Leitsatz (amtlich)
1. 1. Das sozialgerichtliche Verfahren kennt keine Ausschließung eines Sachverständigen kraft Gesetzes.
2. Ein Sachverständiger kann aus denselben Gründen, die die Ausschließung eines Richters kraft Gesetzes bewirken oder seine Ablehnung rechtfertigen, abgelehnt werden. Die Ablehnung bedarf eines Ablehnungsgesuches durch einen der Beteiligten (Anschluß BSG 1958-05-31 2 RU 59/58 = SozR Nr 1 zu § 42 ZPO).
3. Liegt in der Person des Sachverständigen einer der Gründe vor, die den Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes und ohne daß ein Ablehnungsgesuch erforderlich ist, ausschließen (ZPO § 41, SGG § 118), so kann die Verwendung des Gutachtens eines solchen Sachverständigen als Urteilsgrundlage einen Verstoß gegen SGG § 128 darstellen.
Normenkette
SGG §§ 118, 128 Fassung: 1953-09-03; ZPO §§ 41, 406, 42
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 17. April 1956 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Da das Landessozialgericht (LSG.) sie nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird, der auch vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG. 1 S. 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG).
Eine Gesetzesverletzung im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG ist nicht gerügt.
Die Revision rügt, daß das Sozialgericht (SG.) Prof. Dr. H. zum Gutachter bestellt habe, obwohl dieser ständig Gutachten für den Beklagten erstattet habe. Diese Tatsache sei dem Kläger nicht bekannt gewesen. Sein Prozeßbevollmächtigter habe davon erst nach Erlaß des Berufungsurteils Kenntnis erhalten. Er habe daher nicht rechtzeitig die Ablehnung des Gutachters beantragen können (§ 406 Zivilprozeßordnung - ZPO -). Der in der Bestellung dieses Gutachters liegende Verfahrensmangel habe auch das Berufungsverfahren beeinflußt; denn das Urteil des LSG. beruhe wesentlich auf dem Gutachten des Prof. Dr. H.. Das Gericht habe § 106 SGG verletzt, weil es nicht darauf hingewiesen habe, daß Prof. Dr. H. als Gutachter nicht zugezogen werden dürfte.
Die Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels kann eine Revision nur statthaft machen, wenn er das Verfahren des Gerichts betrifft, dessen Urteil angefochten wird (vgl. BSG. vom 15.12.1955 in SozR. SGG § 162 Da 8 Nr. 40). Die Revision kann daher mit Erfolg nur einen wesentlichen Mangel im Verfahren des LSG. geltend machen. Ihr Vorbringen, Prof. Dr. H. hätte nicht als Gutachter bestellt werden dürfen, wendet sich zunächst gegen das Verfahren des SG. Dieses hat beschlossen, über die vom Kläger behaupteten Schädigungen ärztliche Gutachten einzuholen; die Auswahl der Gutachter wurde dem Vorsitzenden überlassen. Dieser hat Dr. Sch. mit der Erstattung eines ärztlichen Gutachtens beauftragt und ihm aufgegeben, zur Begutachtung des Augenleidens einen geeigneten Augenfacharzt zuzuziehen. Nachdem Dr. Sch. die Begutachtung auch durch einen Chirurgen für notwendig hielt, wurde ihm im Einverständnis mit dem Vorsitzenden Prof. Dr. H. benannt. Dr. Sch. hat dann die chirurgische Begutachtung durch Prof. Dr. H. in die Wege geleitet. Prof. Dr. H. hat dem SG. ein chirurgisches Fachgutachten erstattet. Prof. Dr. H. ist nach diesem Sachverhalt als Sachverständiger im Sinne der §§ 118 SGG, 402 ff. ZPO anzusehen.
Die ZPO, deren Vorschriften über die Beweisaufnahme nach § 118 SGG im sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden sind, kennt keine Ausschließung eines Sachverständigen kraft Gesetzes. Nach § 406 ZPO kann ein Sachverständiger allerdings aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Dabei können die Gründe, die nach § 41 ZPO den Richter kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausschließen, bei Sachverständigen neben der Besorgnis der Befangenheit als Ablehnungsgrund geltend gemacht werden (BSG. in SozR. ZPO § 42 Da 1 Nr. 1, ferner Baumbach, ZPO, 25. Aufl., 2 A zu § 406). Die Ablehnung des Sachverständigen muß aber stets von einer der Parteien vorgebracht werden. Das Ablehnungsgesuch ist bei dem Gericht, das den Sachverständigen ernannt hat, anzubringen (Baumbach a.a.O. 3 A). Das Gericht hat darüber durch besonderen Beschluß zu entscheiden. Dieser ist, wenn er die Ablehnung für unbegründet erklärt, nach § 406 Abs. 5 ZPO mit der sofortigen Beschwerde, nach § 172 SGG mit der Beschwerde, anfechtbar. Ein Angriff nach §§ 512, 548 ZPO ist wegen der besonders ausgestalteten Anfechtbarkeit nicht gestattet (vgl. Wieczorek, ZPO, C IV a 1 zu § 406; zum Verhältnis des § 548 ZPO zu § 177 SGG siehe BSG. 7 S. 240).
