Leitsatz (amtlich)
"Mutwillen" eines Beteiligten im Sinne des SGG § 192 setzt voraus, daß er die Erfolglosigkeit weiterer Prozeßführung kennt und entgegen seiner besseren Einsicht vor der weiteren Rechtsverfolgung nicht Abstand nimmt.
Leitsatz (redaktionell)
Die ausnahmsweise Überbürdung der Kosten auf einen Beteiligten, der grundsätzlich nicht zur Kostentragung verpflichtet wäre, setzt nach dem Zweck des SGG § 192 mehr voraus, als daß die Rechtsverfolgung objektiv aussichtslos ist und ein verständiger Beteiligter von der weiteren Prozeßführung absehen würde.
Von "Mutwillen" kann schon nach dem Wortsinn nur gesprochen werden, wenn der Beteiligte gegen seine bessere Einsicht handelt.
Der bloße Verdacht, daß der Beteiligte die Aussichtslosigkeit seiner Prozeßführung gekannt habe, reicht ebensowenig zur Annahme des Mutwillens aus wie der Schluß, daß auch er die entsprechende Einsicht gehabt haben müsse, weil die meisten in seiner Lage befindlichen Personen sich der Einsicht von der Erfolglosigkeit weiterer Prozeßführung nicht verschlossen hätten.
Normenkette
SGG § 192 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin hat die von ihr eingelegte Revision zurückgenommen. Die beklagte Krankenkasse hat beantragt, über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden (§ 156 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 165 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Sie ist der Auffassung, die Klägerin habe ihr "durch Mutwillen" (§ 192 SGG) Kosten - insbesondere die Entrichtung der Pauschgebühr nach § 184 SGG - verursacht; denn die Revision sei nach den Darlegungen des Landessozialgerichts (LSG) im angefochtenen Urteil von vornherein aussichtslos gewesen.
Der beklagten Krankenkasse ist darin recht zu geben, daß ein einsichtig handelnder Beteiligter die Revision nicht eingelegt hätte. Die Restitutionsklage, mit der die Klägerin die Aufhebung rechtskräftiger Entscheidungen des LSG und des Bundessozialgerichts anstrebte, war zu Recht vom LSG als unzulässig abgewiesen worden. Das lag für einen Rechtskundigen, aber auch für einen rechtlich weniger geschulten Beteiligten, sofern er überhaupt Vernunftgründen zugänglich war, nach der kurzen, klaren und überzeugenden Begründung des angefochtenen Urteils offen zutage. Indessen setzt die ausnahmsweise Überbürdung der Kosten auf einen Beteiligten, der grundsätzlich nicht zur Kostentragung verpflichtet wäre, nach dem Zweck des § 192 SGG mehr voraus, als daß die Rechtsverfolgung objektiv aussichtslos ist und ein verständiger Beteiligter von der weiteren Prozeßführung absehen würde. Von "Mutwillen" kann schon nach dem Wortsinn nur gesprochen werden, wenn der Beteiligte gegen seine bessere Einsicht handelt (Bay. LSG, Beschl. v. 13.1.1956 in BayABl . 1956 B 69; Peters/Sautter/Wolff, Komm. z. Sozialgerichtsbarkeit, 2. Aufl., Stand: Nov. 1960, § 192 Anm. 3; Brackmann, Handb. der Sozialvers., Stand: August 1960 S. 262 k f.). Der bloße Verdacht, daß der Beteiligte die Aussichtslosigkeit seiner Prozeßführung gekannt habe, reicht ebensowenig zur Annahme des Mutwillens aus wie der offenbar von der beklagten Krankenkasse gezogene Schluß, daß auch die Klägerin die entsprechende Einsicht gehabt haben müsse, weil die meisten in ihrer Lage befindlichen Personen sich der Einsicht von der Erfolglosigkeit weiterer Prozeßführung nicht verschlossen hätten.
Im vorliegenden Fall zeigt das Verhalten der Klägerin, daß sie nach ihrem Erkenntnisvermögen von sich aus zu einer verständigen Beurteilung ihrer Prozeßsituation nicht in der Lage war. Erst der sachkundige Rat ihres Prozeßbevollmächtigten, der nach Lage der Verhältnisse nicht früher erteilt werden konnte, machte ihr die Erfolglosigkeit weiterer Rechtsverfolgung klar. Sie hat sich daraufhin unverzüglich zur Rücknahme des Rechtsmittels entschlossen. Unter diesen Umständen ist ihr Prozeßverhalten nicht mutwillig i.S. des § 192 SGG. Demgemäß war davon abzusehen, ihr die der Beklagten entstandenen Kosten ganz oder teilweise aufzuerlegen und es war über die Kosten, wie geschehen, zu entscheiden (§ 193 Abs. 1 und 4 SGG).
Fundstellen