Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilaufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld. Rückforderung überzahlter Leistungen. Umrechnung von DM in Euro. Leistung über dem bisherigen Nettoeinkommen. Grobe Fahrlässigkeit des Leistungsempfängers. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Klärungsbedürftigkeit, Klärungsfähigkeit, Breitenwirkung. Anhörungsmitteilung. Nichtzulassungsbeschwerde. Zulassungsgrund. Verfahrensmangel. unzureichende Darlegung. Entscheidung ohne mündliche Verhandlung. Wirkung der erfolgten Anhörungsmitteilung bei Zuständigkeitswechsel. Meinungsbildung des Senats
Orientierungssatz
Mit der Behauptung, § 153 Abs 4 SGG sei dadurch verletzt, dass der entscheidende Senat des Berufungsgerichts nach einem Zuständigkeitswechsel sie nicht erneut zu der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung gehört habe, genügt die Klägerin nicht ihrer Darlegungspflicht. Sie hätte sich vielmehr damit auseinander setzen müssen, dass nach der Rechtsprechung des BSG (vgl vom 21.6.2001 - B 7 AL 94/00 R = SozR 3-1500 § 153 Nr 14) die Anhörung keine vorherige Meinungsbildung des Spruchkörpers über die Erfolgsaussicht der Berufung voraussetzt und eine Anhörungsmitteilung iS der Vorschrift auch dann zulässig ist, wenn sich das Berufungsgericht über seine Verfahrensweise noch nicht schlüssig geworden ist, es aber zweckmäßig und sachgerecht erscheint, die äußeren Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss zu beschaffen.
Normenkette
SGG § 160a Abs 2 S 3, § 160 Abs 2 Nr 3, § 153 Abs 4 S 1, § 153 Abs 4 S 2
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 24.07.2006; Aktenzeichen L 12 AL 476/04) |
SG Oldenburg (Urteil vom 29.10.2004; Aktenzeichen S 4 AL 143/03) |
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Teilaufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis 26. Dezember 2002 und die Rückforderung überzahlter Leistungen in Höhe von 2.311,02 €.
Die 1965 geborene Klägerin bezog ab 1. Januar 2002 Alg in Höhe von 112,91 € wöchentlich, bei dessen Bewilligung die Beklagte die Umrechnung von DM in Euro unterlassen hatte und deshalb von einem Bruttoarbeitsentgelt von 330,22 € wöchentlich statt von dem entsprechenden DM-Betrag ausgegangen ist. Die Beklagte hob die Alg-Bewilligung für den streitigen Zeitraum teilweise in Höhe von 44,94 € wöchentlich auf und verlangte die Erstattung von 2.311,02 €, weil die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Bewilligung grob fahrlässig nicht erkannt habe (Bescheid vom 22. Januar 2003; Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2003). Die Klage hatte weder beim Sozialgericht (SG) noch beim Landessozialgericht (LSG) Erfolg (Urteil des SG vom 29. Oktober 2004; Beschluss des LSG vom 24. Juli 2006). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin habe einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt und daher nicht beachtet, was ihr ohne weiteres hätte einleuchten müssen. Sie habe vor dem Alg-Bezug regelmäßig 1.288 DM brutto bzw 730 DM netto monatlich verdient, sodass ihr bereits bei einer überschlägigen Berechnung erkennbar gewesen sei, dass die Leistung über dem bisherigen Nettoeinkommen liege.
