tätigkeiten eines Kassierers in einem Selbstbedienungsrestaurant oder in einem Restaurant mit Restaurantkassierer, eines Bon-Kontrolleurs oder des Nachtportiers eines mittleren Hotels verweisen lassen müsse. Mit dieser Entscheidung ist das LSG von den in der Beschwerdebegründung genannten Urteilen des BSG (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 29, 71, 75, 86, 90) abgewichen. Das gilt zunächst insoweit, als es hat dahinstehen lassen, ob der bisherige Beruf des Klägers der Gruppe der Arbeiterberufe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ua in den vom Kläger angeführten Urteilen ist bezüglich der Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig oder erwerbsunfähig ist, von seinem bisherigen Beruf auszugehen. Das gilt auch dann, wenn er diesen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben kann und damit eine Verweisung auf andere Tätigkeiten in Betracht kommt. In diesem Falle bestimmt der ua in der tariflichen Einstufung ausgedrückte qualitative Wert des bisherigen Berufes die Breite der zumutbaren Verweisung. Damit bedarf es der Feststellungen, welches der bisherige Beruf des Versicherten gewesen ist und welchen qualitativen Wert innerhalb der Arbeiterberufe er gehabt hat. Allerdings liegt darin, daß das LSG diese Fragen offen gelassen hat, nicht unbedingt eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG zu Lasten des Klägers.

Sie liegt aber darin, daß das LSG - unterstellt, der bisherige Beruf des Klägers sei der Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen - den Kläger als auf die Tätigkeiten eines Kassierers in einem Selbstbedienungsrestaurant oder in einem Restaurant mit Restaurantkassierer, eines Bon-Kontrolleurs oder des Nachtportiers eines mittleren Hotels verweisbar angesehen hat. Wiederum nach ständiger Rechtsprechung des BSG darf ein Versicherter mit dem bisherigen Beruf des Facharbeiters im allgemeinen lediglich auf angelernte Tätigkeiten und darüber hinaus auf ungelernte Tätigkeiten, die sich durch besondere Qualifikationsmerkmale deutlich aus dem Kreis der sonstigen einfachen Arbeiten herausheben, jedenfalls dann verwiesen werden, wenn sie wegen ihrer Qualität tariflich wie sonstige Ausbildungsberufe eingestuft sind und von daher ihre Gleichstellung mit der qualitativen Wertigkeit eines sonstigen Ausbildungsberufes gerechtfertigt ist (vgl zB Urteil des beschließenden Senats in BSG SozR 2200 § 1246 Nr 86 S 268 mwN). Damit erfordert die Verweisung eines zur Ausübung seines bisherigen Berufes nicht mehr fähigen Facharbeiters auf andere Tätigkeiten Feststellungen zum qualitativen Wert dieser Tätigkeiten und insoweit insbesondere zu ihrer tariflichen Einstufung. Derartige Feststellungen hat das LSG nicht getroffen. Jedenfalls damit ist es zum Nachteil des Klägers von der Rechtsprechung des BSG abgewichen.

Die Revision ist demnach zuzulassen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

 

Fundstellen

Breith. 1984, 168

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