Verfahrensgang
SG Heilbronn (Entscheidung vom 20.08.2020; Aktenzeichen S 14 KR 2723/19) |
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.02.2022; Aktenzeichen L 11 KR 2994/20) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Februar 2022 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen der medizinischen Rehabilitation.
Der Kläger zu 1) ist Vater des Klägers zu 2) (geb 18.9.2002) und der Klägerin zu 3) (geb 22.9.2005). Die Kläger sind bei der Beklagten krankenversichert.
Die Beklagte gewährte den Klägern in den Jahren 2010, 2013, 2015 und 2017 stationäre Vorsorgeleistungen in der Inselklinik Sylt. Am 21.8.2018 beantragte der Kläger zu 1) für sich und die Kläger zu 2) und zu 3) erneut eine Vater-Kind-Maßnahme bzw eine stationäre Vorsorgeleistung in der Inselklinik Sylt für die Pfingstferien 2019. Nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) lehnte die Beklagte diese Anträge ab (Bescheid vom 6.9.2018). Nachdem der Kläger zu 1) die Widerspruchsfrist versäumt hatte, beantragte er die begehrten Maßnahmen am 11.1.2019 erneut. Die Beklagte lehnte den Antrag nach erneuter Einschaltung des MDK ab (Bescheide vom 6.2.2019 und - bezüglich des Klägers zu 2) - vom 3.4.2019, Widerspruchsbescheide vom 23.7.2019).
Das SG hat die Klage nach schriftlicher Vernehmung des behandelnden Arztes Dr. Hörter als sachverständigen Zeugen abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 20.8.2020). Das LSG hat die Berufung nach erneuter schriftlicher Befragung des Dr. Hörter zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch der Kläger auf eine stationäre Vater-Kind-Maßnahme nach § 24 SGB V, auf eine Vorsorgemaßnahme nach § 23 SGB V oder auf eine stationäre Maßnahme der medizinischen Rehabilitation für Väter nach § 41 SGB V. Originäre Ansprüche der Kläger zu 2) und 3) auf Grundlage des § 24 SGB V schieden schon aus, weil der Anspruch nur dem gesetzlich krankenversicherten Elternteil zustehe. Auch der Kläger zu 1) habe keinen Anspruch auf eine stationäre Vater-Kind-Maßnahme. Hinsichtlich des Klägers zu 2) scheide dies aus, weil dieser volljährig sei und nicht mehr der elterlichen Sorge des Klägers zu 1) unterliege. Hinsichtlich der Klägerin zu 3) sei weder vorgetragen noch im Hinblick auf deren Alter ersichtlich, dass Gesundheitsbelastungen in der Vater-Kind-Beziehung bestünden oder eine Vorsorgemaßnahme ohne Begleitung durch die Klägerin zu 3) nicht zumutbar durchzuführen sei. Im Übrigen seien die begehrten Leistungen aus medizinischen Gründen nicht erforderlich. Vorsorgeleistungen nach § 24 SGB V zielten auf gesundheitliche Belastungen, die in wesentlicher Hinsicht aus der Stellung des Versicherten als Vater eines oder mehrerer Kinder resultierten. Solche Belastungen seien mit Blick auf das Alter der Kläger zu 2) und 3) weder typisierend zu erwarten noch vorgetragen. Schließlich könne das Versorgungsziel mit ambulanten Maßnahmen erreicht werden. Die Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 41 Abs 1 Satz 1 SGB V lägen nicht vor. Eine stationäre Maßnahme der medizinischen Rehabilitation für Väter in einer spezifischen Einrichtung iS des § 111a SGB V sei jedenfalls aus medizinischen Gründen nicht notwendig und erforderlich. Den Erkrankungen fehle es erkennbar an einem Zusammenhang mit elternspezifischen Belastungen. Auch reiche eine ambulante Krankenbehandlung aus. Ein Anspruch auf eine stationäre medizinische Vorsorgeleistung nach § 23 SGB V scheitere ebenfalls daran, dass die ambulanten Möglichkeiten bei Weitem nicht ausgeschöpft seien (Urteil vom 22.2.2022).
Die Kläger wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II. Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensmangels.
1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN; BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Daran fehlt es.
a) Wer sich - wie hier die Kläger - auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss ua einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, aufgrund derer bestimmte Tatsachen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen und die von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände darlegen, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten (stRspr; vgl zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 7/19 B - juris RdNr 11; BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Dazu muss bei einem anwaltlich oder ähnlich rechtskundig vertretenen Beteiligten aufgezeigt werden, dass er zu Protokoll einen formellen Beweisantrag iS von §§ 373, 404 ZPO iVm § 118 SGG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt oder noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt. Der Tatsacheninstanz soll durch einen Beweisantrag vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (stRspr; vgl BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 7/19 B - juris RdNr 11; BSG vom 24.11.1988 - 9 BV 39/88 - SozR 1500 § 160 Nr 67 S 73 f = juris RdNr 4; BSG vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Das Berufungsgericht ist einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung dann nicht gefolgt, wenn es objektiv im Rahmen der Amtsermittlungspflicht zu weiterer Sachaufklärung gehalten war, wenn es sich also von seinem Rechtsstandpunkt aus zur beantragten Beweiserhebung hätte gedrängt fühlen müssen (stRspr; vgl nur BSG vom 18.6.2020 - B 3 KR 19/19 B - juris RdNr 7; BSG vom 2.3.2010 - B 5 R 208/09 B - juris RdNr 5; BSG vom 7.4.2011 - B 9 VG 16/10 B - juris RdNr 14).
b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Kläger rügen, das LSG habe ihren (Hilfs-)Beweisanträgen auf persönliche Anhörung des sachverständigen Zeugen Dr. Hörter und der Einholung eines externen Gutachtens zum Streitgegenstand nicht entsprochen.
Die nach dem Vorbringen der Kläger in ihrem Protokollberichtigungsantrag vom 31.5.2022 in der mündlichen Verhandlung am 22.2.2022 gestellten Beweisanträge erfüllen bereits die Voraussetzungen an einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag nicht (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 373, 403 ZPO). Merkmal eines substantiierten Beweisantrags ist eine bestimmte Tatsachenbehauptung und die Angabe des Beweismittels für diese Tatsache (vgl zB BSG vom 9.7.2015 - B 9 SB 19/15 B - juris RdNr 12; BSG vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN). Dafür ist die behauptete Tatsache möglichst präzise und bestimmt zu behaupten und zumindest hypothetisch zu umreißen, was die Beweisaufnahme ergeben hätte. Nur dies versetzt die Vorinstanz in die Lage, die Entscheidungserheblichkeit des Antrags zu prüfen und gegebenenfalls seine Ablehnung iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ausreichend zu begründen (Karmanski in Roos/Wahrendorf/Müller, BeckOGK SGG, Stand 1.8.2023, § 160a RdNr 105 mwN). Unbestimmte bzw unsubstantiierte Beweisanträge brauchen dem Gericht dagegen keine Beweisaufnahme nahezulegen (vgl BSG vom 19.11.2009 - B 13 R 303/09 B - juris RdNr 12). Die Kläger haben hier nach ihren Angaben im Protokollberichtigungsantrag vom 31.5.2022 nur beantragt, "den sachverständigen Zeugen Dr. Hörter persönlich durch das Gericht zum Streitgegenstand anzuhören" sowie "ein externes Gutachten zum Streitgegenstand einzuholen". Um in der aktuellen Prozesssituation ein Beweisthema für das LSG hinreichend genau zu bezeichnen, hätten die Kläger substantiiert und präzise in ihrem Antrag angeben müssen, welche konkreten entscheidungserheblichen Punkte durch die beantragte Beweiserhebung hätten geklärt werden sollen. Der von den Klägern dargelegte Antrag enthält keine Angabe konkreter Sachverhalte, die zu ermitteln sind, um bestimmte konkrete Behauptungen zu belegen.
c) Auch eine Verletzung der in § 117 SGG geregelten Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme durch die lediglich schriftliche Anhörung des Dr. Hörter als sachverständiger Zeuge ist nicht dargetan. Als Ausnahme von der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung sieht die Prozessordnung schriftliche Zeugenvernehmungen vor (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 377 Abs 3 ZPO). Die Würdigung solcher schriftlich vorliegenden Beweismittel durch das erkennende Gericht in der mündlichen Verhandlung verstößt nicht gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (vgl BSG vom 7.8.2015 - B 13 R 172/15 B - juris RdNr 16; BSG vom 21.8.2017 - B 9 V 13/17 B - juris RdNr 9). Es sind keine Gründe vorgetragen, aus denen das LSG unter Beachtung pflichtgemäßen Ermessens im Hinblick auf den Inhalt der Beweisfragen und die Person des Zeugen gehalten gewesen wäre, eine unmittelbare Vernehmung des Zeugen in mündlicher Verhandlung vorzunehmen. Hinreichend konkrete Anträge der Kläger, die auf eine unmittelbare Vernehmung gerichtet waren, trägt die Beschwerde nicht vor.
d) Soweit die Kläger der Sache nach eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör in seiner Ausprägung als Fragerecht nach durchgeführter Beweisaufnahme mittels schriftlicher Zeugenbefragung (§ 116 Satz 2 SGG, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 414, 397 ZPO) rügen (vgl BSG vom 7.8.2015 - B 13 R 172/15 B - juris RdNr 16), genügt ihr Vorbringen auch insoweit nicht den Darlegungsanforderungen. Das Beschwerdevorbringen legt nicht dar, warum die vom Gesetz ausdrücklich eröffnete Möglichkeit der schriftlichen Beantwortung der Beweisfragen nicht ausreichend gewesen sein soll (vgl hierzu LAG Berlin-Brandenburg vom 5.4.2017 - 15 Ta 1522/16 - juris RdNr 42 ff mwN). Die Kläger zeigen insbesondere nicht auf, welche bislang nicht bekannten Tatsachen der Zeuge bei einer Befragung in der mündlichen Verhandlung bekundet hätte, weshalb hierfür seine schriftliche Befragung mit von den Klägern zu stellenden Fragen nicht ausgereicht hätte und inwiefern die Entscheidung des LSG deshalb auf dessen unterbliebener Befragung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 Teilsatz 1 SGG).
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. |
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Schlegel |
Estelmann |
Geiger |
Fundstellen
Dokument-Index HI16129383 |