Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit. Satzungsbestimmung der KÄV. Disziplinarmaßnahme. wirtschaftliche Behandlungsweise
Orientierungssatz
1. Zur Verfassungsmäßigkeit einer Satzungsbestimmung der Kassenärztlichen Vereinigung, welche die Befugnis zu Disziplinarmaßnahmen gegenüber ihren Mitgliedern regelt, die ihre kassenärztlichen Pflichten nicht erfüllen.
2. Die Pflicht zur wirtschaftlichen Behandlungsweise enthält nicht das Gebot, den Fachgruppendurchschnitt einzuhalten. Dessen Überschreitung ist nur ein Hinweis darauf, daß der Arzt vermutlich diese Pflicht verletzt hat.
Normenkette
RVO § 368m Abs 4; GG Art 12 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 14 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; RVO § 368e
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 15.12.1988; Aktenzeichen L 5 Ka 6/88) |
Gründe
Der Kläger begehrt Aufhebung eines Disziplinarbescheides, mit dem ihm eine Geldbuße von 5.000,-- DM auferlegt worden ist. Mit seiner Klage und der Berufung hatte er keinen Erfolg. Er macht mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung wegen der Rechtsfrage, ob § 3 Abs 8 der Satzung der Beklagten verfassungswidrig sei. Die Bestimmung habe im wesentlichen den gleichen Wortlaut wie § 368m Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Sie verstoße gegen Art 1 Abs 1, 2 Abs 1, 12 Abs 1 und 14 Abs 1 sowie gegen Art 103 Abs 2 des Grundgesetzes (GG).
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Zur grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache gehört es, daß sie eine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufwirft. Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die Antwort auf die Frage praktisch außer Zweifel steht (BSGE 40, 40; BSG SozR 1500 § 151 SGG Nr 10). Hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der streitigen Satzungsbestimmung ist dies der Fall.
Im wesentlichen ergibt sich die Klärung der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Die Satzungsbestimmung, die nach den Angaben des Klägers im wesentlichen mit § 368m Abs 4 RVO übereinstimmt, regelt die Befugnis zu Disziplinarmaßnahmen gegenüber Mitgliedern der Beklagten, die ihre kassenärztlichen Pflichten nicht erfüllen, insbesondere gegen die für sie verbindlichen vertraglichen Bestimmungen und Richtlinien verstoßen. Nach ihrem Inhalt steht die Vorschrift in engem Zusammenhang mit der Bestimmung des § 368a Abs 6 RVO idF vor dem 1. Januar 1989 (vgl § 81 Abs 5 des Sozialgesetzbuches/Gesetzliche Krankenversicherung -SGB V-). Ebenso wie die Disziplinarmaßnahme bezweckt auch die Entziehung der Kassenzulassung die auf die Gegenwart und Zukunft gerichtete Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung; die vorherige Verhängung einer Disziplinarmaßnahme kann Voraussetzung für die Entziehung der Zulassung sein; von diesem schwersten Eingriff in den Kassenarztstatus darf erst Gebrauch gemacht werden, wenn nicht mehr zu erwarten ist, daß der Arzt durch Disziplinarmaßnahmen zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner kassenärztlichen Pflichten angehalten werden kann (Urteil des Senats vom 3. September 1987 - 6 RKa 30/86 = BSGE 62, 127). Voraussetzung für die Entziehung ist nach § 368a Abs 6 RVO die gröbliche Verletzung kassenärztlicher Pflichten. Damit liegt der gesetzlichen Regelung der Disziplinarbefugnisse derselbe unbestimmte Rechtsbegriff zugrunde wie derjenigen der Entziehung der Zulassung. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat die Bestimmung des § 368a Abs 6 RVO jedenfalls dann nicht beanstandet, wenn sie einschränkend dahin ausgelegt wird, daß der Arzt wegen der begangenen Pflichtwidrigkeiten für eine Beteiligung an der kassenärztlichen Versorgung ungeeignet ist und daß mildere Maßnahmen nicht ausreichen (BVerfG in SozR 2200 § 368a RVO Nr 6). Von dieser einschränkenden Auslegung des § 368 Abs 6 RVO werden die vom Kläger erhobenen Beanstandungen nicht berührt.
Die Bestimmung des § 368m Abs 4 RVO unterscheidet sich von § 368a Abs 6 RVO hinsichtlich der Rechtsfolge. Zum einen enthält § 368m Abs 4 RVO eine Ermächtigung für den Satzungsgeber, zum anderen wird die Befugnis zu unterschiedlichen Disziplinarmaßnahmen eingeräumt. Die Verfassungsmäßigkeit des § 368m Abs 4 RVO und der im wesentlichen gleichlautenden Satzungsbestimmung ist auch hinsichtlich dieser Unterschiede zu dem vom BVerfG geklärten Fall keine klärungsbedürftige Rechtsfrage. Wenn es im Gesetz keiner näheren Bestimmung der kassenärztlichen Pflichten bedarf, so gilt dasselbe auch für die Satzung. In der Entscheidung vom 3. September 1987 (aaO) ist der Senat von der Verfassungsmäßigkeit einer Satzungsbestimmung ausgegangen, die ebenfalls im wesentlichen die Generalklausel des § 368m Abs 4 RVO wiederholt hat. Er hat ausgeführt, zwar bestehe bei der Auswahl der Disziplinarmaßnahmen ein Ermessensspielraum des Disziplinarausschusses; der Spielraum sei aber erheblich verengt und die Entscheidung einer weitgehenden gerichtlichen Nachprüfung zugänglich. Im Hinblick auf diese Auslegung können keine ernsthaften Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der streitigen Regelungen bestehen.
Der Kläger rügt, § 3 Abs 8 der Satzung genüge nicht dem Gebot, daß alle staatliche Gewalt voraussehbar, vorausberechenbar und meßbar sein müsse. Der für die Bewertung der Wirtschaftlichkeit maßgebliche Fachgruppendurchschnitt könne erst ermittelt werden, wenn die Quartalsabrechnungen aller Fachgruppenärzte vorlägen; für den Arzt sei nicht vorhersehbar, wo der Fachgruppendurchschnitt liegen werde. Damit verkennt der Kläger aber die Pflicht zur wirtschaftlichen Behandlungsweise. Das Gebot ist nicht, den Fachgruppendurchschnitt einzuhalten. Dessen Überschreitung ist nur ein Hinweis darauf, daß der Arzt vermutlich die Pflicht verletzt hat.
Zu der weiter aufgeworfenen Rechtsfrage, "ob das Sozialgericht in seiner Entscheidung die betreffenden Quartale ausdrücklich aufführen muß", hat der Kläger die Entscheidungserheblichkeit nicht dargelegt; warum der Senat bei Zulassung der Revision über die Anforderungen an das Urteil des SG zu entscheiden haben soll, ist nicht ersichtlich. Es hätte auch der besonderen Begründung bedurft, warum es insoweit überhaupt auf die gerichtliche Entscheidung und nicht auf den Disziplinarbescheid ankommen soll.
Die Frage, ob die Ausschlußfrist des § 11 Abs 5 der Satzung der Beklagten zwingend ist, betrifft Landesrecht. Eine Verletzung von Bundesrecht, auf die die Revision allein gestützt werden könnte, ist nicht dargelegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen