Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmangel. Beweisantrag. Beschluss. Zurückzuweisung. Anhörungsmitteilung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel kann auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
2. Der Grundsatz, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden kann, wenn er einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat, gilt auch dann, wenn das LSG von der ihm durch § 153 Abs. 4 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Normenkette
SGG §§ 103, 153 Abs. 4, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2 S. 3, Abs. 4, § 169
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 13.02.2017; Aktenzeichen L 10 VE 19/14) |
SG Braunschweig (Entscheidung vom 27.01.2014; Aktenzeichen S 12 VE 21/11) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 13. Februar 2017 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin beansprucht einen höheren Grad der Schädigung (GdS) als Folge eines sexuellen Missbrauchs.
Der Beklagte hat bei der Klägerin nach medizinischen Ermittlungen zunächst einen GdS von 30 anerkannt und ihr eine entsprechende Beschädigtenrente gewährt (Bescheid vom 18.2.2011, Widerspruchsbescheid vom 9.6.2011).
Im von der Klägerin angestrengten Klageverfahren hat der Beklagte für einen begrenzten Zeitraum (Dezember 2009 bis April 2011) einen höheren GdS von 40 anerkannt. Die weitergehende Klage ist erfolglos geblieben (Urteil vom 27.1.2014).
Das LSG hat die Berufung der Klägerin nach medizinischen Ermittlungen zurückgewiesen. Die seelische Störung der Klägerin bedinge keinen höheren GdS als 30, wie der Senat schon zuvor im Schwerbehinderten-Streitverfahren zum Grad der Behinderung der Klägerin geurteilt habe (Beschluss vom 13.2.2017).
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe seine Amtsermittlungspflicht verletzt, weil es den medizinischen Sachverhalt unzureichend aufgeklärt habe.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil der behauptete Verfahrensmangel nicht ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde, wie im Fall der Klägerin, darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Will die Beschwerde demnach einen Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§ 103 SGG), so muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist. Daran fehlt es hier.
Ein anwaltlich vertretener Beteiligter kann nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG gehört werden, wenn er einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gestellt und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl zB BSG Beschluss vom 14.6.2005 - B 1 KR 38/04 B - Juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 25.4.2006 - B 1 KR 97/05 B - Juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn - wie hier - das LSG von der ihm durch § 153 Abs 4 SGG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der in einem solchen Fall den Beteiligten zugestellten Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 SGG muss jedenfalls ein rechtskundig vertretener Beteiligter auch entnehmen, dass das Berufungsgericht keine weitere Sachaufklärung mehr beabsichtigt und dass es etwaige schriftsätzlich gestellte Beweisanträge lediglich als Beweisanregungen, nicht aber als förmliche Beweisanträge iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ansieht. Nach Zugang der Anhörungsmitteilung muss daher der Beteiligte, der schriftsätzlich gestellte Beweisanträge aufrechterhalten oder neue Beweisanträge stellen will, dem LSG ausdrücklich die Aufrechterhaltung dieser Anträge mitteilen oder neue förmliche Beweisanträge stellen (vgl BSG Beschluss vom 9.3.2016 - B 1 KR 6/16 B - Juris RdNr 4 f mwN).
Die Klägerin legt nicht dar, ob und falls ja welche Beweisanträge sie nach Zugang der Anhörungsmitteilung aufrechterhalten oder gestellt hätte. Daher kann sie nicht mit Erfolg eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das LSG rügen.
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11205356 |