Verfahrensgang
Hessisches LSG (Urteil vom 17.02.1960) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Februar 1960 wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Da das Landessozialgericht (LSG) die Revision nicht zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – ), wäre sie nur statthaft, wenn der Beklagte einen wesentlichen Verfahrensmangel (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) oder eine Gesetzesverletzung bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes – BVG – (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG) mit Erfolg gerügt hätte. Das ist nicht der Fall.
Der Beklagte erblickt einen wesentlichen Verfahrensmangel darin, daß das LSG nicht über den gesamten Streitstoff sachlich entschieden habe (§ 128 SGG). Er habe in seiner Berufung gegen das Sozialgerichtsurteil, das eine wesentliche Änderung der Verhältnisse verneint und damit die Herabsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 50 auf 30 % nicht bestätigt habe, mit Schriftsatz vom 27. April 1959 beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß die MdE mit 40 anstatt 50 v.H. bewertet und die klage auf weitergehende Ansprüche abgewiesen werde. Nachdem das LSG ein Gutachten der Medizinischen Universitätsklinik Marburg eingeholt habe, das die MdE auf Grund einer erheblichen Besserung nur noch mit 30 v.H. bewertete, habe er den Berufungsantrag am 27. August 1959 erweitert und beantragt, das Urteil erster Instanz aufzuheben und die klage in vollem Umfang abzuweisen. Der Auffassung des LSG, daß im Schriftsatz vom 27. April 1959 ein Angebot zu sehen sei, das nach Annahme durch die Gegenseite den Rechtsstreit gemäß § 101 Abs. 2 SGG insoweit erledigt habe, könne nicht gefolgt werden. Es habe sich dabei nicht um ein Angebot, sondern um eine nicht annahmefähige Prozeßhandlung gehandelt. Indem das LSG entgegen den Vorschriften der §§ 112 Abs. 3 bzw. 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG die Ergänzung seines Antrages nicht habe gelten lassen, habe es gegen das Verfahrensgesetz verstoßen.
Soweit die Revision rügt, das LSG habe seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gebildet, weil nach ihrer Auffassung hinsichtlicht der Gewährung einer 40 % igen Rente die Streitsache noch nicht erledigt gewesen sei, ist darin die Rüge eines Verstoßes gegen § 128 Abs. 1 SGG zu erblicken (BSG in SozR SGG § 128 Bl. Da 4 Nr. 10). Auch die weitere Rüge, das LSG habe § 101 Abs. 2 SGG verletzt, betrifft das Verfahren des LSG, denn das LSG hat nach Meinung der Revision insoweit zu Unrecht keine Sachentscheidung getroffen und damit “verfahrensrechtlich etwas Unrichtiges” getan (vgl. BSG 1, 283) und Urteil des BSG vom. 14. November 1961 – 11 RV 960/59 –).
Das LSG hat jedoch die Vorschriften der §§ 128 Abs. 1 und 101 Abs. 2 SGG nicht verletzt.
Ein Verstoß gegen § 128 Abs. 1 SGG liegt nicht vor, weil das LSG erörtert hat, weshalb es über den geänderten Berufungsantrag vom 27. August 1959 nicht entschieden hat und von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus nicht entscheiden mußte (BSG 7, 72).
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, daß der Kläger auf den Schriftsatz des Beklagten vom 27. April 1959 am 13. Mai 1959 dem Gericht gegenüber erklärt habe, er nehme das Angebot des Beklagten insoweit an, als damit Rente nach einer MdE um 40 v.H bewilligt werde und daß er im übrigen Zurückweisung der Berufung beantrage. Es ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Beklagte mit seiner Erklärung vom 27. April 1959 den vom Kläger geltend gemachten Anspruch zum Teil nämlich entsprechend einer MdE von 40 % anerkannt habe. Da dieses Anerkenntnis, das als Prozeßhandlung unwiderruflich sei, vom Kläger angenommen worden sei, sei der Rechtsstreit in der Hauptsache nach § 101 Abs. 2 SGG erledigt. Die spätere Erklärung des Beklagten im Schriftsatz vom 27. August 1959 habe daran nichts ändern können.
Das LSG hat mit dieser Feststellung auch die Vorschrift des § 101 Abs. 2 SGG nicht verletzt. Zwar trifft es zu, daß es sich bei den Anträgen des Beklagten vom 27. April 1959 und 27. August 1959 um Prozeßerklärungen im Sinne der §§ 153, 99 Abs. 3 Nr. 2 und 112 Abs. 3 SGG handelte. Das Schließt aber nicht aus, daß der Antrag vom 27. April 1959 seinem wesentlichen Inhalt nach ein Teilanerkenntnis enthält. Denn während eines schwebenden Gerichtsverfahrens kann ein Anerkenntnis im Sinne des § 101 Abs. 2 SGG nur in der Form einer Prozeßerklärung abgegeben werden. Selbst wenn das Anerkenntnis vom Gegner nicht angenommen wird, bleibt es eine Prozeßerklärung mit der materiellen Wirkung, daß der Beteiligte, der die Erklärung abgegeben hat, hieran gebunden ist, soweit er sich binden konnte (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Anm. 3 zu § 101 SGG; Rohwer/Kahlmann SGG § 101 Rg. 19 S. K 249). Hierbei ist es unschädlich, daß im Schriftsatz vom 27. April 1959 das Wort “Anerkenntnis” nicht ausdrücklich erwähnt ist. Eine Anerkenntniserklärung braucht das Wort “anerkennen” nicht zu enthalten (Wieczorek, ZFO, § 306 B II a). Die Erklärung, daß der vom Kläger geltend gemachte Anspruch ganz oder zum Teil bestehe, kann sogar durch schlüssiges Verhalten erfolgen (Rosenberg, Lehrbuch d.Dt. Zivilprozeßrechts, 8 Aufl. S. 644; Stein/Jonas/Schönke, ZPO, 18. Aufl., § 307, II, 1). Ob ein Anerkenntnis vorliegt, ist bei bestehenden Zweifeln durch Auslegung zu ermitteln (vgl. RGZ 66, 14; 75, 290 und 152, 44). Im vorliegenden Fall ist der Antrag des Beklagten im Schriftsatz vom 27. April 1959 als ein Anerkenntnis zu werten. “Anerkenntnis” ist das Zugeständnis des Gegners, daß der Klageanspruch (ganz oder teilweise) bestehe. Es wird durch einseitige Erklärung, die eine prozeß – und materiellrechtliche Verfügung über den Streitgegenstand enthält, abgegeben (vgl. Peters/Sautter/Wolff aaO). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Beklagte hat am 27. April 1959 in einer einseitigen Prozeßerklärung die Abänderung des angefochtenen Sozialgerichtsurteils dahin beantragt, daß die MdE mit 40 v.H. bewertet und die Klage für weitergehende Ansprüche als unbegründet abgewiesen werde. Da im angefochtenen Bescheid nur Rente nach einer MdE um 30 v.H. zugesprochen, worden war, hat der Beklagte in Seinem Antrag zugestanden, daß der Klageanspruch z.T., d. h. in Höhe einer MdE um 40 v.H. zu Recht besteht. In Übereinstimmung hiermit heißt es in der vom Beklagten selbst vorgelegten Äußerung der Inneren Abteilung I der Versorgungsärtzlichen Untersuchungsstelle Kassel vom 15. April 1959, daß die Herabsetzung der bisherigen Gesamt-MdE von 50 % auf 40 % gerechtfertigt sei.
Liegt somit ein Teilanerkenntnis des Beklagten vor, so konnte es vom Kläger mit der Wirkung des § 101 Abs. 2 SGG angenommen werden. Hierbei konnte dahingestellt bleiben, ob die Annahme des Anerkenntnisses schon mit dem Eintreffen des Schriftsatzes vom 13. Mai 1959 bei Gericht oder erst mit dem Zugang desselben beim Beklagten vollendet war. Denn aus dem späteren Schriftsatz des Beklagten vom 27. August 1959, der als Widerruf des Anerkenntnisses in Betracht käme, ist zu entnehmen, daß der Beklagte jedenfalls zu diesem Zeitpunkt im Besitz des Schriftsatzes vom 13. Mai 1959 gewesen ist. Dem Widerruf kam, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, keine prozeß – oder materiellrechtliche Wirkung zu.
Da somit die gerügten Verfahrensmängel (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG) nicht vorliegen und eine Gesetzesverletzung nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG nicht gerügt worden ist, ist die Revision nicht statthaft. Sie war deshalb gemäß § 169 Satz 2 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Weiß, Dr. Schwankhart, Dr. Maisch
Fundstellen