Mit der Beschwerde macht die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Sie trägt vor, die Frage, ob eine den Vertrauensschutz ausschließende grobe Fahrlässigkeit des Leistungsempfängers auch dann anzunehmen sei, wenn zutreffende und vollständige Angaben bei Antragstellung gemacht worden seien, die erforderliche Umrechnung der Angaben von DM in Euro von der Arbeitsverwaltung jedoch nicht vollzogen worden sei, sei von grundsätzlicher Bedeutung. Zwar sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) grobe Fahrlässigkeit im Revisionsverfahren nur bedingt nachprüfbar. Revisibel sei indes die Frage, ob das Berufungsgericht den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt habe. Letzteres dränge sich auf. Das Bayerische LSG habe in einem ähnlich gelagerten Fall eine grobe Fahrlässigkeit der dortigen Klägerin verneint. Im Interesse der Allgemeinheit sei daher eine höchstrichterliche Entscheidung zum Zwecke einheitlicher Rechtsprechung geboten. Die Beklagte habe nach Presseberichten etwa 800.000 Fälle im Auge. Im Übrigen habe das LSG mit seiner Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verfahrensfehlerhaft gehandelt. Zwar sei ihr die nach dem Gesetz erforderliche Mitteilung zugegangen, diese Mitteilung stamme jedoch noch vom 8. Senat. Der nach einer gerichtsinternen Umorganisation später zuständig gewordene erkennende 12. Senat hätte nach eigener Willensbildung erneut eine Mitteilung an die Klägerin abgeben müssen.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und des Verfahrensfehlers, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), nicht in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet sind (§ 160a Abs 2 S 3 SGG). Der Senat konnte deshalb ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss entscheiden (§ 160 Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG iVm § 169 SGG).
Die Nichtzulassungsbeschwerde genügt nicht den Anforderungen an die Begründungspflicht, soweit es die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache betrifft. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nämlich nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Kläger muss daher anhand des anwendbaren Rechts unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - ggf sogar des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese Rechtsfrage noch nicht geklärt ist, dass eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Einheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; SozR 1500 § 160a Nr 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin einer Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Ent-scheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen.
Vorliegend fehlt es bereits an der Formulierung einer über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage. Mit der Problematik ihres Verschuldens hat die Klägerin nämlich keine Rechtsfrage bezeichnet, sondern lediglich Tatfragen formuliert (vgl nur Hennig, SGG, § 160a Rz 222 mwN, Stand Juli 1999). Es fehlt damit bereits an einer schlüssigen Darlegung der Grundsätzlichkeit. Die Klägerin hätte aufzeigen müssen, dass das LSG den rechtlichen Fahrlässigkeitsmaßstab verkannt hat. Dies behauptet sie zwar; tatsächlich wirft sie dem LSG jedoch nur vor, im Ergebnis falsch entschieden zu haben. Hierauf kann indes eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
An der schlüssigen Darlegung fehlt es auch, soweit die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde einen Verstoß des LSG gegen § 153 Abs 4 SGG rügt. Die Erhebung der Verfahrensrüge setzt eine substantiierte Darlegung voraus (Hennig, aaO, Rz 308 mwN zur Rechtsprechung, Stand Februar 2002). Diese erfasst nicht nur die Würdigung des für den Senat erforderlichen Tatsachen, sondern auch die rechtliche Würdigung des prozessualen Vorgehens des LSG (Hennig, aaO, Rz 317, Stand Februar 2002). Die Klägerin hätte mithin, um ihre Bezeichnungspflicht zu genügen, nicht nur schlicht behaupten dürfen, § 153 Abs 4 SGG sei dadurch verletzt, dass der entscheidende Senat des LSG nach einem Zuständigkeitswechsel sie nicht erneut zu der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung gehört habe. Sie hätte sich vielmehr damit auseinander setzen müssen, dass nach der Rechtsprechung des BSG die Anhörung keine vorherige Meinungsbildung des Spruchkörpers über die Erfolgsaussicht der Berufung voraussetzt (BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 14) und eine Anhörungsmitteilung im Sinne der Vorschrift auch dann zulässig ist, wenn sich das Berufungsgericht über seine Verfahrensweise noch nicht schlüssig geworden ist, es aber zweckmäßig und sachgerecht erscheint, die äußeren Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss zu beschaffen (BSG aaO). Unter Zugrundelegung der Grundsätze dieser Entscheidung liegt es nämlich nicht ohne weiteres auf der Hand, dass bei einem Zuständigkeitswechsel des Senats die bereits erfolgte Anhörungsmitteilung des früheren Senats ihre Wirkung verliert. Dies gilt umso mehr, wenn der Kläger von einem Zuständigkeitswechsel nichts weiß oder ein Zuständigkeitswechsel nicht mit einem personellen Wechsel verbunden wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen