Leitsatz (amtlich)

1. Rechtsbeistände und Prozeßagenten gehören nicht zu den nach SGG § 166 Abs 2 vor dem BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten.

2. Die Vorschrift des SGG § 166 über den Vertretungszwang vor dem BSG verstößt nicht gegen das Grundgesetz (Art 3, 12, 19 Abs 4).

 

Normenkette

SGG § 166 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 19 Abs. 4 Fassung: 1968-06-18, Art. 12 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1968-06-18

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Oktober 1970 wird als unzulässig verworfen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger begehrt von der Beklagten Beihilfe nach den Richtlinien für die Gewährung von Beihilfen zur beruflichen Fortbildung (Individuelles Förderungsprogramm) vom 6. September 1965 (Bundesanzeiger Nr. 170 vom 10. September 1965).

Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 28. Oktober 1970 die Berufung des Klägers gegen das den ablehnenden Bescheid des Arbeitsamtes R bestätigende Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 20. Januar 1970 zurückgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, daß dem Kläger keine Beihilfe für die Teilnahme an dem Lehrgang zustehe, den er an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie D während seines bei der Stadt R bestehenden Beamtenverhältnisses besucht hat.

Der Kläger, der jetzt Rechtsbeistand und Prozeßagent ist, hat gegen das Urteil des LSG mit einem von ihm unterzeichneten Schriftsatz vom 8. Dezember 1970, der am 10. Dezember 1970 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen ist, die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und meint, daß der den Vertretungszwang vor dem BSG festlegende § 166 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ihn nicht hindere, das Rechtsmittel selbst einzulegen. Er hält diese Vorschrift für verfassungswidrig, weil sie Art. 3, 12, 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) verletze; es sei kein sachlicher Grund dafür gegeben, Rechtsbeistände und Prozeßagenten von der Prozeßvertretung vor dem BSG auszuschließen.

II

Die Revision ist nicht statthaft.

Nach § 166 Abs. 1 SGG müssen sich die Beteiligten, soweit es sich nicht um Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechts oder Anstalten des öffentlichen Rechts handelt, vor dem BSG durch Prozeßbevollmächtigte vertreten lassen. Als Prozeßbevollmächtigte sind die Mitglieder und die Angestellten von Gewerkschaften, von selbständigen Vereinigungen von Arbeitnehmern mit sozial- oder berufspolitischer Zwecksetzung, von Vereinigungen von Arbeitgebern und von Vereinigungen der Kriegsopfer zugelassen, sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozeßvertretung befugt sind. Darüber hinaus ist jeder bei einem deutschen Gericht zugelassene Rechtsanwalt als Prozeßbevollmächtigter vor dem BSG zugelassen (§ 166 Abs. 2 SGG). Der Kläger, der nicht zu dem genannten Personenkreis gehört, kann daher selbst wirksam das Rechtsmittel der Revision nicht einlegen. Daran ändert auch nichts, daß der Kläger Rechtsbeistand und Prozeßagent ist. Der Kreis der beim BSG zugelassenen Prozeßbevollmächtigten ist nämlich vom Gesetz (§ 166 SGG) unmittelbar bestimmt und erschöpfend geregelt worden (BSG 1, 106, 109).

Zu Unrecht meint der Kläger, der durch § 166 SGG festgelegte Vertretungszwang vor dem BSG sei verfassungswidrig.

Nach Art. 19 Abs. 4 GG steht jedem der Rechtsweg offen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. Damit ist aber vom Grundgesetz kein in bestimmter Weise ausgestalteter Rechtsweg, vor allem nicht ein solcher mit drei Rechtszügen, garantiert. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet vielmehr den Rechtsweg nur im Rahmen der jeweils geltenden Prozeßordnungen, so daß die Anrufung der Gerichte von der Erfüllung der in den einzelnen Prozeßgesetzen bestimmten formalen Voraussetzungen abhängig gemacht werden darf (BVerfG 9, 194, 199 f.). Zu diesen formalen Voraussetzungen hat auch schon das Bundesverfassungsgericht neben der Einhaltung bestimmter Fristen eine nach den einzelnen Prozeßordnungen vorgeschriebene ordnungsmäßige Vertretung gezählt (BVerfG aaO; ferner BVerfG, MDR 1960, 199 Nr. 3; BVerwG, MDR 1960, 948 Nr. 122).

Durch § 166 SGG wird der Kläger auch nicht in seiner Berufsausübung als Rechtsbeistand und Prozeßagent in unzulässiger Weise beschränkt. Nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG kann die Berufsausübung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt werden. Dabei können Zweckmäßigkeitserwägungen angestellt werden. Der Grundrechtsschutz beschränkt sich insoweit auf die Abwehr in sich verfassungswidriger, weil übermäßig belastender und nicht zumutbarer gesetzlicher Auflagen (BVerfG 7, 406; 11, 232, 239; 14, 19, 22; 15, 226, 234; 20, 34 und 295; 21, 232; BVerwG, NJW 1960, 1361, 1362; Hamann/Lenz, GG, Art. 12 Anm. 8). Es ist daher nach Art. 12 Abs. 1 GG auch zulässig, die Berufsausübung örtlich und sachlich zu beschränken (Hamann/Lenz aaO). Durch § 73 Abs. 6, § 166 Abs. 2 SGG wird der Kläger in seiner Berufsausübung als Rechtsbeistand und Prozeßagent sachlich auf die Tätigkeit im ersten und zweiten Rechtszug der Sozialgerichtsbarkeit beschränkt. Diese Regelung ist für den Kläger nicht übermäßig belastend. Seine Berufsausübung als Rechtsbeistand und Prozeßagent wird durch die gesetzliche Regelung selbst nicht in Frage gestellt; lediglich eine Tätigkeit als Prozeßbevollmächtigter im Revisionsrechtszug ist ausgeschlossen. Die Beschränkung der Prozeßbevollmächtigten vor dem BSG durch § 166 Abs. 2 SGG auf einen bestimmten Personenkreis dient dem Schutz der Rechtsuchenden. Solche Beschränkungen sind sachlich gerechtfertigt. Die Gewerkschafts- und Verbandsvertreter im Sinne des § 166 Abs. 2 Satz 1 SGG verfügen durch ihre ständige Beschäftigung mit den in die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit fallenden Rechtsgebieten nicht nur über eine besondere Sachkunde auf dem Gebiet des Sozialrechts, sondern stehen auch unter der ständigen Kontrolle der Aufsichtsgremien ihrer Verbände. Die nach § 166 Abs. 2 Satz 2 SGG zur Vertretung vor dem BSG zugelassenen Rechtsanwälte haben ebenso wie die Richter des BSG die Befähigung zum Richteramt und höheren Verwaltungsdienst. Der in § 166 Abs. 2 SGG aufgeführte Personenkreis ist daher für einen bestmöglichen Schutz rechtsunkundiger Kläger zur Vertretung vor dem BSG besonders geeignet. Bei Prozeßagenten, insbesondere auch solchen, die in der Sozialgerichtsbarkeit tätig sind, besteht gegenüber den Rechtsanwälten schon hinsichtlich der Vorbildung ein qualitativer Unterschied. Für die Tätigkeit des Prozeßagenten ist im Gegensatz zur Berufsausübung des Rechtsanwalts die Befähigung zum Richteramt nicht notwendig. Aber auch gegenüber den in § 166 Abs. 2 Satz 1 SGG aufgeführten Gewerkschafts- und Verbandsvertretern besteht ein sachlicher Unterschied. Es fehlt bei den Prozeßagenten an der ständigen Kontrolle durch sachkundige Verbandsinstanzen. Es kann deshalb nicht gesagt werden, daß die Regelung des § 166 Abs. 2 SGG unzweckmäßig sei und den Rechtsbeistand und Prozeßagenten in seiner Berufsausübung übermäßig einschränke.

Die Vorschrift des § 166 SGG verstößt auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (BSG SozR Nr. 20 zu § 166 SGG). Art. 3 Abs. 1 GG gebietet nämlich dem Gesetzgeber nur, daß er gleiche oder im wesentlichen gleiche Tatbestände nicht ungleich und ungleiche oder im wesentlichen ungleiche Tatbestände nicht gleich behandelt (BVerfG 1, 14, 52; 3, 225, 240; 18, 38, 46; 20, 31, 33; BSG aaO). Der Gleichheitsgrundsatz ist danach nur verletzt, wenn ein sachgemäßer Grund für eine unterschiedliche Behandlung von mehreren Sachverhalten nicht gegeben ist. Indem der Gesetzgeber im Verfahren vor dem BSG den Zwang zur Vertretung durch bestimmte Personen abschließend geregelt hat, hat er weder die Grenzen seines Ermessens überschritten noch liegt ein Mißbrauch dieses Ermessens vor. Rechtsbeistände und Prozeßagenten können nämlich für die Tätigkeit im Revisionsverfahren gegenüber Rechtsanwälten, Gewerkschafts- und Verbandsvertretern aus den bereits dargelegten Gründen hinsichtlich Kontrolle und Qualifikation nicht gleichgestellt werden.

Nach allem fehlen somit die Voraussetzungen für eine ordnungsgemäß eingelegte Revision (§ 164 SGG). Das Rechtsmittel muß deshalb gemäß § 169 SGG als unzulässig verworfen werden.

Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

MDR 1971, 430

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