Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Grundsatzrüge. weiterer Klärungsbedarf. Maßgeblichkeit der Entscheidungsgründe
Orientierungssatz
Maßgeblich für die im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde, mit der die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache geltende gemacht wird, aufgeworfene Frage, ob mit Blick auf eine höchstrichterliche Entscheidung weiterer Klärungsbedarf besteht, sind nicht die zu einer Entscheidung im Rahmen ihrer Veröffentlichung nachträglich gebildeten Leitsätze, sondern nur die jeweiligen Entscheidungsgründe selbst (vgl BSG vom 17.6.2020 - B 5 R 302/19 B = SozR 4-1500 § 151 Nr 6 RdNr 8 mwN sowie vom 11.3.2021 - B 5 RE 2/20 R = SozR 4-2600 § 6 Nr 21 RdNr 22).
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 1, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 16. April 2021 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens eine höhere Altersrente unter Einbeziehung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten. Die entsprechenden Zeiten sind bislang der Beigeladenen (Mutter der Kinder und frühere Ehefrau) zugeordnet. Die im Jahr 2002 geschlossene Ehe wurde 2018 geschieden; dabei wurde zugunsten der bisherigen Ehefrau ein Versorgungsausgleich durchgeführt. Der Kläger macht geltend, er habe seine drei in den Jahren 1990 und 1995 geborenen Kinder seit ihrer Geburt gemeinsam und "gleichberechtigt" mit seiner damaligen Ehefrau erzogen. Wegen der Kindererziehung habe er seine Beschäftigung als Angestellter im öffentlichen Dienst zunächst auf die Hälfte und später auf 30 Stunden pro Woche reduziert, während die Mutter freiberuflich tätig gewesen sei.
Der beklagte Rentenversicherungsträger lehnte den im Januar 2019 vom Kläger gestellten Antrag auf "Nachberechnung" der seit Juli 2017 bezogenen Altersrente unter Zuordnung von Kindererziehungszeiten für die beiden im Jahr 1995 geborenen Kinder auf sein Rentenkonto ab (Bescheid vom 25.1.2019, Widerspruchsbescheid vom 25.4.2019). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 29.3.2020, Urteil des LSG vom 16.4.2021). Das LSG hat ausgeführt, der Kläger könne eine Änderung des Rentenbescheids vom 23.5.2017 nicht beanspruchen, weil bei dessen Erlass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich nachträglich als unrichtig erweise. Maßgeblich sei hier § 56 SGB VI in der ab 1.7.2014 geltenden Fassung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes (vom 23.6.2014, BGBl I 787). Da eine gemeinsame Erklärung der Elternteile über die Zuordnung der Erziehungszeiten nicht existiere, komme eine Zuordnung zum Kläger nur in Betracht, wenn festgestellt werden könne, dass er die Kinder überwiegend erzogen habe. Das sei schon nach seinem eigenen Vortrag nicht der Fall. Die Zuordnung der Erziehungszeiten in einem solchen Fall zur Mutter verletze kein Verfassungsrecht. Das habe das BSG bereits entschieden (Hinweis auf BSG Urteil vom 17.4.2008 - B 13 R 131/07 R - SozR 4-2600 § 56 Nr 5). Eine Vorlage an das BVerfG nach Art 100 Abs 1 GG komme daher nicht in Betracht.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.
II. 1. Nach Schließung des 13. Senats zum 1.7.2021 durch Erlass des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 24.6.2021 (vgl § 202 Satz 1 SGG iVm § 130 Abs 1 Satz 2 GVG) ist nach dem Geschäftsverteilungsplan nunmehr der 5. Senat des BSG für die Entscheidung über die zunächst unter dem Aktenzeichen B 13 R 97/21 B erfasste Beschwerde zuständig.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Eine grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG ist in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 24.6.2021 - B 5 RE 6/21 B - juris RdNr 6).
Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung gefällt oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die aufgeworfene Frage noch nicht beantwortet worden ist (vgl ua BSG Beschluss vom 24.6.2021 - B 5 RE 6/21 - juris RdNr 7 mwN).
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Der Kläger bezeichnet folgende Rechtsfrage als grundsätzlich bedeutsam: |
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"Ist § 56 Abs. 2 Satz 8 und 9 SGB VI mit Verfassungsrecht, insbesondere mit Art. 3 GG und Art. 6 GG vereinbar, soweit die Vorschrift die Kindererziehungszeit im Zweifel der Kindsmutter zuordnet?" |
Er trägt dazu vor, in der Zuordnung der Erziehungszeiten zur Mutter liege ein Eingriff in das Elternrecht. Bei einer vorrangigen Anwendung des § 56 Abs 2 Satz 8 SGB VI würden für Eltern "potentiell rentenversicherungsrechtliche Hürden geschaffen", sich für eine Kindererziehung durch den Vater zu entscheiden. Durchgreifende Rechtfertigungsgründe seien dafür nicht ersichtlich. Zudem rügt der Kläger eine benachteiligende Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts. Dass mit der Zuordnung zur Mutter eine möglichst rechtssichere, rasche und eindeutige Zuordnung der Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung möglich sei, könne die Regelung nicht rechtfertigen. Insoweit gehe es nicht um einen biologischen Umstand, sondern allein um Zweckmäßigkeitserwägung. Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Regelung sei klärungsbedürftig, weil das BSG im Urteil vom 17.4.2008 (B 13 R 131/07 R - SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 17 ff) und zuletzt im Beschluss vom 25.2.2020 (B 13 R 284/18 B - juris RdNr 7) nur zu Kindern entschieden habe, die 1983 oder früher geboren seien.
