Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 27.04.1990) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. April 1990 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin hat mit, dem am 30. August 1990 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Schriftsatz vom 29. August 1990 die zugelassene Revision gegen das am 13. August 1990 zugestellte Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. April 1990 eingelegt und mit Schriftsatz vom 26. September 1990 das Rechtsmittel begründet. Beide Schriftsätze sind von dem bei dem „Arbeitgeberverband Chemie und verwandte Industrien für das Land Hessen e. V.” (AGV Chemie) beschäftigten Assessor P. O. unterzeichnet worden. Der Vorsitzende des Verbandes, dessen Mitglied die Klägerin ist, hat mit Schreiben vom 10. April 1991 bestätigt, daß Assessor O. seit Beginn seiner Tätigkeit bei dem AGV Chemie, dem 1. August 1980, bevollmächtigt ist, die Mitglieder des AGV Chemie vor den Sozialgerichten in allen Instanzen zu vertreten.
Die Revision der Klägerin ist unzulässig. Das Rechtsmittel ist zwar fristgerecht, aber nicht formgerecht eingelegt worden. Die Klägerin war im Zeitpunkt der Revisionseinlegung und bis zum Ablauf der Revisionsfrist durch Assessor O. nicht prozeßordnungsgemäß vertreten.
Vor dem BSG müssen sich die Beteiligten, soweit es sich nicht um Behörden, Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts handelt, durch Prozeßbevollmächtigte bestimmter Art. vertreten lassen (§ 166 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das gilt schon für die Einlegung der Revision. Bereits die Revisionsschrift muß von einem solchen postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet sein (BSG SozR Nr. 1 zu § 164 SGG und Nr. 5 zu § 166 SGG; BSGE 1, 106, 108 ff; BSG SozR 1500 § 166 Nr. 12). Zu den postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten zählte Assessor O. seinerzeit nicht.
Als Prozeßbevollmächtigte sind zwar zugelassen – neben allen bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwälten – ua die Angestellten von Vereinigungen von Arbeitgebern, zu denen der AGV Chemie nach Zweck und Mitgliederkreis zählt (§ 2 und § 3 Nr. 1 der Satzung), sofern sie kraft Satzung oder Vollmacht zur Prozeßvertretung befugt sind (§ 166 Abs. 2 SGG). Assessor O. ist indessen bis zum letzten Tage der Revisionsfrist weder kraft Satzung noch kraft Vollmacht vom Verband zur Prozeßvertretung befugt worden.
Nach dem Gesetz sind nicht alle Angestellten der in § 166 Abs. 2 SGG genannten Verbande als Prozeßbevollmächtigte zugelassen, sondern nur diejenigen, die der Verband befugt hat. Hiermit soll erreicht werden, daß die Verbände die Prozeßvertretung vor dem BSG nur solchen Angestellten ermöglichen, die nach ihrer Oberzeugung über die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiete des Sozialrechts (einschließlich des Verfahrensrechts) verfügen; der Vertretungszwang des § 166 Abs. 1 SGG würde seinen Sinn verlieren, wenn die Prozeßvertretung vor dem Revisionsgericht einem nicht ausgewählten Personenkreis anvertraut würde (BSG SozR 1500 § 166 Nr. 12). Deshalb und weil die Angestellten wie Rechtsanwälte vor dem BSG auftreten sollen, die grundsätzlich einer staatlichen Zulassung bedürfen, ist es unabdingbar, daß der Verband eindeutig und nachprüfbar regelt, und zwar durch Satzung oder Vollmacht, welche Angestellten befugt sein sollen, Prozeßvertretungen vor dem BSG zu übernehmen (vgl. BSG aaO). Weder aus der Satzung des Verbandes noch aus einer Vollmacht ergibt sich indessen, daß Assessor O. hierzu befugt war.
Aus der Satzung geht zwar hervor, daß die Mitglieder berechtigt sind, den AGV Chemie für die Beratung und Vertretung in allen arbeits- und sozialrechtlichen Angelegenheiten in Anspruch zu nehmen (§ 2 Nr. 2). Da der Vorsitzende oder einer seiner beiden Stellvertreter den Verband gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 9 Nrn 1 und 8) und zur Erledigung der Aufgaben des Verbandes und zur Verwaltung seines Vermögens eine Geschäftsführung unter der Leitung eines Geschäftsführers oder eines Hauptgeschäftsführers errichtet wird (§ 11), mögen die drei Vorstandsmitglieder und der Hauptgeschäftsführer kraft Satzung zur Vertretung von Mitgliedern des AGV Chemie vor dem BSG befugt sein (vgl. aber BSG aaO). Hierüber ist hier indes nicht zu entscheiden; denn Assessor O. gehört nicht zu diesem Personenkreis. Eine Bestimmung, derzufolge bestimmte oder bestimmbare andere Angestellte des Verbandes zur Prozeßvertretung der Mitgliedsfirmen vor Gerichten befugt sind, soweit eine sog Verbands Vertretung überhaupt gesetzlich zugelassen ist, enthält die Satzung nicht (vgl. für eine solche Satzung BSG SozR Nr. 18 zu § 166 SGG). Eine Bestimmung dieses Inhalts läßt sich auch im Wege der Auslegung nicht aus der Satzung gewinnen, um dem Verband zu ermöglichen, seiner Aufgabe nach § 2 Nr. 2 der Satzung zu entsprechen; denn eine entsprechende ergänzende Auslegung wäre nur erforderlich, wenn der Verein anders die übernommene Aufgabe nicht wahrnehmen könnte. Das ist jedoch nicht der Fall. Es steht den Verbänden nach § 166 Abs. 2 SGG nicht nur frei, die geeigneten Prozeßbevollmächtigten aus dem Kreise ihrer Mitglieder und Angestellten zu bestimmen. Das Gesetz hat es ihnen auch überlassen, ob sie diese Frage allgemein schon in der Satzung regeln wollen oder ob es dem Vorstand überlassen bleibt, durch die Erteilung von General- und Einzel vollmachten bestimmten Mitgliedern oder Angestellten die Befugnis zur Prozeßvertretung zu erteilen. Ein Schweigen der Satzung zu dieser Frage kann gerade darauf beruhen, daß dem Vorstand insoweit freie Hand gelassen werden sollte. In diesem Sinne ist auch hier die Satzung zu verstehen. Aus der Satzung läßt sich daher eine Befugnis des Assessors O. nicht ableiten.
Auch aus einer für die anhängige Revision wirksamen Vollmacht zur Prozeßvertretung gemäß § 166 Abs. 2 SGG ergibt sich die Befugnis des Assessors O. nicht.
Zwar hat der Verband unter dem 10. April 1991 mitgeteilt, daß Assessor O. mit seiner Einstellung ermächtigt worden ist, die Mitglieds firmen des Verbandes vor den Sozialgerichten – auch vor dem BSG – zu vertreten. Trotz entsprechenden Hinweises durch den Berichterstatter ist von der Klägerin nicht belegt worden, daß eine formgültige schriftliche Vollmacht des Verbandes vor dem 14. September 1990 vorhanden war. Eine solche Vollmacht ergibt sich auch nicht aus den schriftlichen Anstellungsvertrag, nach dem die Tätigkeit des Assessors O. ua die arbeits- und sozialrechtliche Beratung und Vertretung von Mitglieds firmen umfaßt; denn damit ist zunächst nur umschrieben, in welchen Aufgabenbereichen der Angestellte eingesetzt werden soll. Der Klausel kann dagegen nicht eindeutig entnommen werden, daß Assessor O. befugt sein sollte, mit Wirkung vom 1. August 1980 selbstverantwortlich Mitglieds firmen vor dem BSG zu vertreten. Im übrigen dürfte der Anstellungsvertrag nicht ausreichen, weil er für den Verband lediglich von dem Hauptgeschäftsführer abgeschlossen worden ist, nicht aber von dem Vorstand. Zwar werden nach § 11 Nr. 2 Satz 2 der Satzung die übrigen Angestellten der Geschäftsführung, zu denen Assessor O. zählt, vom Geschäftsführer (bzw Hauptgeschäftsführer) angestellt. Indessen schließt das Recht zum Abschluß von Anstellungsverträgen nicht zwingend die Rechtsmacht ein, das dem Verband aus § 166 Abs. 2 SGG zustehende Recht auszuüben, Angestellten die Postulationsfähigkeit vor dem BSG zu verleihen.
Auch aus dem Schreiben des Vorstands vom 10. April 1991 ergibt sich nicht, daß dem Assessor O. schon bisher wirksam eine schriftliche Vollmacht erteilt worden ist, zumal eine solche trotz entsprechenden Hinweises auf die Bedenken gegen eine rückwirkende Bevollmächtigung nicht vorgelegt wurde. Der Inhalt dieses Schreibens mag sich auf den vorgelegten Auszug aus dem Anstellungsvertrag beziehen, was aber – wie schon dargelegt – die erforderliche Bevollmächtigung nicht ergibt. Dasselbe gilt, wenn eine mündlich erteilte Vollmacht gemeint sein sollte. Eine mündlich erteilte Vollmacht reichte nicht aus. Der § 166 Abs. 2 SGG verlangt nämlich das Vorliegen einer schriftlichen Vollmacht, auch wenn das nicht ausdrücklich im Gesetz gesagt wird. Schon für die Prozeßvollmacht, die ein Prozeßbeteiligter seinem postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten erteilt, verlangt § 73 Abs. 2 SGG die Schriftform. Dann muß dies, wie der Senat bereits entschieden hat (BSG SozR 1500 § 166 Nr. 12), erst recht für die Vollmacht des Verbandes gelten, die die Postulationsfähigkeit erst begründet.
Allerdings könnte in der Bescheinigung des Vorsitzenden des AGV Chemie vom 10. April 1991 eine schriftliche Vollmacht erblickt werden. Diese Vollmacht hätte jedoch frühestens vom Tage ihrer Ausstellung an Wirkung entfaltet. Zu diesem Zeitpunkt war die Revisionsfrist indessen abgelaufen; denn sie endete am 13. September 1990, da das angefochtene Urteil am 13. August 1990 zugestellt worden ist (§ 164 Abs. 1 Satz 1 SGG). Die Klägerin meint zwar, die Revisionsfrist habe gemäß § 66 Abs. 1 SGG nicht zu laufen begonnen, weil das LSG in der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung nicht darauf hingewiesen habe, daß Angestellte von Vereinigungen von Arbeitgebern nur dann als Prozeßbevollmächtigte zugelassen seien, wenn sie kraft schriftlicher Vollmacht zur Prozeßvertretung befugt sind. Das ist jedoch unrichtig. Nach § 66 Abs. 1 SGG beginnt die Frist für ein Rechtsmittel allerdings nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über das Rechtsmittel, das Gericht, bei dem das Rechtsmittel anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist eine Belehrung über zwingende Formvorschriften, insbesondere den Vertretungszwang und die zugelassenen Vertreter nach § 166 SGG, nicht erforderlich. Es kann dahingestellt bleiben, ob § 66 Abs. 1 SGG dennoch Platz greift, wenn entsprechende Belehrungen fehlen (vgl. dazu BSGE 1, 194 einerseits; andererseits BVerwGE 52, 226, 232). Enthält die Rechtsmittelbelehrung nämlich entsprechende Ausführungen darüber, wie dem Vertretungszwang genügt werden kann, so müssen diese richtig sein. Das ist hier jedoch der Fall. Die Rechtsmittelbelehrung soll nur einen Hinweis geben, welche ersten Schritte ein Beteiligter unternehmen muß (BSGE 1, 227, 229). Dazu sollte die Rechtsmittelbelehrung so einfach und klar wie möglich gehalten werden. Sie muß infolgedessen nicht allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten Rechnung tragen. Daher genügt die Wiedergabe des § 166 Abs. 2 SGG in der Rechtsmittelbelehrung. Es ist Sache der Personen, die sich als Prozeßbevollmächtigte anbieten, dafür Sorge zu tragen, daß ihre Postulationsfähigkeit gewährleistet ist.
Bei Ausstellung der Bescheinigung vom 10. April 1991 war die Revisionsfrist hiernach abgelaufen. Die nachträgliche Postulationsfähigkeit wirkt sich nicht mehr zugunsten der Revisionseinlegung aus. Denn die von einem Postulationsunfähigen vorgenommene unwirksame Prozeßhandlung kann nicht durch die spätere Genehmigung eines Postulationsfähigen rückwirkend geheilt werden. Auch im Falle einer wirksamen Bevollmächtigung durch den Verband nach Revisionseinlegung hätte die unwirksame Prozeßhandlung nur innerhalb der Revisionsfrist durch eine Prozeßhandlung des (wirksam) Bevollmächtigten ersetzt werden können (BSG SozR Nrn 5, 28, 37 zu § 166 SGG und Nr. 46 zu § 164 SGG; SozR 1500 § 160 Nrn 3 und 12).
Die Revision ist daher nach allem gemäß § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen