Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Darlegungspflicht bei einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung
Orientierungssatz
1. Ein Beschwerdeführer muss, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl. BSG, 25. September 2002, B 7 AL 142/02 B).
2. Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann. Es gehört nicht zu den Aufgaben des BSG, den Vortrag eines Klägers darauf zu analysieren, ob sich ihm eventuell eine entsprechende Rechtsfrage entnehmen ließe (vgl. BSG, 12. Mai 1999, B 4 RA 181/98 B).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 28.09.2016; Aktenzeichen L 1 R 200/13) |
SG Lüneburg (Aktenzeichen S 13 R 126/11) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 28. September 2016 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
Mit Urteil vom 28.9.2016 hat das LSG Niedersachsen-Bremen einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bzw teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit verneint, weil die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf Verfahrensmängel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Die Klägerin rügt eine Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs iS von § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG.
Hierzu trägt sie vor:
Beide Eheleute waren "vor der Scheidung Beamte bei der Deutschen Bundespost. Beide Eheleute hatten daher dienstrechtliche Versorgungsansprüche erworben.
Wären in diesem Fall die dienstrechtlichen Versorgungsansprüche innerhalb dienstrechtlicher Vorschriften umgebucht worden, so hätten die Ansprüche aus dem Versorgungsausgleich direkt dem Versorgungskonto der Beschwerdeführerin zugebucht werden können mit der weiteren Folge, dass im Rahmen der Dienstunfähigkeit der Versorgungsausgleich sich direkt auf die Höhe der Versorgungsansprüche ausgewirkt hätte.
Dieses Ergebnis wurde nun umgangen, indem dienstrechtliche Versorgungsansprüche umgewandelt worden sind in Rentenanwartschaften und insofern eigene Ansprüche bei der Beschwerdegegnerin begründet worden sind.
Dies ist nach Auffassung der Klägerin eine nicht hinnehmbare schlechter Stellung die auch gegen die Grundrechtsgarantien der Art. 14 Abs. 1 GG bzw. des Art. 3 GG verstößt.
Mit dieser Frage hat sich das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen nicht auseinandergesetzt".
… "Aus dem Umstand, dass hier beamtenrechtliche Versorgungsansprüche und rentenversicherungsrechtliche Rentenanwartschaften zusammentreffen kann sich keine Verschlechterung zulasten des Versorgungs- / Rentenempfängers ergeben.
Im Gegensatz zu dem Publikumskreis, der entweder ausschließlich beamtenrechtliche Versorgungsansprüche oder ausschließlich rentenversicherungsrechtliche Rentenanwartschaften bezieht bzw. erworben hat.
Aus dem Umstand, dass zwei verschiedene Versicherungskreise sich bei der Klägerin schließen darf keine Verschlechterung zu dem Personenkreis eintreten, der ausschließlich in einem der versicherten Kreise sich ausschließlich bewegt hat bzw. ausschließlich aus einem der Kreise seine Anwartschaften bzw. Ansprüche bezieht.
Dies ist eine Schlechterstellung und verstößt somit gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes.
Auch mit diesem Aspekt hat sich das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen nicht auseinandergesetzt."
Der Senat lässt dahinstehen, ob die Klägerin mit diesem Vorbringen eine Verletzungshandlung des LSG schlüssig aufgezeigt hat. Sie hat es jedenfalls versäumt darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.
Ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung bzw teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit setzt neben der Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen voraus, dass der Anspruchsteller voll oder teilweise erwerbsgemindert iS von § 43 Abs 1 S 2 oder Abs 2 S 2 und 3 SGB VI bzw berufsunfähig iS von § 240 Abs 2 SGB VI ist. Dass die Klägerin nach der Auffassung des Berufungsgerichts voll oder teilweise erwerbsgemindert bzw berufsunfähig ist, legt die Beschwerdebegründung nicht dar.
Einen weiteren Verfahrensmangel sieht die Klägerin darin, dass das LSG "im Hinblick auf die vorgenannten Fragen" den Vorgang nicht dem BVerfG vorgelegt hat. Auch mit diesem Vorbringen ist ein Verfahrensverstoß nicht schlüssig aufgezeigt.
Die Aussetzung eines Verfahrens und die Anrufung des BVerfG setzen nach Art 100 Abs 1 GG voraus, dass ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, wegen Verletzung des GG für verfassungswidrig hält. Dass das Berufungsgericht von der Verfassungswidrigkeit eines entscheidungsrelevanten Gesetzes (welches?) wegen Verletzung des GG überzeugt ist (vgl hierzu Pieroth in Jarras/Pieroth, GG, 14. Aufl 2016, Art 100 RdNr 15), trägt die Klägerin nicht vor.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 160a RdNr 32 ff).
Die Klägerin wird bereits dem ersten Erfordernis nicht gerecht. Sie hat keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer revisiblen Norm (vgl § 162 SGG) gestellt (vgl Senatsbeschluss vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - BeckRS 2010, 68786 RdNr 10; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - BeckRS 2009, 50073 RdNr 7). Die Formulierung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181). Es gehört nicht zu den Aufgaben des BSG, den Vortrag der Klägerin darauf zu analysieren, ob sich ihm eventuell eine entsprechende Rechtsfrage entnehmen ließe (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48).
Darüber hinaus fehlen jegliche Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit der angesprochenen Problematik (vgl hierzu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; Krasney/Udsching, aaO, Kap IX RdNr 183 mwN).
Ebenso wenig enthält die Beschwerdebegründung Ausführungen zur Klärungsfähigkeit. Insofern hätte die Klägerin aufzeigen müssen, welchen Sachverhalt das LSG für das BSG bindend festgestellt hat (§ 163 SGG) und dass auf dieser Grundlage im angestrebten Revisionsverfahren notwendig über die mit der Beschwerde angesprochene Problematik entschieden werden müsste.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI10333596 |