Woraus sich ergibt, dass die zitierten BSG-Entscheidungen die Verfassungsmäßigkeit von § 56 Abs 2 Satz 8 und 9 SGB VI lediglich für bis zum Jahr 1983 geborene Kinder geklärt haben, geht aus der Beschwerdebegründung nicht hervor. Zwar ist dem Kläger zuzugestehen, dass der zweite Teil des dem BSG-Urteil vom 17.4.2008 beigefügten Leitsatzes ("Eine hälftige Aufteilung sieht das Gesetz nicht vor; sie ist jedenfalls für Geburten der Jahrgänge bis 1983 auch verfassungsrechtlich nicht gefordert") den Eindruck hervorrufen kann, dass hinsichtlich der Geburtsjahrgänge ab 1984 die Regelungen zur Zuordnung der Erziehungszeiten in der Rentenversicherung einer abweichenden Beurteilung unterliegen könnten. Maßgeblich für die Frage, ob weiterer Klärungsbedarf besteht, sind jedoch nicht die zu einer Entscheidung im Rahmen ihrer Veröffentlichung nachträglich gebildeten Leitsätze, sondern nur die jeweiligen Entscheidungsgründe selbst (vgl BSG Beschluss vom 17.6.2020 - B 5 R 302/19 B - SozR 4-1500 § 151 Nr 6 RdNr 8 mwN; BSG Urteil vom 11.3.2021 - B 5 RE 2/20 R - RdNr 22, zur Veröffentlichung in SozR 4-2600 § 6 Nr 21 vorgesehen). Mit ihnen befasst sich die Beschwerdebegründung nicht näher.
Auch zeigt der Kläger nicht auf, welche für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Zuordnung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten maßgeblichen Umstände sich bei den nach 1983 geborenen Kindern so wesentlich geändert haben, dass den Aussagen im BSG-Urteil vom 17.4.2008 keine ausreichenden Hinweise zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage mehr zu entnehmen sind und deshalb erneuter Klärungsbedarf besteht (zu den insoweit bestehenden Darlegungserfordernissen vgl zB BSG Beschluss vom 5.2.2019 - B 1 KR 34/18 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 18.2.2021 - B 10 ÜG 8/20 B - juris RdNr 6). In der Entscheidung vom 17.4.2008 (B 13 R 131/07 R - SozR 4-2600 § 56 Nr 5 RdNr 17 ff) ist ausgeführt, die Lösung des Gesetzgebers in ihrer Auslegung durch das BSG gebe in weiten Bereichen Raum dafür, die kinderbezogenen Zeiten auch zugunsten des Vaters anzurechnen. Soweit danach die Regelung in § 56 Abs 2 Satz 9 SGB VI nur für den Fall des Fehlens einer übereinstimmenden Erklärung der Elternteile und gleichzeitiger Nichtfeststellbarkeit einer überwiegenden Erziehung durch den Vater iS einer "Auffangregelung" zum Tragen komme, unterliege das keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar kann eine ursprünglich unbedenkliche gesetzliche Typisierung aufgrund von zum Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht absehbarer Entwicklungen in Frage gestellt werden. Eine zunächst verfassungskonforme Regelung kann dadurch verfassungswidrig werden, sofern der Gesetzgeber nicht durch Nachbesserung entgegenwirkt (vgl eingehend BVerfG Beschluss vom 8.7.2021 - 1 BvR 2237/14 ua - NJW 2021, 3309 RdNr 114 f, 149 ff, 200). Wer sich hierauf beruft, muss aber nachvollziehbar und konkret aufzeigen, welche für die verfassungsrechtliche Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Bedingungen sich so stark verändert haben, dass die ursprünglichen Rechtfertigungsgründe die Typisierung nicht mehr zu tragen vermögen. Der pauschale Hinweis des Klägers, dass die ursprünglichen, vom BVerfG gebilligten Rechtfertigungsgründe in ihrer Pauschalität heute nicht mehr zuträfen, genügt insoweit nicht.
Die Beschwerdebegründung setzt sich ebenfalls nicht damit auseinander, dass der Gesetzgeber in Art 1 Nr 2 des RV-Leistungsverbesserungs- und -Stabilisierungsgesetzes (vom 28.11.2018, BGBl I 2016) die hier relevanten Vorschriften mit Wirkung ab 1.1.2019 umgestaltet hat. Nunmehr ermöglicht § 56 Abs 2 Satz 10 SGB VI nF unter bestimmten Umständen eine Aufteilung der Erziehungszeiten auf die Elternteile in kalendermonatlichem Wechsel. Hierzu wird vertreten, dass diese Regelung - nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen - auch anzuwenden sei, wenn feststehe, dass die Erziehungsbeiträge beider Elternteile gleichwertig seien; für die Zuordnung zur Mutter nach § 56 Abs 2 Satz 9 SGB VI nF sei in solchen Konstellationen kein Raum mehr (vgl Schuler-Harms in jurisPK-SGB VI, 3 Aufl 2021, § 56 RdNr 40, 42; ebenso wohl Fichte in Hauck/ Noftz, SGB VI, K § 56 RdNr 37 f, Stand Mai 2019). Welche Auswirkungen sich hieraus insbesondere für Versicherte ergeben, die - wie der Kläger - bei Inkrafttreten der Neuregelung bereits Rentenleistungen bezogen haben (vgl § 300 Abs 3, § 306 Abs 1 SGB VI), hätte der Kläger bei seiner Darlegung der ausschließlich auf einen Verstoß gegen Verfassungsrecht gestützten grundsätzlichen Bedeutung ebenfalls erörtern müssen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI15052533 |