Der Kläger hat die Ablehnung des Sachverständigen Prof.Dr. H. nicht durch ein Ablehnungsgesuch bei dem nach § 118 SGG, § 406 Abs. 2 ZPO zuständigen SG. geltend gemacht. Das Vorbringen in der Revision kann nicht als Ablehnungsgesuch angesehen werden, weil das Revisionsgericht zu einer Entscheidung hierfür nicht zuständig ist. Ein Verfahren vor dem SG. über ein Ablehnungsgesuch hat überhaupt nicht stattgefunden. Ein wesentlicher Verfahrensmangel des LSG. durch Verletzung des § 406 ZPO kann daher nicht vorliegen. Es war vielmehr Sache der Beteiligten, Ablehnungsgründe bei dem zuständigen Gericht geltend zu machen, wenn sie gegen den Sachverständigen Einwände erheben wollten.
Das LSG. hat auch nicht, wie die Revision meint, gegen § 106 SGG verstoßen. Ein Formfehler, den das LSG. nach § 106 SGG hätte beseitigen müssen, lag nicht vor. Der Kläger war vor dem SG. durch den Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands e.V. und vor dem LSG. durch einen Rechtsanwalt vertreten. Es ist Sache des Prozeßbevollmächtigten, den Sachverhalt daraufhin zu prüfen, welche Verfahrenshandlungen im Interesse des Beteiligten vorzunehmen sind. § 106 SGG schreibt dem Gericht nicht generell vor, den Beteiligten oder ihren Prozeßbevollmächtigten diese Aufgabe abzunehmen. Das LSG. war daher nicht gehalten, den Kläger auf die Möglichkeit einer Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. H. - gegebenenfalls noch im zweiten Rechtszug - hinzuweisen. § 106 SGG ist sonach nicht verletzt.
Der Senat hat endlich auch geprüft, ob das LSG. durch Heranziehung des Gutachtens des Prof. Dr. H. die Grenzen seines Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten und damit § 128 SGG verletzt hat. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift könnte dann vorliegen, wenn der Tatsachenrichter seine Urteilsfindung entscheidend oder doch überwiegend auf das Gutachten eines Sachverständigen stützt, den die Parteien oder eine Partei bei Kenntnis des Ablehnungsgrundes mit Sicherheit von vornherein ablehnen würden, etwa deshalb, weil in der Person des Sachverständigen einer der Gründe vorliegt, die den Richter von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes und ohne daß ein Ablehnungsgesuch erforderlich ist, ausschließen (§ 41 ZPO: eigene Parteistellung, nahe Verwandtschaft, eheliche Verbindung u.ä.; vgl. ähnlich RGZ. 64 S. 429 (434), Wieczorek a.a.O., B II b 4 zu § 406 ZPO). Das Gutachten eines solchen Sachverständigen wäre möglicherweise von Anfang an als Beweismittel ungeeignet, seine Verwendung als Urteilsgrundlage trotz Kenntnis des Ablehnungsgrundes würde regelmäßig den gesetzlichen Rahmen einer zulässigen Beweiswürdigung überschreiten und damit gegen § 128 SGG verstoßen.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Abgesehen davon, daß ein im Vertragsverhältnis zur Versorgungsbehörde stehender Arzt keineswegs von allen Versorgungsberechtigten als befangen angesehen wird und sich viele Kläger nach der gerichtlichen Praxis gerade deshalb dem Gutachten eines solchen Arztes unterwerfen, weil sie seinen besonderen Fachkenntnissen und Erfahrungen in der Begutachtung Vertrauen entgegenbringen, ist der im Dienst einer Versorgungsbehörde stehende Arzt auf Grund seiner beruflichen Stellung verpflichtet, wie jeder andere Arzt sein Gutachten nach bestem ärztlichen Wissen und Gewissen und ohne Rücksicht auf die Interessen seines Arbeitgebers zu erstatten. Das Gutachten eines Versorgungsarztes kann daher keineswegs von vornherein und in jedem Fall als ungeeignete Beweisgrundlage für die richterliche Entscheidung in einem Versorgungsstreit angesehen werden (ebenso BSG. in SozR. SGG § 103 Da 6 Nr. 19). Das LSG. hat daher durch die Verwendung des Gutachtens des Prof. Dr. H. auch nicht gegen § 128 SGG verstoßen.
Die Revision ist somit nicht statthaft, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel des LSG. weder gerügt ist noch vorliegt. Sie war daher nach § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen