Entscheidungsstichwort (Thema)
Einbehaltung der gezahlten Abfindung bei Wiederverheiratung
Orientierungssatz
Auf die Anfrage des 4a-Senats vom 18.12.1986 4a RJ 13/86 wird an der in den Urteilen vom 15.3.1978 1/5 RJ 84/77 = SozR 2200 § 1291 Nr 15 und vom 5.7.1978 1 RJ 34/78 = BSG SozR 2200 § 1291 Nr 17 zugrundeliegenden Rechtsauffassung festgehalten, daß nach § 1291 Abs 2 S 2 der Reichsversicherungsordnung in der Fassung des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23.2.1957 der auf die Zeit vom Ablauf des Monats nach der Auflösung der zweiten Ehe bis zum Ende des Abfindungszeitraums (§ 1302 Abs 1 der RVO in der Fassung des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes) entfallende Teil einer anläßlich der Wiederverheiratung gezahlten Abfindung auch bei Beginn der Zahlung der wiederaufgelebten Hinterbliebenenrente nach Ablauf des Abfindungszeitraums einzubehalten ist.
Normenkette
RVO § 1291 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23, § 1302 Abs 1 Fassung: 1957-02-23
Gründe
Der beschließende Senat hält an seiner den Urteilen vom 15. März 1978 - 1/5 RJ 84/77 - und vom 5. Juli 1978 - 1 RJ 34/78 - (BSG SozR 2200 § 1291 Nrn 15 und 17) zugrundeliegenden Rechtsauffassung fest, daß nach § 1291 Abs 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Fassung des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) vom 23. Februar 1957 (BGBl I S 45) der auf die Zeit vom Ablauf des Monats nach der Auflösung der zweiten Ehe bis zum Ende des Abfindungszeitraums (§ 1302 Abs 1 RVO idF des ArVNG) entfallende Teil einer anläßlich der Wiederverheiratung gezahlten Abfindung auch bei Beginn der Zahlung der wiederaufgelebten Hinterbliebenenrente nach Ablauf des Abfindungszeitraums einzubehalten ist.
1. Der 4a-Senat geht - zwar nicht erklärtermaßen, aber doch erkennbar aus den in den Gründen des Beschlusses vom 18. Dezember 1986 verwendeten Benennungen und zitierten Wortlauten der einschlägigen Vorschriften - ersichtlich davon aus, daß der ihm vorliegende Rechtsstreit nach § 1291 RVO idF des Art 1 Nr 36 des Gesetzes zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung (Hinterbliebenenrenten und Erziehungszeiten-Gesetz -HEZG-) vom 11. Juli 1985 (BGBl I S 1450) zu beurteilen ist und in die erforderliche Gesamtbetrachtung §§ 615 und 1302 RVO ebenfalls in ihren gegenwärtig geltenden Fassungen des Art 1 Nrn 9 und 38 HEZG einzubeziehen sind. Bereits diesem rechtlichen Ausgangspunkt
Die zweite Ehe der Klägerin des beim 4a-Senat anhängigen Revisionsverfahrens ist am 22. Juni 1976 rechtskräftig geschieden worden. Die Klägerin hat im Januar 1981 die Gewährung wiederauflebender Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen ersten Ehemannes beantragt. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl Urteil des beschließenden Senats in BSG SozR 2200 § 1291 Nr 20 S 68 mwN) richtet sich der Anspruch auf Gewährung wiederauflebender Witwenrente nach dem zur Zeit der Auflösung der zweiten Ehe maßgebenden Recht. Im Jahre 1976 haben Satz 1 des § 1291 Abs 2 RVO idF des Art 1 § 1 Nr 20 Buchst a) des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I S 1965) und Satz 2 der Vorschrift in seiner ursprünglichen Fassung des ArVNG gegolten. In diesen Fassungen wäre § 1291 Abs 2 RVO auch dann anwendbar, wenn als maßgebend das im Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Gewährung wiederauflebender Witwenrente geltende Recht angesehen würde. § 1291 Abs 2 RVO mit den vorgenannten Fassungen seiner (damals nur) zwei Sätze hat auch noch im Jahre 1981 gegolten und bis zum 31. Dezember 1985 unverändert fortbestanden. Die Vorschrift ist erst mit Wirkung ab 1. Januar 1986 (vgl Art 14 HEZG) durch Art 1 Nr 36 HEZG neugefaßt worden. In dieser Neufassung ist sie damit in keinem Fall auf den dem 4a-Senat vorliegenden Sachverhalt anwendbar. Damit zugleich ist eine Einbeziehung der §§ 615 und 1302 Abs 1 RVO in ihren ebenfalls erst ab 1. Januar 1986 geltenden Neufassungen durch das HEZG in die nach Meinung des 4a-Senats erforderliche Gesamtbetrachtung ausgeschlossen (zur Anwendbarkeit des § 1302 RVO in Übergangsfällen vgl ausdrücklich Art 2 § 27 ArVNG idF des Art 4 Nr 8 des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vom 22. Dezember 1983, BGBl I S 1532 - HBeglG 1984 - und des Art 4 Nr 7 HEZG). Vielmehr können auf der Grundlage des dem 4a-Senat vorliegenden Sachverhalts in eine Gesamtbetrachtung allein § 1302 Abs 1 RVO in seiner bis zum 31. Dezember 1983 gültig gewesenen Fassung der ArVNG und § 615 RVO in seiner bis zum 31. Dezember 1983 gültig gewesenen Fassung des RRG (vgl dazu auch § 615 Abs 1 Satz 2 RVO idF des Art 1 Nr 23 HBeglG 1984) einbezogen werden. Der Senat legt ohne nochmaligen ausdrücklichen Hinweis seinen nachfolgenden Erwägungen § 1291 Abs 2, § 1302 Abs 1 und § 615 RVO in diesen als maßgeblich erachteten Fassungen zugrunde.
2. Der 4a-Senat hat die Auffassung des beschließenden Senats, eine Heiratsabfindung nach § 1302 Abs 1 RVO sei nicht eine der Kapitalabfindung iS der §§ 603 ff RVO oder der §§ 72 ff des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) vergleichbare Leistung, mit der Begründung als unzutreffend bezeichnet, § 1291 RVO sei sehr wohl vergleichbar mit der Regelung der "Heiratsabfindung" in § 615 RVO und in § 44 BVG. Diese Begründung vermag ebenfalls nicht zu überzeugen.
Sie stellt eine unzulässige Gemengelage zwischen teils einschlägigen und teils nicht einschlägigen Vorschriften her. Daß die Heiratsabfindung iS des § 1302 Abs 1 RVO mit einer Kapitalabfindung iS der §§ 603 ff RVO oder der §§ 72 ff BVG nicht vergleichbar ist, besagt für ihre Vergleichbarkeit mit der schon nach der Systematik des Gesetzes an ganz anderer Stelle geregelten Heiratsabfindung nach § 615 Abs 1 RVO und nach § 44 Abs 1 BVG (in der hier einschlägigen Fassung der Bekanntmachung des BVG vom 22. Juni 1976, BGBl I S 1633; gleichlautend in der gegenwärtig geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982, BGBl I S 21) oder gar für eine Vergleichbarkeit der Modalitäten der Einbehaltung einer Heiratsabfindung nach Wiederaufleben des Rentenanspruchs gemäß § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO einerseits und § 615 Abs 3 RVO bzw § 44 Abs 3 BVG andererseits überhaupt nichts. Dementsprechend hat die Rechtsprechung des BSG zwischen beiden Fragenkomplexen streng unterschieden. Einerseits stellt nach ständiger Rechtsprechung des BSG die Witwenrentenabfindung iS des § 1302 Abs 1 RVO weder eine der Kapitalabfindung nach §§ 603 ff RVO oder nach §§ 72 ff BVG vergleichbare Leistung noch eine Rentenvorauszahlung, sondern eine einmalige Leistung besonderer Art mit dem Zweck dar, zur Vermeidung unerwünschter Rentenkonkubinate eine neue Eheschließung der Berechtigten durch Gewährung einer "Starthilfe" zu erleichtern (vgl BSGE 53, 235, 239 = SozR 2200 § 1268 Nr 20 S 69 mit eingehenden Nachweisen sowie Urteil des 4. Senats in BSGE 57, 136, 138 = SozR 2200 § 1265 Nr 72 S 244). Andererseits hat das BSG ebenfalls in ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung des § 1291 RVO bzw des ihm entsprechenden § 68 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ua auf § 615 RVO und § 44 BVG als andere sozialrechtliche Vorschriften zur Regelung "gleichliegender Sachverhalte" zurückgegriffen (vgl ua BSGE 21, 279, 280 = SozR Nr 9 zu § 1291 RVO; BSGE 22, 78, 80 = SozR Nr 10 zu § 1291 RVO; BSG SozR Nr 23 zu § 1291 RVO S Aa 26; Nr 30 zu § 1291 RVO S Aa 36 R; BSGE 42, 110, 112 = SozR 2200 § 1291 Nr 10 S 31; BSGE 46, 193, 195 = SozR aaO Nr 16 S 46; BSGE 49, 131, 134 = SozR aaO Nr 19 S 63), ohne dabei allerdings die im Detail bestehenden Unterschiede zwischen den einzelnen Bestimmungen außer Acht zu lassen (vgl ua BSGE 23, 124, 125 = SozR Nr 5 zu § 1302 RVO; BSGE 26, 114, 116 f = SozR Nr 18 zu § 1291 RVO; BSGE 30, 110, 113 = SozR Nr 28 zu § 1291 RVO). Auch der beschließende Senat ist wiederholt von der Rechtsähnlichkeit der § 1291 RVO bzw § 68 AVG einerseits und der § 615 RVO und § 44 BVG andererseits ausgegangen (vgl BSGE 19, 153, 155 = SozR Nr 7 zu § 1291 RVO; BSGE 24, 293, 294 = SozR Nr 13 zu § 1291 RVO; BSG SozR 2200 § 1291 Nr 1 S 2). Insofern entbehren die Ausführungen des anfragenden Senats (S 5 des Beschlusses vom 18. Dezember 1986) über eine angeblich unzutreffende Ansicht des beschließenden Senats der Grundlage.
3. Ungeachtet der grundsätzlichen Vergleichbarkeit des § 1291 RVO mit § 615 RVO und § 44 BVG hält es der beschließende Senat für unzulässig, die "Grundsätze" der § 615 Abs 3 Satz 2 RVO, § 44 Abs 3 BVG auch bei der Auslegung des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO anzuwenden.
a) Dem steht schon entgegen, daß § 615 Abs 3 Satz 2 RVO und § 44 Abs 3 BVG überhaupt keine übereinstimmenden "Grundsätze" über die Berechnung des nach Auflösung der zweiten Ehe und Wiederaufleben der Witwenrente einzubehaltenden Teils einer anläßlich der zweiten Eheschließung gewährten Witwenrentenabfindung enthalten. Nach § 615 Abs 3 RVO ist nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Witwenrente dem Grunde nach die gesamte bei der Wiederverheiratung gezahlte Abfindungssumme zurückzuzahlen und lediglich der Höhe nach der Rückzahlungsbetrag um den Betrag zu mindern, den die Witwe bis zum Wiederaufleben des Rentenanspruchs hätte beanspruchen können, wenn die neue Ehe nicht geschlossen worden wäre. Im Gegensatz dazu ist nach § 44 Abs 3 BVG bei Auflösung der neuen Ehe innerhalb von 50 Monaten nach der Wiederverheiratung für jeden Monat bis zum Ablauf dieses Zeitraums ein Fünfzigstel der Abfindung auf die wiederaufgelebte Witwenrente anzurechnen. § 615 Abs 3 RVO und § 44 Abs 3 BVG enthalten somit jeweils eine eigenständige Regelung über die Modalitäten der Einbehaltung der Witwenrentenabfindung und lassen einen bei der Auslegung des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO heranzuziehenden gemeinsamen "Grundsatz" nicht erkennen.
b) Einer Auslegung des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO unter Heranziehung entweder des § 615 Abs 3 RVO oder des § 44 Abs 3 BVG steht ferner entgegen, daß erstere Bestimmung eine in sich geschlossene und nach Wortlaut und Inhalt gegenüber den anderen Vorschriften selbständige Regelung enthält. Diese Unterschiedlichkeit der Regelungen mag angesichts der übereinstimmenden Zweckrichtung der Witwenrentenabfindung in der gesetzlichen Rentenversicherung, der UV und der KOV sozialpolitisch unbefriedigend und der Rechtseinheit abträglich sein. Indes ist eine hiernach wünschenswerte Harmonisierung in erster Linie dem Gesetzgeber aufgetragen und durch die Rechtsprechung nur dann und insoweit möglich, wenn und als die anerkannten Grundsätze der Rechtsauslegung dies gestatten. Diese Auslegung hat primär am Wortlaut der maßgebenden Vorschriften anzusetzen. § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO läßt schon von daher eine Auslegung iS des § 615 Abs 3 RVO oder des § 44 Abs 3 BVG nicht zu. Sein Wortlaut bietet keine Möglichkeit der Auslegung dahingehend, daß anläßlich der Auflösung der zweiten Ehe und des Wiederauflebens der Witwenrente von dieser die um die bis zu diesem Zeitpunkt ohne die Wiederverheiratung zu zahlenden Rentenleistungen geminderte volle Abfindungssumme (entsprechend § 615 Abs 3 RVO) oder lediglich der auf die Zeit zwischen dem Beginn der wiederauflebenden Rente und dem Ende des Abfindungszeitraums entfallende Teil der Rentenabfindung einzubehalten ist (entsprechend § 44 Abs 3 BVG). Eine derartige Auslegung würde dem ausdrücklichen Wortlaut des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO, wonach die Abfindung einzubehalten ist, "soweit sie für die Zeit nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente gewährt ist", strikt zuwiderlaufen.
4. Der beschließende Senat hält daran fest, daß unter "Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente" iS des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO die Entstehung der Anspruchsberechtigung als solche und nicht der Beginn der tatsächlichen Zahlung der wiederaufgelebten Rente zu verstehen ist.
a) Der anfragende Senat meint demgegenüber, der Gesetzgeber hätte, wenn ihm daran gelegen gewesen wäre, daß eine Abfindung ohne Rücksicht auf den Beginn der wiederaufgelebten Rente einzubehalten sei, im Gesetzestext die Formulierung "nach Wiederaufleben der Rente" und nicht "nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente" wählen können und müssen. Der beschließende Senat hält genau das Gegenteil für zutreffend. Die Formulierung "nach Wiederaufleben der Rente" ist weiter gefaßt und läßt aus sich heraus die Deutung zu, daß damit die Entstehung sowohl des Rentenstammrechts als auch der Beginn der tatsächlichen Zahlung der monatlichen Einzelleistungen (§ 1297 Satz 1 RVO) gemeint sein kann und soll. Demgegenüber ist die Formulierung "nach Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente" enger gefaßt und unter Zugrundelegung der in § 194 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) enthaltenen Legaldefinition des Begriffs des "Anspruchs" dahin zu verstehen, daß damit allein das Recht, die wiederauflebende Witwenrente zu verlangen, und nicht auch zugleich die tatsächliche Gewährung dieser Rente gemeint ist. Das entspricht auch der Regelungsabsicht des Gesetzgebers. Dies ergibt sich aus folgendem: Der 12. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 18. September 1973 (BSG SozR Nr 36 zu § 1291 RVO) und der beschließende Senat in seinen Urteilen vom 15. März und 5. Juli 1978 (BSG SozR 2200 § 1291 Nr 15 S 39 f und Nr 17 S 52) ausgesprochen, daß unter "Wiederaufleben des Anspruchs auf Rente" iS des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO die Entstehung des Rentenstammrechts unabhängig von dem Zeitpunkt der Antragstellung zu verstehen ist. § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO ist anläßlich der Neufassung des § 1291 RVO durch Art 1 Nr 36 HEZG als nunmehriger Abs 2 Satz 4 inhaltlich unverändert geblieben. Dabei ist dem Gesetzgeber des HEZG die vorgenannte Rechtsprechung des 12. und des beschließenden Senats bekannt gewesen. Wenn er gleichwohl den bisherigen § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO inhaltlich unverändert beibehalten hat, so bedeutet dies nicht nur, daß die Vorschrift in ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung des BSG seit dem Inkrafttreten des HEZG gelten soll. Vielmehr hat der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, daß er auch für die davor liegende Zeit die Auslegung der Vorschrift seitens des BSG als authentische Interpretation angesehen hat. Damit würde eine Abweichung von dieser Auslegung dem Willen des Gesetzgebers widersprechen.
b) Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hat in ihrem Schreiben an den VDR vom 31. Oktober 1985 (S 11) ausgeführt, die Regelung des § 1291 Abs 2 Satz 1 RVO, wonach der "Anspruch auf Witwenrente" vom Ablauf des Monats an wiederauflebe, in dem die Ehe aufgelöst werde, wenn der Antrag spätestens 12 Monate nach der Auflösung der Ehe gestellt sei, betreffe nicht das Stammrecht, sondern den Beginn der Einzelleistungen. Dann aber lasse sich dafür, daß unter dem "Wiederaufleben des Anspruchs" in § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO der Beginn des Stammrechts zu verstehen sein solle, ein sachlicher Grund nicht finden.
Diese Ausführungen sind schon in ihrem Ansatzpunkt verfehlt und lassen auf eine ungenügende Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG schließen. Danach betrifft die Regelung des § 1291 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 RVO keineswegs allein den Beginn der Einzelleistungen. Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG darf der "Anspruch auf Witwenrente" nicht gleichgesetzt werden mit dem Anspruch auf Zahlung dieser Rente. Für die Existenz eines Anspruchs auf wiederauflebende Witwenrente reicht es aus, daß in der Zeit bis zur Wiederheirat der Witwe diese berechtigt gewesen ist, aus der Versicherung ihres verstorbenen ersten Ehemannes eine Witwenrente zu beanspruchen, die leistungsrechtlichen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs also erfüllt gewesen sind. Unerheblich ist dagegen, ob vor der erneuten Eheschließung die Witwenrente bereits gezahlt oder ihre Gewährung auch nur beantragt worden ist. Unter einem "Anspruch" auf Witwenrente iS des § 1291 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 RVO ist somit nicht - jedenfalls nicht notwendig - auch der Anspruch auf Rente iS des Anspruchs auf Zahlung des jeweils fällig werdenden einzelnen (monatlichen) Betrages, sondern das sogen Stammrecht (Grundanspruch, Gesamtanspruch) zu verstehen (vgl BSGE 16, 202, 203 = SozR Nr 3 zu § 1291 RVO; BSG SozR Nr 16 zu § 1291 RVO; BSGE 46, 51, 52 = SozR 2200 § 1291 Nr 14 S 35; BSGE 47, 68, 70 = SozR aaO Nr 18 S 57; BSG SozR aaO Nr 24 S 77). Damit im Einklang bezieht sich auch die in § 1291 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 RVO getroffene Anordnung des Wiederauflebens des "Anspruchs auf Witwenrente" auf das durch die Wiederheirat "weggefallene" (§ 1291 Abs 1 RVO) Rentenstammrecht. Allerdings werden - worauf erstmals der 4. Senat (vgl BSGE 18, 62, 64 = SozR Nr 4 zu § 1291 RVO) hingewiesen hat und der 12. Senat (BSG SozR Nr 36 zu § 1291 RVO) sowie insbesondere im Urteil vom 15. März 1978 (BSG SozR 2200 § 1291 Nr 15 S 39) der beschließende Senat näher eingegangen sind - in der unklaren Fassung des § 1291 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 RVO zwei gedanklich voneinander zu trennende Dinge miteinander vermengt, nämlich einmal der Teil des Rechtssatzes, der die Anspruchsberechtigung als solche enthält, und zum anderen derjenige Teil der Bestimmung, der sich mit einer Frage des Leistungsanfangs befaßt. Gleichwohl betrifft die Vorschrift entgegen der Meinung der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht ausschließlich den Beginn der Einzelleistungen. Damit ist der von ihr gezogenen Schlußfolgerung, daß auch § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO nur an den Beginn der Einzelleistungen und nicht an die Entstehung des Rentenstammrechts anknüpfe, das Fundament entzogen.
5. Die vom 4a-Senat angestellten Billigkeitserwägungen allein rechtfertigen eine dem Wortlaut, Sachzusammenhang und Zweck widersprechende Auslegung des § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO nicht (vgl Großer Senat des BSG in BSGE 14, 238, 245 = SozR Nr 2 zu § 1291 RVO). Dasselbe gilt insoweit, als nach Meinung des anfragenden Senats die Rechtsprechung des beschließenden und des 5b-Senats Ergebnisse gezeitigt habe, die nur schwer hingenommen werden könnten. Insofern vermag im übrigen die vordergründige Prägnanz der im Schreiben der Beklagten des Ausgangsverfahrens an den VDR vom 31. Oktober 1985 angeführten Berechnungsbeispiele nicht darüber hinwegzutäuschen, daß sie nicht die typische Fallkonstellation betreffen, in der die vom anfragenden Senat aufgeworfene Rechtsfrage aktuell wird. Diese typische Fallkonstellation, wie sie auch den Urteilen des beschließenden Senats vom 15. März und 5. Juli 1978 zugrundegelegen hat (vgl BSG SozR 2200 § 1291 Nr 15 S 38 und Nr 17 S 51), besteht darin, daß entweder im Hinblick auf eine entsprechend abgestimmte Unterhaltsvereinbarung nach Scheidung der zweiten Ehe oder sogar trotz Nichtbestehens realisierbarer Unterhalts-, Versorgungs- oder Rentenansprüche aus dieser zweiten Ehe der Antrag auf Gewährung wiederauflebender Witwenrente stets gezielt erst nach Ablauf des fünfjährigen Abfindungszeitraums gestellt worden ist. Dies läßt die Vermutung nicht fernliegend erscheinen, daß derartige Anträge vorzugsweise von solchen Hinterbliebenenrentenberechtigten gestellt werden, welche zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts nicht zwingend auf die wiederauflebende Hinterbliebenenrente angewiesen sind und deshalb durch Antragstellung erst nach Ablauf des Abfindungszeitraums die Verrechnung des auf die Zeit nach Auflösung der zweiten Ehe entfallenden Teils der Rentenabfindung auszuschließen versuchen. Das jedoch widerspricht den mit § 1291 Abs 2 Satz 2 RVO verfolgten gesetzgeberischen Intentionen.
Der Senat sieht sich nach alledem nicht veranlaßt und in der Lage, seine in den Urteilen vom 15. März und 5. Juli 1978 (aaO) vertretene Rechtsansicht aufzugeben.
Fundstellen