Leitsatz (amtlich)
Wer eine ihm vom Gericht übersandte, vorgedruckte Erklärung über die Klagerücknahme in der irrtümlichen Annahme unterschreibt und zurücksendet, es handele sich um ein Empfangsbekenntnis, hat die Klage wirksam zurückgenommen.
Normenkette
SGG § 102 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. Juni 1968 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger, der auch in den Vorinstanzen schon durch seine jetzigen Prozeßbevollmächtigten vertreten war, wendet sich gegen Kürzungen seines kassenzahnärztlichen Honorars. Auf seine Klage vom November 1965 schrieb das Sozialgericht (SG) seinen Prozeßbevollmächtigten am 10. März 1966: Eine Klagebegründung sei bisher nicht eingegangen; sollte kein Wert mehr auf die Durchführung des Verfahrens gelegt werden, werde gebeten, die anliegende Postkarte unterschrieben zurückzusenden; im anderen Fall sei eine umgehende Klagebegründung erforderlich, sonst müsse mit einer Klagabweisung und Auferlegung von Mutwillenskosten gerechnet werden; außerdem werde an Übersendung einer weiteren Klagabschrift und einer Prozeßvollmacht erinnert. Am 15. März 1966 ging beim SG die von Rechtsanwalt B am 12. März 1966 unterzeichnete Postkarte mit folgender vorgedruckter Erklärung ein: "Im Sozialrechtsstreit (folgt Bezeichnung der Beteiligten) nehme ich die Klage hiermit zurück". Der Vorsitzende der Kammer des SG sah daraufhin den Rechtsstreit für erledigt an und machte eine entsprechende Abschlußverfügung. Auf den Widerspruch der Prozeßbevollmächtigten des Klägers, die Rücknahmekarte sei in der Annahme unterschrieben worden, daß es sich um eine Empfangsbestätigung handele, dem Unterzeichner habe deshalb das "Erklärungsbewußtsein" gefehlt, stellte das SG durch Urteil vom 31. August 1966 fest, der Rechtsstreit sei durch wirksame Klagerücknahme in der Hauptsache erledigt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen: Auch der Unterzeichner einer Empfangsbestätigung habe den Willen, eine prozessual wirksame Erklärung abzugeben; ein Mangel des Erklärungsbewußtseins sei im Prozeßrecht - ähnlich wie auch im Wechselrecht - unerheblich (Urteil vom 26. Juni 1968).
Mit der nicht zugelassenen Revision rügt der Kläger, sein Prozeßbevollmächtigter habe nicht eine prozessuale Willenserklärung wegen Irrtums über ihren Inhalt angefochten; ihm habe vielmehr schon das Bewußtsein gefehlt, überhaupt eine auf die Prozeßlage einwirkende Erklärung abzugeben; dies könne ohne Anfechtung geltend gemacht werden. Der Kläger beantragt, den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen. Die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt die Zurückweisung der Revision.
Die - vom LSG nicht zugelassene - Revision des Klägers ist unstatthaft. Mit Recht hat das LSG die Erklärung seines Prozeßbevollmächtigten, er nehme die Klage zurück, als wirksam angesehen und sich deshalb nicht für befugt gehalten, in der Sache selbst zu entscheiden. Ein Verfahrensmangel des LSG, dessen Rüge hier allein die Revision hätte statthaft machen können (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), liegt nicht vor.
Sollte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, wie das LSG zu seinen Gunsten angenommen hat, bei der Unterzeichnung der fraglichen Erklärung geglaubt haben, er unterschreibe ein Empfangsbekenntnis, so hätte er sich zwar über den Inhalt seiner Erklärung geirrt. Ihm hätte jedoch nicht der Wille oder das Bewußtsein gefehlt, überhaupt eine Erklärung abgegeben zu haben. Nur in einem solchen Falle - Fehlen des Handlungs- oder Erklärungswillens - wäre nach der im Prozeßrecht herrschenden, vor allem aus Gründen der Rechtssicherheit vertretenen Auffassung eine wirksame Prozeßhandlung nicht vorgenommen worden (vgl. Rosenberg-Schwab, Zivilprozeßrecht, 10. Aufl., § 65 V 1, S. 316).
Im übrigen hatte dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers nicht einmal der Wille (das Bewußtsein) gefehlt, eine prozessual erhebliche Erklärung abzugeben; denn auch die Ausstellung eines Empfangsbekenntnisses ist - anders als etwa eine außerhalb des rechtsgeschäftlichen Verkehrs, allein im gesellschaftlichen Bereich liegende Äußerung (vgl. die vom Bundesgerichtshof in einem Urteil zum Wechselrecht genannten Beispiele, NJW 1968, 2102, 2103 rechte Spalte oben) - eine prozeßrechtlich relevante Handlung, mag sie auch nicht zu den Prozeßhandlungen im engeren Sinne, sondern nur zu den Mitteilungen gehören (vgl. Rosenberg-Schwab aaO § 64 II 3, S. 308, und § 75 II 3 a, S. 360).
Hat dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers somit bei Unterzeichnung seiner Erklärung weder der Handlungswille (Erklärungswille) überhaupt noch der "Prozeßgeschäftswille" gefehlt, so ist er und damit der Kläger an die Rücknahmeerklärung gebunden. Ob etwas anderes gelten würde, wenn derjenige, der irrtümlich eine Klage zurückgenommen hat, vom Gericht oder der Gegenseite in seinen Irrtum versetzt worden ist, kann dahinstehen, da ein solcher Fall hier nicht vorliegt. Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers hat sich seinen Irrtum im wesentlichen selbst zuzuschreiben.
Daß eine Anfechtung einer Prozeßhandlung wegen Irrtums jedenfalls dann nicht zulässig ist, wenn - wie hier - die Voraussetzungen für eine Restitutionsklage nicht gegeben sind, hat das Bundessozialgericht (BSG) schon mehrfach entschieden (BSG 14, 138; Sozialrecht Nr. 6 zu § 102 SGG).
Das LSG hat demnach in Übereinstimmung mit dem SG die Klage mit Recht als wirksam zurückgenommen angesehen. Die Revision des Klägers ist unzulässig und vom Senat deshalb durch Beschluß verworfen worden (§ 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen