Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 01.04.1969) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 1. April 1969 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 3. Juni 1969 durch ihren damaligen Prozeßbevollmächtigten, den damaligen 1. Vorsitzenden des Christlichen Beschädigten Vereins e.V. (CBV), Berlin, Herrn R. der inzwischen die Vertretung niedergelegt hat, gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin (LSG) vom 1. April 1969 Revision eingelegt.
Der Senat muß die Revision als unzulässig verwerfen, weil sie nicht der gesetzlichen Form entspricht. Die Klägerin mußte die Revision durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten einlegen (§166 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–). Nach §166 Abs. 2 SGG sind als Prozeßbevollmächtigte – außer Rechtsanwälten – zugelassen die Mitglieder und Angestellten von Gewerkschaften, von selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, von Vereinigungen von Arbeitgebern und von Vereinigungen der Kriegsopfer, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozeßvertretung befugt sind. Zu diesen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten gehörte Herr R. nicht. Die ihm in der Satzung des CBV vom 31. März 1969 erteilte Ermächtigung zur Prozeßvertretung vor dem Bundessozialgericht (BSG) hat ihn nicht in den Kreis der zugelassenen Prozeßbevollmächtigten einreihen können, weil der CBV nicht zu den in §166 Abs. 2 SGG genannten Organisationen gehört.
Das hatte der Senat bereits in mehreren Beschlüssen im Laufe des Jahres 1968, u. a. im Beschluß vom 16. September 1968 (SozR Nr. 36 zu §166 SGG) auf Grund der damals gültigen Satzung des CBV entschieden. Inzwischen hat der CBV zwar seine Satzung am 31. März 1969 (erneut) geändert und bezeichnet sich nunmehr als Vereinigung von Arbeitnehmern mit sozialpolitischer Zwecksetzung. Die Satzungsänderung – nach deren Vollzug Herr R. wieder in zahlreichen Fällen für Mitglieder des CBV Revisionen zum BSG eingelegt hat – hat jedoch nicht bewirkt, daß der CBV seitdem als Organisation im Sinne des §166 Abs. 2 SGG angesehen werden kann.
Ob der CBV, wenn man die neue Satzung und außerdem die wirklich gegebenen Verhältnisse überprüft, nach der Zusammensetzung der Mitglieder und nach der Zwecksetzung des Vereins überhaupt als „Vereinigung von Arbeitnehmern mit sozialpolitischer Zwecksetzung” bezeichnet werden könnte, kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn man das bejaht – obwohl es nahe liegt anzunehmen, daß er sich im wesentlichen nur als „Rechtsschutzverein” betätigt – würde das allein nicht genügen. Denn §166 Abs. 2 SGG gilt nur für diejenigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, die auf Grund ihrer Mitgliederzahl und ihrer Finanzmittel die Gewähr dafür bieten, daß sie geeignete Prozeßbevollmächtigte für die Prozeßvertretung vor dem BSG bereitstellen können. Eine solche Gewähr ist beim CBV nicht gegeben. Nach den Ermittlungen des Senats hatte der 1965 gegründete CBV bei Einlegung der Revision (Juni 1969) nur 116 Mitglieder; als Einnahmen flossen ihm nur die Aufnahmegebühren von 10,– DM und monatliche Mitgliedsbeiträge von 3,– DM zu; nennenswertes Vermögen besaß er nicht (Kassenbestand 1969 rund 793,– DM).
Der Senat verkennt nicht, daß die von ihm vorgenommene einengende Auslegung sich nicht aus dem Wortlaut des §166 Abs. 2 SGG ergibt. Der Begriff der Vereinigung würde bereits durch einer formlosen, aber dauerhaften Zusammenschluß zweier Arbeitnehmer erfüllt. Die Vorstellung, daß eine solche Vereinigung, selbst eine von sieben Arbeitnehmern (entsprechend der Mindestmitgliederzahl des eingetragenen Vereins), den Rechtsanwälten gleichstehende Prozeßbevollmächtigte vor dem BSG sollte berufen können, zeigt jedoch schon eindringlich, daß der Begriff der Vereinigung von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung in §166 Abs. 2 SGG eingeschränkt worden muß. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß solche Arbeitnehmervereinigungen auch andere ihnen zuerkannte Rechte oft nur bei nennenswerter Verbandsstärke ausüben können; mit ihren Vorschlagslisten für die Berufung ehrenamtlicher Richter in der Sozialgerichtsbarkeit können sie nur bei einer gewissen
Verbandsstärke durchdringen (vgl. §§13, 14, 35, 45, 46 SGG); ihre Vorschlagslisten nach §7 Abs. 3 des Selbstverwaltungsgesetzes müssen z. B. bei einem Versicherungsträger mit mehr als 1 Million Versicherten von mindestens 1000 Wahlberechtigten unterzeichnet sein.
