Verfahrensgang
SG Koblenz (Entscheidung vom 20.03.2019; Aktenzeichen S 11 R 461/17) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 08.07.2020; Aktenzeichen L 4 R 118/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 8. Juli 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Mit Urteil vom 8.7.2020 hat das LSG Rheinland-Pfalz einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie auf Verfahrensmängel (Zulassungsgründe nach § 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG).
II
Die Beschwerde der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
1. Die Beschwerdebegründung vom 19.10.2020, ergänzt durch Schriftsatz vom 5.1.2021, genügt nicht den Anforderungen aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, soweit sich die Klägerin auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft.
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; vgl auch BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7; jüngst BSG Beschluss vom 22.9.2020 - B 13 R 45/20 B - juris RdNr 5).
Die Klägerin misst der Frage grundsätzliche Bedeutung zu,
"ob man auch ohne Schmerzmitteleinnahme als Berufsunfähig eingeordnet werden kann".
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin damit eine hinreichend konkrete Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl § 162 SGG) mit höherrangigem Recht aufgeworfen und in den folgenden Ausführungen den vom Revisionsgericht erwarteten klärenden Schritt ausreichend konkret dargelegt hat, oder ob sie vielmehr im Kern eine Frage zur Rechtsanwendung im Einzelfall gestellt hat. Jedenfalls hat sie - die Qualität als Rechtsfrage unterstellt - die Klärungsbedürftigkeit bzw Klärungsfähigkeit dieser Fragen nicht den nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG diesbezüglich geltenden Anforderungen genügend dargelegt.
Die Klägerin verfehlt die Anforderung an die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Frage - insbesondere im Hinblick auf deren Klärungsfähigkeit - schon deshalb, weil sie in der Beschwerdebegründung vom 19.10.2020 den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht genügend darstellt. Ihre Angaben dazu beschränken sich auf die Wiedergabe einzelner Sachverhaltselemente sowie teilweise neuen Tatsachenvortrag, der gerade noch erkennen lässt, dass die Beteiligten über einen Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen Erwerbsminderung streiten und die Klägerin insbesondere auch eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit begehrt. Jedoch enthält die Berufungsbegründung kaum Angaben zu den Feststellungen des LSG zu den gesundheitsbedingten Einschränkungen der Klägerin im Erwerbsleben und auch keine Angaben zu den Feststellungen des LSG bezüglich eines Berufsschutzes. Die Wiedergabe des der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts ist jedoch Mindestvoraussetzung für eine Entscheidung über eine Nichtzulassungsbeschwerde, weil es dem Revisionsgericht andernfalls unmöglich ist, sich - wie erforderlich - ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein aufgrund des Vortrags des Beschwerdeführers ein Bild über den Streitgegenstand und rechtliche wie tatsächliche Streitpunkte zu machen (BSG Beschluss vom 21.6.1999 - B 7 AL 228/98 B - juris RdNr 7 ff; BSG Beschluss vom 3.11.1999 - B 7 AL 152/99 B - juris RdNr 3; BSG Beschluss vom 29.8.2003 - B 8 KN 7/03 B - juris RdNr 4; BSG Beschluss vom 26.6.2006 - B 13 R 153/06 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 23.7.2007 - B 13/4 R 381/06 B - juris RdNr 7). Gerade der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung verlangt die Wiedergabe des streiterheblichen Sachverhalts, weil insbesondere die Klärungsfähigkeit einer aufgeworfenen Rechtsfrage ohne Umschreibung des Streitgegenstands und des Sachverhalts nicht beurteilt werden kann (BSG Beschluss vom 21.6.1999 - B 7 AL 228/98 B - juris RdNr 10 f mwN; BSG Beschluss vom 23.7.2007 - B 13/4 R 381/06 B - juris RdNr 8).
Darüber hinaus hat die Klägerin auch die Klärungsbedürftigkeit der formulierten Frage nicht formgerecht dargelegt. Diese zielt auf die Voraussetzungen für die Feststellung einer rentenrelevanten Erwerbsminderung. Die Voraussetzungen, unter denen eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung beansprucht werden kann, ergeben sich unmittelbar aus §§ 43, 240 SGB VI und sind durch die umfängliche Rechtsprechung des BSG hierzu konkretisiert (vgl zuletzt BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R - BSGE 129, 274 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22). Insofern hätte es der Klägerin oblegen, in der Beschwerdebegründung herauszuarbeiten, dass sich die von ihr formulierte Frage nicht bereits aufgrund dieser Rechtsprechung beantworten lässt. Denn eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als bereits höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch dann anzusehen, wenn das Revisionsgericht bzw das BVerfG diese zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (vgl BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG Beschluss vom 8.2.2017 - B 13 R 294/16 B - juris RdNr 4). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliege oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet sei (Krasney/Udsching/Groth, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 183 mwN). Hieran fehlt es in der Beschwerdebegründung der Klägerin.
2. Die Beschwerdebegründung genügt zudem nicht den Anforderungen an die Bezeichnung eines Verfahrensmangels (Revisionszulassungsgrund des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Zur Bezeichnung eines Verfahrensmangels müssen die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 20.2.2018 - B 10 LW 3/17 B - juris RdNr 4). Zu beachten ist, dass ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG gestützt werden kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 2 SGG) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 3 SGG). Zudem kann ein - wie hier - in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 18c mwN). Wird ein Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung entschieden, tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 SGG(BSG Beschluss vom 1.9.1999 - B 9 V 42/99 B - SozR 3-1500 § 124 Nr 3 S 4 f; BSG Beschluss vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - juris RdNr 10) .
Vorliegend hat die Klägerin den mit der Beschwerdebegründung ausdrücklich gerügten Verfahrensmangel wegen Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) nicht formgerecht bezeichnet. Sie hat - entgegen den vorstehend dargestellten Anforderungen - mit der Beschwerdebegründung keinen formgerechten und zum Zeitpunkt der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung aufrechterhaltenen Beweisantrag benannt, den das LSG übergangen hätte. Vielmehr legt sie lediglich dar, warum sich das LSG zur Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens hätte gedrängt fühlen und eine ggf erfolgende Begutachtung durch die Bundesagentur für Arbeit hätte abwarten müssen.
Soweit die Klägerin mit der Beschwerdebegründung geltend macht, das LSG habe sich zu Unrecht auf die fehlende Einnahme von Schmerzmitteln gestützt und sie sei entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht in der Lage, eine Tätigkeit als Pförtnerin auszuüben, wendet sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) durch das LSG. Jedoch kann - wie bereits dargestellt - die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nicht auf eine vermeintlich fehlerhafte Beweiswürdigung gestützt werden, was § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ausdrücklich klarstellt. Dass die Klägerin das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14476508 |