Leitsatz (amtlich)

Das durch den Tod eines Beteiligten nach SGG § 68 unterbrochene Verfahren wird bei Einverständnis des Rechtsnachfolgers mit der Fortführung des Rechtsstreites durch einen Ausspruch des Gerichts aufgenommen.

 

Normenkette

SGG § 68 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. Oktober 1956 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Schuhmachermeister A D aus A wurde am 3. März 1953 in seiner Werkstatt verletzt aufgefunden. Er behauptete, an diesem Tage bei einer betrieblichen Verrichtung von der Leiter gestürzt zu sein. Seinen damit begründeten Entschädigungsanspruch lehnte die beklagte Berufsgenossenschaft durch Bescheid vom 27. Oktober 1953 ab, weil der behauptete Unfall nicht erwiesen sei. Die Klage des Verletzten gegen diesen Bescheid hat das Sozialgericht Augsburg abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das Bayer. Landessozialgericht (LSG.) am 30. Oktober 1956 zurückgewiesen. Gegen das ihm am 7. Februar 1957 zugestellte Urteil des LSG. hat der Kläger mit einem von ihm selbst unterzeichneten Schreiben am 13. Februar 1957 Revision eingelegt. Gleichzeitig hat er die Bewilligung des Armenrechts zur Durchführung des Revisionsverfahrens beantragt. Das am 15. Februar 1957 ausgestellte behördliche Zeugnis zur Erlangung des Armenrechts hat er jedoch erst am 14. März 1957 beim Bundessozialgericht (BSG.) eingereicht. Am 23. März 1957 ist er gestorben. Er hat bis zu seinem Tod mit seiner Ehefrau G D, geb. P, in häuslicher Gemeinschaft gelebt.

Die Witwe des Verstorbenen hat am 17. April 1957 den Tod ihres Ehemannes dem Revisionsgericht mitgeteilt und gleichzeitig weitere Ausführungen zur Revisionsbegründung gemacht. Die Beklagte, der die Ehefrau des Klägers dessen Tod ebenfalls angezeigt hatte, hält deren Begehren, das gemäß § 68 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 239 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) unterbrochene Verfahren aufzunehmen, für begründet. Diese Auffassung trifft zu.

Rechtsnachfolger im Sinne der angeführten Vorschriften ist, wer infolge des Todes der bisherigen Prozeßpartei in deren Rechtsstellung eintritt. Dies sind im allgemeinen die Erben als Universalnachfolger; es kommen aber auch gewisse Sondernachfolger in Betracht, wenn sie auf Grund besonderer Vorschriften von Todes wegen in Rechte und Pflichten des Vorgängers eintreten (Stein-Jonas-Schönke-Pohle, Kommentar zur ZPO, 18. Aufl., § 239 Anm. II). Rechtsnachfolgerin dieser Art ist die Witwe des verstorbenen Klägers. Wie aus den amtlichen Feststellungen im Zeugnis zur Erlangung des Armenrechts vom 15. Februar 1957 zu entnehmen ist, hat sie mit dem verstorbenen Kläger bis zu dessen Tod in häuslicher Gemeinschaft gelebt. Infolgedessen ist sie gemäß § 614 der Reichsversicherungsordnung (RVO) für Entschädigungsbezüge, sofern ihrem Ehemann solche aus der gesetzlichen Unfallversicherung zustanden, allein bezugsberechtigt. Die angeführte Vorschrift regelt die Bezugsberechtigung abweichend von den erbrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches und macht den Bezugsberechtigten insoweit zum Sonderrechtsnachfolger des Verstorbenen hinsichtlich der ihm im Zeitpunkt seines Todes noch zustehenden Leistungen. Erst wenn kein Bezugsberechtigter im Sinne des § 614 RVO vorhanden wäre, kämen die gesetzlichen Erben als Rechtsnachfolger für die Aufnahme des Verfahrens in Betracht (SozR. SGG § 68 Bl. Da 1 Nr. 1). Hiernach ist die Ehefrau des verstorbenen Klägers als seine Rechtsnachfolgerin zur Aufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits berechtigt.

Zwar hat sich das im Zeitpunkt des Todes des Klägers laufende Armenrechtsverfahren nach § 68 SGG in Verbindung mit § 122 ZPO erledigt, so daß über sein Gesuch um Bewilligung des Armenrechts nicht mehr zu befinden ist (Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, 2. Aufl., Bd. 1 Stand Juni 1959, S. 209 Anm. 1 zu § 68 SGG; Wieczorek, Kommentar zur ZPO, Bd. 1 Teil 2, S. 1290, Anm. B II d 1 zu § 239; Rosenberg, Lehrbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., S. 578 § 122 I; Baumbach-Lauterbach, Kommentar zur ZPO, 25. Aufl., S. 398 Vorbem. A 1 B zu §§ 239 ff.).

Zu entscheiden ist jedoch über die vom Kläger eingelegte Revision, durch die - gleichviel, ob es sich um ein zulässiges Rechtsmittel handelt oder nicht - das Rechtsmittelverfahren in Gang gebracht worden war. Dieses anhängig gebliebene Verfahren ist durch den Tod des Klägers unterbrochen worden. Es kann aber durch die Witwe fortgeführt werden (§ 68 SGG i. V. m. § 239 Abs. 1 ZPO). Diese ist hierzu auch bereit. Die Aufnahme des Verfahrens ist allerdings nicht schon durch die Erklärung ihres hierauf gerichteten Willens als bewirkt anzusehen. Auch eine Zustellung dieser Erklärung an die Beklagte würde hierzu nicht genügen, da § 250 ZPO nach § 68 SGG nicht für anwendbar erklärt worden ist. In welcher Weise die Aufnahme eines unterbrochenen Sozialrechtsstreits zu erfolgen hat, ist freilich im SGG nicht ausdrücklich geregelt. Mit dem das Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit beherrschenden Grundsatz der Untersuchungsmaxime wäre es nicht vereinbar, die Aufnahme im gleichen Maße den Beteiligten zu überlassen, wie es im Verfahren vor den ordentlichen Gerichten gemäß § 250 ZPO der Fall ist. Andererseits kann aus § 68 SGG nicht hergeleitet werden, daß die Aufnahme durch das Gericht von Amts wegen zu erfolgen habe, denn die Beendigung der Unterbrechung eines Sozialrechtsstreits richtet sich nach § 239 Abs. 1, 2 und 5 ZPO und ist daher auch von einem Handeln des Rechtsnachfolgers abhängig. Ist der Aufnahmeberechtigte zur Fortführung des Prozesses bereit, so ist nach dem Sinn und Zweck des § 68 SGG die Annahme vertretbar, daß die Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens durch eine Anordnung des Gericht erfolgen kann (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I, Stand Februar 1959, S. 246 r; Peters-Sautter-Wolff a. a. O. S. 210; Hofmann-Schroeter, Kommentar zum SGG, 2. Aufl., S. 118 Anm. 2 zu § 68). Ein solcher Ausspruch des Gerichts kann auch durch eine das Verfahren abschließende Entscheidung erfolgen, sofern eine solche bei der gegebenen Sach- und Rechtslage noch zu ergehen hat. Das ist hier der Fall, da über die noch anhängige Revision des verstorbenen Klägers zu entscheiden ist.

Diese Revision ist nicht zulässig; denn sie ist nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form eingelegt worden. Nach § 166 SGG müssen sich die Beteiligten, soweit es sich nicht um Behörden oder Körperschaften des öffentlichen Rechtes oder Anstalten des öffentlichen Rechtes handelt, durch Prozeßbevollmächtigte vertreten lassen. Diesem Erfordernis ist hier nicht genügt. Der - später verstorbene - Kläger hat die Revision mit einem von ihm selbst unterzeichneten Schriftsatz eingelegt. Innerhalb der für die Einlegung der Revision nach § 164 Abs. 1 SGG vorgeschriebenen Frist von einem Monat ist eine formgerechte Revisionsschrift vom Kläger nicht beim BSG. eingegangen. Diese Fristversäumnis kann nicht mehr geheilt werden. Dem Kläger hätte zwar die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist nach § 67 SGG gewährt werden können, wenn die Voraussetzungen für die Bewilligung des Armenrechts bestanden hätten (SozR. SGG § 167 Bl. Da 1 Nr. 1). Dies war jedoch nicht der Fall; denn für das Verfahren vor dem BSG. kann das Armenrecht nicht bewilligt werden, wenn der Antragsteller zwar das Armenrechtsgesuch vor Ablauf der Revisionsfrist, das Armutszeugnis jedoch schuldhaft später eingereicht hat (BSG. 1 S. 287). Der Kläger hat das Armutszeugnis im Nachgang zu seinem rechtzeitig gestellten Armenrechtsgesuch nach Ablauf der Revisionseinlegungsfrist vorgelegt. Dafür, daß ihn insoweit kein Verschulden treffe, sind nach den Unterlagen keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, zumal da ihm die zuständige Wohlfahrtsbehörde das Zeugnis bereits am 15. Februar 1957, also etwa einen Monat vor der Einreichung beim BSG., ausgestellt hatte. Bei diesem Sachverhalt könnte auch ein nachträglich von der Ehefrau des verstorbenen Klägers im Zusammenhang mit einem erneuten Gesuch um Bewilligung des Armenrechts für sie gestellter Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keinen Erfolg haben; denn der in dem verspäteten Vorlegen des Armutszeugnisses begründete Mangel kann nicht mehr behoben werden. Schon aus diesem Grunde war die Revision als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 SGG). Einer Prüfung, ob sie auch aus anderen Gründen unzulässig ist, bedurfte es hiernach nicht mehr.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG.

 

Fundstellen

MDR 1959, 1045

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