Verfahrensgang
Thüringer LSG (Urteil vom 22.02.2017; Aktenzeichen L 8 SO 321/15) |
SG Nordhausen (Entscheidung vom 17.11.2014; Aktenzeichen S 15 SO 2306/09) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin, ihr zur Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 22. Februar 2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
I
Im Streit ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) für die Zeit von August 2002 bis Oktober 2004 und die Erstattung in Höhe von (noch) 9246,99 Euro.
Die Klägerin bezog ab 26.8.2002 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG. Wegen doppelten Bezugs von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen hob der Beklagte die Bewilligung der Hilfe zum Lebensunterhalt ab August 2002 bis Oktober 2003 teilweise auf und bewilligte infolge einer aufgelösten Unfallversicherung ab November 2003 geringere Leistungen (Bescheide vom 4.11.2003; Widerspruchsbescheide vom 8.5.2009). Wegen fehlender Mitwirkung stellte der Beklagte die Leistungen später ein, hob die Bewilligung für März und April 2004 auf und lehnte einen Antrag auf Bekleidungsbeihilfe ab (Bescheide vom 20.2.2004, 22.4.2004 und 16.11.2004; Widerspruchsbescheide vom 8.5.2009). Nachdem der Beklagte erfuhr, dass die Klägerin zwei Grundstücke erworben hatte, erstattete er Strafanzeige gegen sie, die in eine Verurteilung wegen Sozialhilfebetrugs durch das Amtsgericht Nordhausen mündete (Urteil vom 23.5.2007). Der Beklagte hob die Leistungsbewilligung danach mit Wirkung für die Vergangenheit für die Zeit vom 26.8.2002 bis 31.10.2004 vollumfänglich auf und forderte die Erstattung erbrachter Leistungen in Höhe von 13 545,69 Euro (Bescheid vom 12.10.2007; Widerspruchsbescheide vom 19.5.2009).
Die Klagen gegen alle Bescheide sind erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts ≪SG≫ Nordhausen vom 17.11.2014). Das Landessozialgericht (LSG) Thüringen hat nach Verbindung der Verfahren die Urteile des SG sowie die angefochtenen Bescheide teilweise aufgehoben, im Übrigen jedoch die Berufungen der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 22.2.2017). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt: Die Klagen gegen die Bescheide vom 20.2. und 22.4.2004 seien mangels Beschwer unzulässig. Die teilweise Aufhebung der von August 2002 bis Oktober 2003 bewilligten Leistungen und die von der Klägerin geforderte Erstattung seien rechtmäßig, denn der Klägerin seien laufend Aufwendungen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung von ihrem Dienstherrn erstattet worden. Auch der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 12.10.2007 sei rechtmäßig, soweit Leistungen im Umfang von 9246,99 Euro aufgehoben und in dieser Höhe zurückgefordert worden seien, weil der Klägerin Einkommen in Form von Gutschriften auf ihren Konten zugeflossen sei. Die Klägerin habe nicht belegen können, dass es sich dabei lediglich um Darlehen gehandelt habe. Möglichkeiten einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts im Wege der Amtsermittlung hätten dem Senat nicht zur Verfügung gestanden. Auch ein Anspruch auf Bekleidungsbeihilfe habe daher nicht bestanden.
Mit Schreiben vom 22.3.2017 hat die Antragstellerin Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG beantragt.
II
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist nicht begründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫ iVm § 114 Zivilprozessordnung ≪ZPO≫). Hinreichende Aussicht auf Erfolg wäre nur zu bejahen, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe durch einen zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Hieran fehlt es.
Der Rechtssache kommt nach Aktenlage keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG); sie wirft keine Rechtsfrage auf, die - über den konkreten Einzelfall der Klägerin hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Insbesondere ist mittlerweile vom Senat geklärt, dass Kontogutschriften als verfügbare Mittel in der Sozialhilfe auch dann zur Verfügung stehen, wenn sich das Konto im Soll befindet und es dem Kontoinhaber weiterhin möglich ist, Geld abzuheben (Bundessozialgericht ≪BSG≫, Urteil vom 12.5.2017 - B 8 SO 23/15 R). Ein darüber hinausgehender Klärungsbedarf ist nicht erkennbar. Dies gilt auch für die Frage, wer im Zusammenhang mit der Rücknahme von begünstigenden Verwaltungsakten die materielle Beweislast trägt (dazu unten). Die von der Klägerin im Übrigen gegen die Entscheidung des LSG erhobenen Einwände betreffen die Richtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, die nicht Gegenstand der Beschwerde sein kann.
Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von Rechtsprechung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder dass die Klägerin einen Verfahrensfehler des LSG dartun könnte, auf dem die Entscheidung des LSG beruhen kann (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Der Anspruch auf ein faires Verfahren (Art 2 Abs 1 Grundgesetz iVm dem Rechtsstaatsprinzip) ist nicht verletzt; anders als von der Klägerin vorgetragen, entsprach die Entscheidung des LSG, ihren Prozessbevollmächtigten nicht von der Beiordnung zu entbinden, ihrem ausdrücklichen Willen und erscheint auch in der Sache zutreffend. Anhaltspunkte für eine Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) liegen ebenfalls nicht vor. Es fehlt insbesondere nicht an einem wirksamen Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) zum Zeitpunkt des Urteilserlasses durch das LSG. Nachdem der Prozessbevollmächtigte erklärt hatte, eine solche Entscheidung für die Klägerin nicht treffen zu können, hat diese selbst ihr Einverständnis dazu ausdrücklich erklärt. Die erneute Einholung eines Einverständnisses war nach der Entscheidung des LSG über die Ablehnung der Entbindung des Prozessbevollmächtigten nicht erforderlich (vgl zu den insoweit maßgeblichen Maßstäben BSG SozR 3-1500 § 124 Nr 4); im Übrigen hatte das LSG dem Prozessbevollmächtigten wie der Klägerin selbst nochmals Gelegenheit gegeben, vor einer für einen konkreten Termin angekündigten Entscheidung erneut Stellung zu nehmen. Soweit die Klägerin schließlich vorträgt, Darlehen seien zu Unrecht als Einkommen zugrunde gelegt worden, macht sie eine fehlerhafte Beweiswürdigung geltend, auf die nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG iVm § 128 Abs 1 Satz 1 SGG eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann. Soweit das LSG der Klägerin ggf fehlerhaft die Beweislast für ihre Hilfebedürftigkeit auferlegt hat, liegt kein Verfahrensmangel vor. Die Frage, wer im Einzelfall die materielle Beweislast (Feststellungslast) zu tragen hat, ist nach materiellem Recht zu beantworten; die fehlerhafte Anwendung der Regeln über die Feststellungslast kann deshalb nicht als Verfahrensmangel gerügt werden (Bundesverwaltungsgericht ≪BVerwG≫, Beschluss vom 12.12.1972 - III CB 27.72 - Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr 47). Insoweit stellt sich auch keine Frage grundsätzlicher Bedeutung, weil bereits geklärt ist, dass in Verfahren auf Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte grundsätzlich die Behörde die Feststellungslast für die Fehlerhaftigkeit des von ihr zurückgenommenen Bescheides trägt (BSG SozR 4100 § 132 Nr 1 S 11); eine schutzwürdige Rechtsposition des Begünstigten, die diese Beweislastregelung rechtfertigt, ist jedoch nicht gegeben, wenn sich nach Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten ergibt, dass der Sphäre des Begünstigten zuzuordnende Vorgänge nicht aufklärbar sind (BSGE 96, 238 = SozR 4-4220 § 6 Nr 4, RdNr 32 f) oder im Rahmen des Rücknahmeverfahrens Tatsachen bewiesen werden, die der Begünstigte verschwiegen hatte und die seinem Anspruch entgegengestanden hätten (BVerwG, aaO).
Da der Klägerin keine PKH zusteht, kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 ZPO nicht in Betracht.
Fundstellen
Dokument-Index HI11205290 |