Für §166 Abs. 2 SGG ergibt sich die Begrenzung des Begriffs Vereinigung aus dem Sinn und Zweck des Vertretungszwanges. Das Gesetz hat den Vertretungszwang vor dem BSG im Interesse der Beteiligten und im Interesse des Revisionsgerichts vorgeschrieben (SozR Nr. 1, 14, 27, 49, 53 zu §164 SGG und Nr. 5, 18, 20 zu §166 SGG), Die Beteiligten sollen sich hier des Rates und der Hilfe rechtskundiger Personen bedienen, weil die Durchführung der Revisionsverfahren eingehende Kenntnisse des materiellen Rechts (auch außerhalb des Sozialrechts) sowie des Verfahrensrechts erfordert und weil das Revisionsverfahren zudem in besonderer Weise rechtsförmlich ausgestaltet ist. Die Prozeßbevollmächtigten sollen die Rechtslage genau durchdenken, bevor sie die Verantwortung für eine Revision übernehmen. Von der Durchführung aussichtsloser Revisionen sollten sie Abstand nehmen. Das zeigt, daß von den Prozeßbevollmächtigten vor dem BSG eingehende Kenntnisse im materiellen und prozessualen Recht verlangt werden müssen. Von Arbeitnehmervereinigungen mit geringer Mitgliederzahl ohne nennenswerte Finanzmittel kann nicht erwartet werden, daß sie geeignete Prozeßbevollmächtigte, d. h. Prozeßbevollmächtigte, die diese Anforderungen erfüllen, für das Verfahren vor dem BSG berufen können. Eine Zulassung ihrer Prozeßbevollmächtigten würde oft das Gegenteil des mit §166 SGG verfolgten Zweckes erreichen; die Beteiligten bedürfen aber dringend des Schutzes vor nicht genügend rechtskundigen Vertretern. Das Revisionsgericht würde durch abwegige Ausführungen und aussichtslose, oft unzulässige Revisionen belastet; seine Arbeit würde nicht unwesentlich erschwert.
Der Senat ist deshalb der Auffassung, daß Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung im Sinne des §166 Abs. 2 SGG grundsätzlich nur Vereinigungen sind, die mindestens 1000 Mitglieder haben. Bei einem monatlichen Beitrag von 3.– DM stünden dann z. B. einer solchen Vereinigung monatliche Mittel in Höhe von 3000,– DM zur Verfügung. Bedenkt man, daß die Vereinigungen regelmäßig noch andere sozial- oder berufspolitische Aufgaben zu erfüllen haben, daß es bei der Rechtsschutzgewährung für ihre Mitglieder mit der Bestellung von Prozeßbevollmächtigten allein nicht getan ist, daß vielmehr auch eine zugehörige Geschäftsstelle eingerichtet und außerdem Literatur beschafft werden muß, so ergibt sich, daß bei einer Mitgliederzahl unter 1000 Mitgliedern in der Regel eine Bestellung geeigneter, einigermaßen angemessen besoldeter Prozeßbevollmächtigter nicht mehr gesichert sein kann.
Bei dem CBV hat die Mitgliederzahl im Juni 1969 weit unter 1000 betragen. Nach den verfügbaren Finanzmitteln war nicht gewährleistet, daß er geeignete Prozeßbevollmächtigte für die Prozeßführung vor dem BSG berufen konnte. Diese Frage war unabhängig von der Person des hier berufenen Prozeßbevollmächtigten zu prüfen; sie läßt sich nur nach allgemeinen Gesichtspunkten beurteilen.
Da die Klägerin somit bei Einlegung der Revision nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten war, mußte ihre Revision als unzulässig verworfen werden.
Die Entscheidung über die Kosten erging nach §193 SGG.
Unterschriften
Dr. Haueisen, Dr. Schwarz, Dr. Buss
Fundstellen