Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. grundsätzliche Bedeutung. Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. keine Bindung des Berufungsgerichts an die vorhergehende Entscheidung. Ruhen des Verwaltungsverfahrens kein Abschluss mit der Folge der kostenmäßigen Gleichstellung mit einem Widerspruchsverfahren
Orientierungssatz
1. Ein Berufungsgericht ist bei seiner Entscheidung über die Zulassung der Revision nicht an die vorhergehende Entscheidung der Erstinstanz zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung gebunden (vgl BSG vom 23.11.1955 - 7 RAr 30/55 = BSGE 2, 45 und vom 15.10.1996 - 3 BK 11/96 = SozR 3-5425 § 15 Nr 1).
2. Weder im Klage- noch im Berufungs- noch im Revisionsverfahren gilt, dass die Fortführung des Verfahrens nach Aufhebung eines Ruhensbeschlusses auch nur kostenmäßig als neues bzw als Rechtsmittelverfahren in der höheren Instanz anzusehen wäre.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3; SGB 10 § 63 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob der Kläger Anspruch auf Erstattung von Verfahrenskosten hat.
Der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger ist bei der beigeladenen GmbH als Busfahrer beschäftigt. 1997 wurden die an Arbeitnehmer zu zahlenden Versorgungsleistungen von einer von der Beigeladenen unterhaltenen Unterstützungskasse abgefunden. Die auf die Abfindungen gezahlten Gesamtsozialversicherungsbeiträge forderten die Beigeladene und die Arbeitnehmer jedoch im Jahr 2001 zurück. Mit anwaltlichem Schreiben vom 28.8.2001 teilten sie der Beklagten mit, dass ein Musterverfahren gegen eine andere Einzugsstelle durchgeführt werde, und baten um Mitteilung, ob die Beklagte sich der Entscheidung in jenem Musterverfahren unterwerfen wolle. Dies lehnte die Beklagte ab, verzichtete jedoch auf die Einrede der Verjährung einer Beitragsrückforderung. Nach Kenntnis der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25.8.2004 (B 12 KR 30/03 R) forderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 3.11.2004 die Beklagte zur Beitragserstattung auf. Die Beklagte teilte am 17.12.2004 mit, sie sei zur Zahlung bereit. Die Übernahme der mit anwaltlichem Schreiben vom 30.5.2005 in Rechnung gestellten Anwaltsgebühren von 387,44 Euro lehnte sie mit Bescheid vom 24.6.2005 ab. Für die Kostenerstattung fehle es an einer Rechtsgrundlage, weil kein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden und nicht einmal ein ablehnender Bescheid ergangen sei. Den Widerspruch wies sie zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger und der Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten des Beitragserstattungsverfahrens dem Grunde nach zu erstatten. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die Klage sei insoweit unzulässig, als der Kläger eine Zahlung der Kosten für das Erstattungsverfahren der Arbeitgeberbeiträge gegenüber der Beigeladenen begehre. Im Übrigen stehe ihm ein Anspruch auf Kostenerstattung für das nach § 26 SGB IV durchgeführte Beitragserstattungsverfahren nicht zu, weil es keine Rechtsgrundlage gebe. Die Voraussetzung des § 63 Abs 1 Satz 1 SGB X seien nicht erfüllt. Zu keinem Zeitpunkt sei ein belastender Verwaltungsakt ergangen. Das Gesetz gehe davon aus, dass ein Kostenerstattungsanspruch nur in einem Rechtsbehelfsverfahren, nicht jedoch in einem Verwaltungsverfahren bestehe. Nur Kosten der Rechtsverteidigung, nicht aber der Rechtsantragstellung seien erstattungsfähig.
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 31.1.2007.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG) . Er hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen wenn:
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Dagegen ist die inhaltliche Unrichtigkeit der Entscheidung kein Revisionszulassungsgrund.
Der Kläger beruft sich zum einen auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) . Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache lässt sich nur darlegen, indem die Beschwerdebegründung ausführt, welche Rechtsfrage sich stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 60 und 65; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 16 mwN; vgl auch BVerfG SozR 3-1500 § 160a Nr 7) . Die Beschwerdebegründung hat deshalb aufzuzeigen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31) .
|
|
Der Kläger misst folgenden Fragen grundsätzliche Bedeutung zu: |
"1. |
Rechtsfrage, ob das Berufungsgericht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verneinen und die Revision nicht zulassen darf, wenn das SG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bejaht und die Berufung zugelassen hat und der zugrunde liegende Rechtsstreit als Musterprozess für eine Vielzahl gleichgelagerter Fälle geführt wird. |
2. |
Rechtsfrage, ob nach Stellung eines Erstattungsantrages gemäß § 26 Abs 2 SGB IV die Weigerung eines Rechtsträgers, sich einem Musterprozess zu unterwerfen, ein belastenden Verwaltungsakt und ob die Fortführung des Verfahrens nach Abschluss des Musterprozesses sich als Vorverfahren (Rechtsbehelfsverfahren) darstellen. |
3. |
Rechtsfrage, ob eine nach Erstattungsantragstellung gemäß § 26 Abs 2 SGB IV getroffene Ruhensvereinbarung bis zum Abschluss eines Musterprozesses kostenmäßig iS des § 63 Abs 1 SGB X einem Rechtsbehelfsverfahren gleichgestellt ist. |
4. |
Rechtsfrage, ob die Erklärung eines Rechtsträgers, dessen Behörde aufgrund eines Erstattungsantrages gemäß § 26 Abs 2 SGB IV auf die Verjährungseinrede zu verzichten und einen Musterprozess abzuwarten, incidenter einen ablehnenden Bescheid darstellt und ob der nach für den Erstattungsberechtigten obsiegendem Urteil im Musterprozess erneut gestellte Erstattungsantrag incidenter einen Widerspruch darstellt, dem mit der Erstattung stattgegeben wird, wobei eine Fristversäumung wegen des Verzichts auf die Einrede der Verjährung durch die Beklagte nicht gegeben ist, diese letztlich aber auch durch die Erstattung seitens der Beklagten geheilt worden ist (BSG 49, 85). |
5. |
Rechtsfrage, ob der Rechtsträger, dessen Behörde einen Erstattungsberechtigten zu Unrecht zu einer Beitragszahlung aufgrund einer fehlerhaften Rechtsauffassung der Spitzenverbände der Krankenkassen, des VDR und der BA verpflichtet und den Erstattungsberechtigten ohne sein Verschulden auf den Widerspruchsweg gegen einen anderen Rechtsträger, dessen Behörde ebenfalls einen gleichlautenden Beitragsbescheid erlassen hat, verweist, die Aufwendung des Erstattungsberechtigten im Umkehrschluss zu § 63 Abs 1 Satz 3 SGB X zu tragen hat, so als sei das Widerspruchsverfahren gegen ihn gelaufen." |
|
|
Es kann offen bleiben, ob der Kläger mit diesen Fragen tatsächlich Rechtsfragen aufgezeigt hat. Jedenfalls hat er nicht aufgezeigt, dass eine dieser Fragen zweifelhaft ist. Dazu gilt zu den einzelnen Fragen Folgendes: |
Zu 1. |
Diese Frage ist bereits in dem Sinne entschieden, dass das LSG bei seiner Entscheidung über die Zulassung der Revision nicht an die vorhergehende Entscheidung des SG zur Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung gebunden ist (BSG, Urteil vom 23.11.1955 - 7 RAr 30/55 - BSGE 2, 45, 46 und - für den Fall der vom SG zugelassenen Sprungrevision - BSG, Urteil vom 15.10.1996 - 3 BK 11/96 - SozR 3-5425 § 15 Nr 1). Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass die Frage seitdem auch nur streitig geworden ist. |
Zu 2. |
Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, weshalb es zweifelhaft sein soll, dass die Fortführung eines Verwaltungsverfahrens nach Ablehnung, eine Vereinbarung über die Bedeutung eines Musterprozesses zu treffen, und Abschluss dieses Prozesses sich als Fortführung des Verwaltungsverfahrens und nicht als Durchführung des Vorverfahrens nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens darstellt. Selbst wenn man, wie von der Beschwerdebegründung unterstellt, die Ablehnung einer Vereinbarung über die Bedeutung eines Musterprozesses als Verwaltungsakt ansehen sollte, hätte dieser Verwaltungsakt nur die Ablehnung, eine Vereinbarung über die Bedeutung des Musterprozesses zu treffen, zum Inhalt. Der Verwaltungsakt hätte aber gerade keine Bedeutung für das anhängige Verwaltungsverfahren - hier das Erstattungsverfahren -. Weshalb sich dieses Verwaltungsverfahren ohne abschließende Entscheidung nunmehr in ein Widerspruchsverfahren verwandeln sollte, wird von der Beschwerdebegründung nicht ansatzweise aufgezeigt. |
Zu 3. |
Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, weshalb das Ruhen eines Verwaltungsverfahrens als Abschluss des Verwaltungsverfahrens angesehen werden könnte mit der Folge, dass nunmehr ein Widerspruchsverfahren anzunehmen wäre. Die Behauptung, kostenmäßig könnte dies einem Widerspruchsverfahren gleichgestellt werden, ersetzt nicht die Begründung, weshalb dies so sein sollte. Weder im Klage- noch im Berufungs- noch im Revisionsverfahren gilt, dass die Fortführung des Verfahrens nach Aufhebung eines Ruhensbeschlusses auch nur kostenmäßig als neues bzw als Rechtsmittelverfahren in der höheren Instanz anzusehen wäre. Weshalb dies im Verhältnis von Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren anders sein soll, wird nicht aufgezeigt. |
Zu 4. |
Auch hier zeigt die Beschwerdegründung nicht auf, weshalb ernsthafte Zweifel bestehen sollten, dass bei dem geschilderten Verfahren kein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden ist. Unterstellt, die Erklärung der Behörde, auf die Verjährungseinrede zu verzichten und einen Musterprozess abzuwarten, sei eine Ablehnung des Erstattungsantrags, so ist dieser Verwaltungsakt mangels Anfechtung bestandskräftig geworden. Ein späterer Antrag auf Erstattung ist dann als Antrag nach § 44 SGB X zu werten. Das dadurch ausgelöste Verwaltungsverfahren ist gerade kein Widerspruchsverfahren und kann auch kostenmäßig nicht einem solchen gleichgestellt werden, wie durch die Rechtsprechung bereits klargestellt ist (vgl BSG, Urteil vom 20.4.1983 - 5a RKn 1/82 - BSGE 55, 92 ). Es wird in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt, dass dies seit dieser Entscheidung zweifelhaft geworden sein könnte. |
Zu 5. |
Mit dieser Rechtsfrage will der Kläger anscheinend geltend machen, eine Beschränkung der Kostenerstattungspflicht im Widerspruchsverfahren, die wegen Zurechnung eines Fehlers des ansonsten Erstattungsberechtigten angeordnet ist, müsse umgekehrt dazu führen, dass die an sich nicht erstattungsfähigen Kosten des Verwaltungsverfahrens bei Fehlverhalten der Behörde zur Erstattungspflicht von Kosten führen. Dafür, dass dieser Gedanke ernsthaft in der Literatur oder in der Rechtsprechung erwogen wird, zeigt die Beschwerde aber nichts auf. Es ist auch schlechthin nicht erkennbar, weshalb im Verwaltungsverfahren, für das grundsätzlich keine Kosten zu erstatten sind, auf einmal doch Kosten zu erstatten sein sollen, wenn ein - wie auch immer geltend gemachtes - Fehlverhalten der Behörde vorliegen sollte. Dafür, dass hier eine lückenhafte Regelung vorliegen sollte, wird nichts vorgetragen. Im Übrigen wird nicht aufgezeigt, dass ein solcher Anspruch in der Rechtsprechung auch nur erwogen wird, obwohl dies etwa bei der Entscheidung zum fehlenden Anspruch auf Kostenerstattung im Rahmen des Verfahrens nach § 44 SGB X nahe gelegen hätte. |
Darüber hinaus rügt der Kläger als Verfahrensmangel die Verletzung des rechtlichen Gehörs. Er habe ausdrücklich mit Schriftsatz vom 5.12.2006 das LSG um einen richterlichen Hinweis gebeten, falls das Gericht der Auffassung sei, dass er weiter vorzutragen habe. Dem sei das LSG nicht nachgekommen. Das SG habe die Beklagte verurteilt, auch die außergerichtlichen Kosten des beigeladenen Arbeitgebers zu erstatten und habe ihn, den Kläger, insoweit für aktiv legitimiert angesehen. Ohne vorher einen rechtlichen Hinweis zu geben, habe das LSG dagegen seine Aktivlegitimation insoweit verneint und die Klage für unzulässig gehalten. Er sei gehindert gewesen, seinen Antrag entsprechend umzustellen. Die Auffassung des LSG sei fehlerhaft, weil das Gericht übersehen habe, dass er berechtigt gewesen sei, im eigenen Namen den Erstattungsanspruch des beigeladenen Arbeitgebers im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft geltend zu machen. Hätte das LSG vorab einen rechtlichen Hinweis gegeben und ihm rechtliches Gehör gewährt, hätte er auf die gewillkürte Prozessstandschaft hingewiesen und hilfsweise den Antrag neu gefasst.
Ein Verfahrensfehler iS des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ist damit nicht bezeichnet, denn in der Beschwerdebegründung wird nicht dargelegt, dass ausgehend vom Rechtsstandpunkt des LSG dieses ohne den behaupteten Verfahrensmangel eine andere für den Kläger günstigere Entscheidung getroffen hätte. Unterstellt der Einwand der Beschwerdebegründung ist richtig, hätte das LSG die Klage zwar nicht als unzulässig abweisen dürfen, es hätte aber ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt die Klage als unbegründet abgewiesen. Bei dem gegebenen Sachverhalt war die Beigeladene hinsichtlich des Klaganspruchs nicht anders zu behandeln als der Kläger selbst (vgl zum Ganzen schon BSG, Beschluss vom 30.6.1994 - 11 BAr 139/93 -, unveröffentlicht) .
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, da sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG) .
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen